Auch in ihren Erzählungen Weihnachten und Mit Roß und Wagen verarbeitet die Roma - Schriftstellerin ihre Erlebnisse aus der Gefangenschaft in den Konzentrations- und Vernichtungslagern und ihre Erinnerungen an die "guten alten" Zeiten, in denen sie mit ihrer Familie durch Österreich unterwegs war. Diese kurzen Erzählungen erinnern den Leser an Passagen aus ihrer Autobiographie Wir leben im Verborgenen und dem weiteren Werk Reisende auf dieser Welt. Durch Veränderungen in der Wortwahl, Satzkonstruktion und Aufbau werden diese Auszüge an die gegebene Erzählsituation und das vorhandene Leserpublikum angepaßt.
Besonders die einfache Sprache und Satzkonstruktion in Weihnachten erinnern an ein Gespräch, das Ceija Stojka mit einer Gruppe von jugendlichen Zuhörern führt. Vielleicht sind es ihre Enkeln und Enkelinnen, die über Bräuche, Religion und Festlichkeiten in der Tradition der Roma erfahren wollen. Die Erzählung selbst, sie ist im Jahre 1995 in der Zeitschrift des Roma-Vereins "Romano Centro" erschienen, gibt uns dazu keinen direkten Hinweis. Sicher ist nur, daß Ceija Stojka über drei ganz unterschiedliche Weihnachtsfeste berichtet, die ihr Leben jeweils auf ihre eigene Art geprägt haben. Vor allem die Feiertage um das Weihnachtsfest, als die Familie die Nachricht vom Tod ihres Vaters erhalten haben, werden Ceija ewig in Erinnerung bleiben. Die Mutter stand nun mit ihren Kindern alleine in der elenden Welt. Dennoch faßte sie den Mut, ein traditionelles Weihnachtsfest mit Festtagsmenü und einem reichlich geschmückten Baum zu gestalten. Die Worte, mit denen die Mutter das Weihnachtsfest nach all den Turbulenzen abschließt: "... der liebe Gott ist nicht gut auf uns zu sprechen. Ihr werdet noch sehen, was in diesem Jahr auf uns zukommen wird." deuten auf die Schicksalsschläge, die in den nächsten Jahren über sie kommen werden.
Im zweiten Abschnitt berichtet Ceija Stojka über eine ganz andere Weihnachtsfeier im Konzentrationslager. Während in den übrigen Jahren ihrer Gefangenschaft Weihnachten und Neujahr lautlos vorübergingen, prägte sich das Weihnachtsfest im Jahre 1944 besonders in ihrem Gedächtnis. Damals betraten die SS - Frauen ganz unerwartet die Baracke in diesem elenden Lager und luden die Kinder samt der Aufseherin, der Stubenältesten, zum Feste. Die ersten Sätze dieses Abschnittes könnten als Einleitung betrachtet werden, sind aber als solche formal nicht gekennzeichnet. Kurz und prägnant erklärt hier die Autorin dem Leser die Situation in der Gefangenschaft, ihre Familienverhältnisse und die brutale Behandlungsweise im Frauenlager Ravensbrück. Auch diese Passage finden wir in Ceija Stojkas Autobiographie wieder, doch wie schon zuvor erwähnt, in einer veränderten Wortwahl und Satzkonstruktion. Auffallend ist, daß dem Zigeunermädchen in ihrem Werk Wir leben im Verborgenen der Kalender mit der Aufschrift "24. Dezember 1944" sofort ins Auge fällt. In den Konzentrationslagern konnte sie keine genauen Tage, Monate und Jahre wahrnehmen, da ihr genaue Zeitwahrnehmungen an Hand eines Kalenders oder einer Uhr fehlten. Somit war in der Gefangenschaft das Zeit- und Raumgefühl komplett anders als in den übrigen Jahren ihres Lebens. Im ersten Weihnachtsfest, das Ceija ihren Zuhörern erzählt, war es die Mutter, die für die Kinder liebevoll das Fest organisiert und Hühner, Gänse, Enten, Grammel und Reis nach Hause brachte und ein wunderbares Esse bereitete. Bei der Weihnachtsfeier im Konzentrationslager hingegen hatte jedes Kind nur einen Gedanken: Sie alle sorgten um das Wohl der Mütter und unternahmen alle möglichen Versuche, ein Stück Brot oder Metwurst unter das Hemd zu schieben.
Last but not least beschreibt die Roma-Schriftstellerin ein traditionelles Weihnachtsfest, wie sie es im Jahre 1995 mit ihrer Familie gestaltete. Heute ist es einfach ein Fest mit einem ausgiebigen Festtagsmenü zu organisieren. Nach der Roma-Tradition kommen Hühner, Enten, Schweinefleisch, Kraut, Pogatschen, Strudeln ... auf den Tisch, und die ganze Familie ist geladen. Natürlich wollen alle Zigeuner bei diesem Fest voll Stolz zeigen, wie gut sie singen können und mit Segenswünschen wird viel Glück, Gesundheit und Erfolg für das kommende Jahr gewünscht.
In der weiteren Erzählung Mit Roß und Wagen erinnert sich Ceija Stojka an die "guten alten Zeiten" vor ihrer Verfolgung. Wie in der Autobiographie Reisende auf diese Welt beschreibt sie das Leben der Zigeuner, wie sie mit Roß und Wagen durch Österreich unterwegs waren. Auffallend ist jedoch, daß die Autorin in ihrem Werk Reisende auf dieser Welt in Ich-Form erzählt, während sie in der Erzählung Mit Roß und Wagen die auktoriale Erzählerhaltung bevorzugt. Mit dieser Weise steht sie als Erzählerin über dem Geschehen, kennt die Romanfiguren genau und weiß Bescheid über ihr Fühlen, Denken und Handlungsweise. Sie hat die Macht, das Geschick zu lenken. Vielleicht schafft sie sich Kraft ihrer Phantasie mit dieser Erzählerhaltung eine neue, schönere Welt. Diese Welt ist jedoch nur eine Wunschvorsttellung, die sie als handelnde Figur nicht mehr miterlebt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde den Zigeunern nämlich das Herumreisen verboten. Deshalb denkt sie heute noch gerne an die Zeit zurück, als sie an einem Lagerplatz vor dem Wald Rast gemacht haben, vor dem Lagerfeuer getanzt und gesungen und untereinander Geschichten und Erfahrungen ausgetauscht haben. Damals waren sie glücklich und frei. Auf der ganzen Welt waren sie zu Hause, denn ihre Heimat waren die Wiesen und Wälder.
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