Allgemein:
Das Osmanisches Reich erstreckte sich auf dem Höhepunkt seiner Macht über drei Kontinente. Von Ungarn im Norden bis nach Aden im Süden und von Algerien im Westen bis zur iranischen Grenze im Osten (Europa, Asien und Afrika). Den Mittelpunkt bildete das Gebiet der heutigen Türkei. Mit dem Vasallenstaat Krim dehnte sich das Osmanische Reich sogar bis zur Ukraine nach Südrußland aus. Begründer des Reiches und der Herrscherdynastie war Osman I. Ghasi.
Staatsstruktur:
Mit den Eroberungen von Süleiman II., dem Prächtigen, erreichte das Osmanische Reich seinen Höhepunkt. Er ließ die Regelung des Sozialwesens, der Verwaltung und der Regierung, die sich seit dem 14. Jahrhundert immer weiter entwickelt hatten, kodifizieren und schuf so die Grundlage für das bis zum Ende des Reiches geltende osmanische Recht.
Die Gesellschaftsstruktur:
Die herrschende Klasse bestand aus zwei rivalisierenden Gruppen: Den muslimischen Turkmenen, Araber und Iraner, die die türkische Oberschicht des Osmanischen Reiches bildeten, und den christlichen Kriegsgefangenen und Sklaven, die angeworben, zum Islam bekehrt und nach dem berühmten Dewschirme-System (Knabenlese) ausgebildet wurden. Ab der Mitte des 16. Jahrhunderts übernahmen diese schließlich die Führungsrolle.
Expansion des Osmanischen Reiches:
Der erste osmanische Staat ging als Sultanat aus einem der vielen unbedeutenden Nachfolgestaaten des ehemaligen Reiches der Rum-Seldschuken in Kleinasien hervor. Die geographische Lage ermöglichte es dem Gründer der osmanischen Dynastie, die Schwäche des Byzantinischen Reiches auszunutzen und reiche Beute bei Überfällen auf christliches Gebiet zu machen. Durch die ständige Expansion schlossen sich tausende turkmenische Krieger, Araber und auch Perser dem Reich an.
Der Aufstieg des vom Islam geprägten Osmanischen Reiches ist eng verbunden mit der Anziehungskraft die dieser Staat auf die Ghasis, die Kämpfer des Heiligen Krieges (Djihad), ausübte, die sich den Osmanen anschlossen, weil diese die führende Rolle im Kampf gegen das christliche Byzantinische Reich im Westen übernahmen. Osmans Eroberungen wurden durch seinen Sohn Orhan fortgesetzt, der 1326 die Provinzhauptstadt Bursa einnahm und es zur neuen Hauptstadt machte. Traditionell war es die Politik der Osmanen, das Reich mit militärischer Gewalt nur auf das Gebiet christlicher Staaten im Westen auszudehnen, jedoch nicht mit Gewalt gegen die turkmenischen Fürstentümer vorzugehen. Es war jedoch durchaus üblich turkmenisches Land durch Kauf, Heirat oder Stiftung von Unfrieden unter den herrschenden Dynastien zu erlangen. Auf diese Weise konnten die Osmanen große Gebiete im Westen Anatoliens ihrem Reich angliedern.
1354 eroberten sie Ankara im Zentrum Anatoliens. Im selben Jahr besetzten die Osmanen Gallipoli auf der europäischen Seite der Dardanellen, welches den Ausgangspunkt für ihren anschließenden Vorstoß nach Südosteuropa bildete.
1361 nahmen sie Adrianopel ein, das zur neuen Hauptstadt wurde. 1389 nahmen die Osmanen Thrakien, Makedonien und einen großen Teil von Bulgarien und Serbien ein. Die Niederlage der Osmanen gegen den Mongolenfürsten Timur-i Läng (1402) erwies sich nur als vorübergehender Rückschlag für die Osmanen, die ihr Reich umgehend wieder aufbauten, festigten und ausdehnten.
1453 eroberte Sultan Muhammad II. Konstantinopel (Istanbul). Die Welle der Eroberungen setzte sich während des ganzen 16. Jahrhunderts fort. Unter Sultan Selim I. wurden die Safawiden aus dem Iran besiegt (1514), das Reich wurde zudem um Ostanatolien erweitert.
1516 und 1517 wurden die Mamelucken in Syrien und Ägypten geschlagen und ihre Gebiete annektiert. Neben den Besitztümern der Mamelucken eigneten sich die Osmanen auch die heiligen Stätten in Arabien an.
Selims Sohn und Nachfolger Süleiman II., der Große, wird als der mächtigste aller osmanischen Herrscher angesehen. Während seiner Herrschaft wurde der Irak (1534) dem Reich eingegliedert, und die Kontrolle über den östlichen Mittelmeerraum wurde gefestigt. Durch die Annektion von Algier und Überfälle von Piraten der osmanischen Barbareskenstaaten drangen die Osmanen bis in den westlichen Mittelmeerraum vor. Süleiman führte osmanische Truppen weit nach Europa hinein: Belgrad wurde 1521 erobert, die Ungarn in der Schlacht bei Mohács (1526) geschlagen. 1529 blieb die Belagerung Wiens durch Süleiman jedoch erfolglos.
Der Niedergang:
Der Niedergang des Osmanischen Reiches setzte gegen Ende der Regierungszeit von Süleiman II. ein und dauerte bis zum Ende des 1. Weltkrieges an. Von offizieller Seite wurde auf den Verfall des Reiches mit zwei unterschiedlichen Vorgehensweisen reagiert. In der Zeit der traditionellen Reform (1566-1807) gingen die Bestrebungen in Richtung einer Wiederherstellung der alten Institutionen, während in der Zeit der modernen Reform (1807-1918) die alten Institutionen aufgegeben und neue, aus dem Westen kommende Vorbilder übernommen wurden.
Die Gründe des Verfalls
Bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts kontrollierten die Sultane sowohl die türkische Aristokratie als auch die zum Islam bekehrten Christen. Unter der Regierung Süleimans gewannen jedoch die Dewschirme die Oberhand und verdrängten die alte türkische Stammesaristokratie aus den Führungspositionen. Durch die inkompetente, korrupte und ineffektive Regierung wurde die Landwirtschaft vernachlässigt und das Reich litt unter Hungersnöten und Epidemien.
Die Osmanen zeigten sich aus mehreren Gründen nicht sehr besorgt über den Reichsverfall. Einerseits war Europa für mindestens ein Jahrhundert so stark mit seinen eigenen Problemen beschäftigt und andererseits profitierte der Großteil der herrschenden osmanischen Klasse von dem Chaos im Land. Und schließlich nahmen die Osmanen die Veränderungen, die Europa um vieles mächtiger als zuvor werden ließen, nicht bewusst wahr. Sie gingen nach wie vor davon aus, dass die islamische Welt dem christlichen Europa noch immer weit überlegen sei.
Nach einer gewissen Zeit begannen die Mächte Europas jedoch das Ausmaß des inneren Verfalls des Osmanischen Reiches zu begreifen und daraus Nutzen zu ziehen. 1571 drang die Flotte der Heiligen Liga unter Don Juan de Austria in den östlichen Mittelmeerraum vor und zerstörte die osmanische Flotte in der Seeschlacht bei Lepanto. Am Ende des Krieges mit Österreich (1593-1606) mußte der Sultan den Kaiser des Heiligen Römischen Reiches als gleichrangigen Partner anerkennen und die Tributpflicht Österreichs aufheben, was den europäischen Mächten die Schwäche des Osmanischen Reiches noch deutlicher vor Augen führte.
Reformen und Verluste
Erst als das Reich, von dem ihre Privilegien und ihr Reichtum abhingen, von außen bedroht wurde, akzeptierte die führende Schicht die Reformen. 1623 eroberte Schah Abbas I. von Persien Bagdad und den Osten des Irak und schürte eine Reihe turkmenischer Revolten in Ostanatolien. Als Antwort darauf etablierte Sultan Murad IV. erneut die alten Herrschaftsstrukturen und erhöhte damit die Effizienz der herrschenden Klasse und der Armee. 1683 unternahm der letzte Großwesir der Köprülü, Kara Mustafa Pascha, einen erneuten Versuch, Wien zu erobern. Nach einer kurzen Belagerung fiel die osmanische Armee jedoch gänzlich auseinander. Diese Tatsache ermöglichte es einer neuen Europäischen Heiligen Liga, Teile des Reiches zu erobern. Nach den Friedensverträgen von Karlowitz (1699) mussten Ungarn und Transsilvanien an Österreich, Dalmatien, der Peloponnes und wichtige ägäische Inseln an Venedig, Podolien und der Süden der Ukraine an Polen sowie Asow und die Gebiete nördlich des Schwarzen Meeres an Russland abgetreten werden.
Landgewinne und weitere Verluste
Selbst in dieser Phase wies das Osmanische Reich jedoch noch genug innere Stärke auf, schlimme Missstände zu beseitigen und durch die Übernahme moderner europäischer Waffen und Taktiken sogar verlorene Gebiete zurückzugewinnen. Dies führte zu einer neuen Zeit der Reformen, genannt Tulpenzeit (1715-1730), während der die osmanische Armee umorganisiert und modernisiert wurde, mit dem Ziel, das Reich vor weiteren Gebietsverlusten zu bewahren. In den zwei verheerenden Balkankriegen zwischen 1768 und 1792 zerfiel die osmanische Armee.
Die Ära der modernen Reform
Während des 19. Jahrhunderts verschärfte sich die Gefahr einer Eroberung durch ausländische Mächte noch durch das Entstehen des Nationalbewusstseins der unter osmanischer Herrschaft stehenden Völker. Die nichttürkischen Völker des Reiches forderten ihre Unabhängigkeit und erhielten sie auch nach und nach. Griechenland wurde als erstes Land 1829 in die Unabhängigkeit entlassen. 1875 war das Reich außerstande, die Zinsen für seine Auslandsschulden zu bezahlen. Moderne landwirtschaftliche Methoden trugen ebenfalls zur erneuten Blüte des Osmanischen Reiches bei. Aber auch restriktive Maßnahmen gegen Minderheiten waren Teil der neuen Politik, die zum Massaker an mehreren Millionen Armeniern in den Jahren 1894 bis 1918 führte.
Europäische Interessen
Durch wirtschaftliche, finanzielle, politische und diplomatische Probleme wurden die Tansimatsreformen jedoch schon bald untergraben. Die seit kurzem industrialisierten europäischen Staaten benötigten das Osmanische Reich als Lieferanten billiger Rohstoffe und als Absatzmarkt für ihre Fertigprodukte. Da die Osmanen weitgehend von Kapital und technischem Wissen ausländischer Unternehmen abhingen, waren sie gezwungen hohe Anleihen bei europäischen Banken zu tätigen, daß über die Hälfte des gesamten Staatseinkommens von den Zinsen verschlungen wurde.
Staatsstreich und Verfassung
Zu diesem Zeitpunkt führten eine neue internationale Krise, ein drohender Krieg mit Russland und Österreich und die konstitutionellen Bestrebungen einer Gruppe von Reformern zum Sturz des Sultans Abd ül-Asis. Nach der kurzen Regierungszeit von Murad V. bestieg Sultan Abd ül-Hamid II. den Thron. Er erließ eine Verfassung und willigte in die Bildung eines repräsentativen Parlaments ein, das 1877 zu seiner ersten Sitzung zusammentrat, aber bald darauf wegen des Krieges mit Russland wieder aufgelöst wurde.
Die Zeit unter den Jungtürken
Die Jahre zu Beginn der Ära der Jungtürken (1908-1918) waren die demokratischste Zeit in der Geschichte des Osmanischen Reiches. Verfassung und Parlament wurden wieder eingesetzt und politische Parteien zugelassen. Die Reformen, die alle Lebensbereiche erfaßten, erreichten ihren Höhepunkt in der Trennung von Kirche und Staat im Bildungs- und Rechtswesen sowie in der Einführung der Frauenrechte während des 1. Weltkrieges. Der moderne Staatsapparat wurde auf eine demokratische Basis gestellt, Industrie und Landwirtschaft wurden gefördert und moderne Methoden zur Führung des Staatshaushalts eingeführt.
Der 1. Weltkrieg
Das Angebot Deutschlands, das Reich bei der Rückeroberung der verlorenen Provinzen zu unterstützen führte das Osmanische Reich letztendlich zum Kriegseintritt an der Seite der Mittelmächte, der nach einigen anfänglichen Erfolgen zu einem Debakel wurde. Rund sechs Millionen Menschen, etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung des Reiches, starben oder wurden getötet, und die Wirtschaft des Landes war stark angeschlagen.
Besetzung und Unabhängigkeitskrieg
Nach der Kapitulation des Reiches wurde die türkische Regierung unter die Aufsicht der alliierten Besatzungsmächte unter Führung der Briten gestellt. Auf der Pariser Friedenskonferenz wurde die Abtretung der Balkanprovinzen und der arabischen Provinzen beschlossen. Eine große griechische Streitmacht nahm 1922 Izmir ein und überfiel Südwestanatolien.
In der Folge der vorgeschlagenen Friedensregelung und als Antwort auf die Invasion Griechenlands entstand in Anatolien unter Führung von Mustafa Kemal Atatürk die türkische nationalistische Bewegung. Während des türkischen Unabhängigkeitskrieges (1918-1923) widersetzte er sich erfolgreich den Bedingungen der Alliierten, verdrängte die griechischen sowie die britischen, französischen und italienischen Besatzungsmächte und setzte eine im Frieden von Lausanne (1923) festgelegte Regelung durch, die der Türkei die Kontrolle über die türkischen Gebiete Ostthrakien und Anatolien sicherte. Nach diesem Erfolg wurde die Republik Türkei mit der Hauptstadt Ankara ausgerufen, und das Kalifat des Sultans in Istanbul und damit auch das große Osmanische Reich hörten im Jahre 1923 auf zu existieren.
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