Bis anhin galt in der Sicherheitspolitik der Schweiz das Konzept der Gesamtverteidigung des Landes und wurde seit den 50er Jahren auf den Ost-West-Konflikt ausgerichtet. Die Strategie war Kriegsverhinderung durch permanente Abwehrbereitschaft.
Mit dem Zusammenbruch des Systems im Osten fand aber auch der Kalte Krieg ein Ende, womit eine völlig neue Situation entstand. Die Schweiz befand sich nicht mehr zwischen zwei Fronten, sondern mitten in der sich bildenden Europäischen Union, die sogar eine gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik (GASP) anstrebte. Das sicherheitspolitische Konzept der Schweiz verlor damit seine Grundlage und verlangte nach einer Neuausrichtung.
1990 liess der Bundesrat einen neuen Bericht verfassen, der eine Lageanalyse und die daraus folgenden Zielsetzungen festlegen soll. Die Analyse erkannte neben dem machtpolitischen Wandel auch, dass jetzt neue Gefahren sichtbar werden: die steigende Migration, Umweltverschmutzung, internationale Kriminalität, Epidemien, usw.
Der Bundesrat liess verlauten, dass der Alleingang der Schweiz aufhören muss, denn "eine ganze Reihe von Sicherheitsproblemen, vor allem im vorbeugenden Bereich, lassen sich nur noch im Zusammenwirken mit anderen Staaten lösen."
Der Bericht bestätigte aber auch die bereits 1973 im sicherheitspolitischen Bericht aufgeführten Ziele wie die Wahrung der Handlungsfreiheit, die Behauptung des Staatsgebietes und die Wahrung des Friedens in Freiheit und Unabhängigkeit, setzte aber auch neue Akzente, wie den zu leistenden "Beitrag zur internationalen Stabilität, vornehmlich in Europa"
Ausserdem sah der Bericht die Notwendigkeit einer Instrumentenanpassung der Sicherheitspolitik vor, hauptsächlich bei Armee und Aussenpolitik. Die Armee sollte weiterhin für die Landesverteidigung zuständig sein wie bisher. Neu dazu kam die Aufgabe der Friedensförderung. Das 1995 erschienene Armeeleitbild präzisierte die praktische Umsetzung, worauf der Autor nicht weiter eingehen wird.
Die Aufgabe der Aussenpolitik lief vorher unter dem Konzept "bewaffnete Neutralität." Neu schrieb der Bericht 90 vor, "aktiv und initiativ am Aufbau einer neuen europäischen Sicherheitsordnung mitzuwirken und bereit sein, neue sicherheitspolitische Funktionen zu übernehmen."
Weil man vom Neutralitätsverständnis immer weiter abkam, nahm im Golfkrieg (1991) doch auch die neutrale Schweiz bei den von der UNO verhängten Sanktionen gegen den Irak teil, wurde im März 1991 eine Kommission aus Vertretern der Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Presse und Verwaltung berufen, um den künftigen Stellenwert der Neutralität zu prüfen.
Die Kommission kam zum Schluss, dass der dauernd bestehende Konflikt der Neutralität und der kollektiven Sicherheit neu gewichtet werden müsse. Sie erkannte die gleichen Zielvorstellungen der Schweiz und der UNO, wie zum Beispiel die Aufrechterhaltung der einzelstaatlichen Integrität oder die Verhütung von Konflikten, unterschied aber die beiden Methoden. Diese seien aber im Hinblick auf die Erreichung des Zieles in Einklang zu bringen, denn der Kleinstaat Schweiz habe auch ein grosses Interesse an einer internationalen Ordnung, die auf der Herrschaft des Rechtes begründet ist. Somit könne die Schweiz im Falle eines Rechtbrechens eines Staates von der Neutralität absehen:
Zwischen einem Staat, der den Frieden bricht und die Völkerordnung schwer missachtet, und der gesamten übrigen Staatengemeinschaft darf es eine neutrale Haltung nicht geben. Neutralität gegenüber einem von der Gemeinschaft der Völker mit Sanktionen belegten Rechtsbrecher liefe auf Begünstigung des Geächteten hinaus. Zudem widerspräche dies der schweizerischen Interessenwahrung und dem Sinn der schweizerischen Neutralität."
1993 veröffentlichte der Bundesrat einen Bericht zur künftigen Stossrichtung der schweizerischen Aussenpolitik. Wichtigstes Ziel ist nicht mehr die Wahrung der Neutralität, sondern die Wahrung der eigenen Interessen; die Neutralität soll nur so lange erhalten bleiben, bis ein besseres Konzept besteht, um die nationalen Interessen zu wahren.
So solle zum Beispiel künftig der Luftraum der Schweiz, im Gegensatz zu vorher, für UNO-Sanktionen offen sein und es soll die Möglichkeit einer Teilnahme bestehen.
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