Am 30. Januar 1927 kam es in dem burgenländischen Ort Schattendorf zu einem folgenschweren Zusammenstoß zwischen Mitgliedern des republikanischen Schutzbundes und der Frontkämpfervereinigung; einer rechtsradikalen Organisation ehemaliger Frontsoldaten. Eigentlich nichts besonderes, denn in der Geschichte der 1.Republik kam es schon öfters zu Schlägereien zwischen rechten und linken Verbänden, bei denen immer wieder einige Opfer, meist jedoch auf Seite der Linken, zu beklagen waren.
Allerdings war das Burgenland bis zu diesem Tag aus den "Soldatenspielereien" heraus gehalten worden; Heimwehren und Schutzbund hatten eine Art Stillhalteabkommen geschlossen. So hielten die Frontkämpfer und Schutzbündler ihre Versammlungen in Schattendorf auch immer 14tägig alternierend ab, um etwaige Zusammenstöße zu verhindern. Bis zu diesem besagten Tag funktionierte dieses Abkommen auch einwandfrei. Doch dummerweise organisierten sowohl Frontkämpfer, als auch Schutzbündler, am 30. Januar 1927 Veranstaltungen in Schattendorf. So kam es schon am Vormittag in Schattendorf zu kleineren Schlägereien. Doch die Situation eskalierte schließlich dann gegen 16 Uhr vor dem Gasthaus Tscharmann, als einige Mitglieder des Schutzbundes an diesem vorbeimarschierten, und den dort verweilenden Fontkämpfern marxistische Werbesprüche zuriefen.
(Plan von Schattendorf auf Seite 2)
Bei diesem Zusammenprall wurden mehrere Personen verletzt, 5 davon schwer, und 2 Personen (ein 8jähriger Bub und ein Kriegsinvalide) getötet. Die mutmaßlichen Schützen (die beiden Söhne des Wirten, Hieronimus und Josef Tscharmann, sowie Johann Pinter) wurden kurz darauf verhaftet und Anfang Juli 1927 vor ein Geschworenengericht gestellt.
In ganz Österreich herrschte daraufhin tiefe Betroffenheit über den Tod dieser beiden Menschen, es kam zu Protestkundgebungen, zu Streiks, und einem ganzen Volk wurde schlagartig klar, auf welchen gefährlichen Weg es geraten war.
Noch meinte Seipel vor dem Parlament: \"Wir werden alles tun, damit das Verbrechen die verdiente Strafe findet.\"
Als die beiden Opfer am 2. Februar begraben wurden, kam es in ganz Österreich zu einem 15minütigen Generalstreik. Bei den Wahlen am 24. April befand sich das Bürgertum in der Defensive; der Sieg über den Bürgerblock war für die Sozialdemokraten nur noch eine Frage der Zeit. Aber obwohl die Sozialdemokraten 42% der Stimmen bekamen, wurden sie nicht in die Regierung eingebunden. Sie befanden sich auch weiterhin in der Opposition.
Am 5. Juli 1927 begann im Schwurgerichtssaal des Landesgerichts Wien der Prozeß gegen die mutmaßlichen Attentäter von Schattendorf, die allerdings nicht wegen Mordes, wie es eigentlich zu erwarten gewesen wäre, vor Gericht standen, sondern wegen \"Verbrechen der öffentlichen Gewalttätigkeit durch boshaftes Handeln oder Unterlassen unter besonders gefährlichen Verhältnissen\". Sozialdemokraten waren der Meinung, daß dieses Mal ein exemplarisches Urteil gefällt werden müsse. Die Geschworenen waren aber anderer Meinung, und sprachen die 3 Angeklagten, da man angeblich nicht mehr feststellen konnte, welche der Schüsse die tödlichen waren und da Schutzbündler schon vorher, bevor noch die Schüsse abgegeben wurden, das Gasthaus Tscharmann angriffen hätten (die Schutzbündler waren mit Steinen, die 3 Angeklagten mit Gewehren bewaffnet), frei.
Niemand vermutete zu diesem Zeitpunkt, daß das Schattendorfer Urteil zum Anlaß von Ereignissen werden könnte, die als der Wendepunkt in der Geschichte der 1. Republik bezeichnet wurden. Die Folgen der Unruhen am 15. Juli und an den nächsten beiden Tagen, des Justizpalastbrandes, der blutigen polizeilichen Repression und des politischen Mißerfolges des Generalstreiks, haben in der Tat der politischen Entwicklung in Österreich eine andere Wendung gegeben, sie jedenfalls in verhängnisvoller Weise beschleunigt. Die Schwächung der demokratischen Kräfte des österreichischen Staates und das beschleunigte Anwachsen der faschistischen Bewegungen, sowie der Diktatur Dollfuß\' und Schuschniggs, scheinen ursächlich mit dem 15. Juli 1927 verknüpft zu sein.
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