Führt man sich die gesellschaftliche und soziale Lage des Frauenbegriffs im 19. Jahrhundert vor Augen, stellt man fest, daß die Frau zu dieser Zeit stark deklassifiziert wurde. Sie hatte weder die Möglichkeit ihre politische Meinung, in Form eines Frauenwahlrechts, zu äußern, noch Anspruch auf eine führende Position Wirtschaft oder Politik. Auch wenn die Frau, entgegen den Normen, einer Tätigkeit nachging, so wurde sie doch endgeldlich minder belohnt als männliche Arbeiter oder Dienstangestellte. Ebenfalls muß an dieser Stelle der erschwerte Zugang zu Schulen und Universitäten und die damit verbundene schlechte Ausbildungsmöglichkeiten genannt werden. Es existierte also mit dem Einsetzen des Industrialisierungsprozesses eine große soziale Not vieler Arbeiterinnen, Dienstmädchen und Näherinnen sowie mangelnde Berufsmöglichkeiten für unverheiratete Frauen aus dem Mittelstand.
Mit der bereits erwähnten Revolution in Deutschland um 1848 begann eine interessante Veränderung der ideologischen Einstellung der arbeitenden und erziehenden Frau. Es entwickelte sich in den folgenden Jahren ein stetig wachsendes Gefühl der Einigkeit und Verbundenheit unter den Frauen. Dieses Gefühl wurde dann schließlich 1865 mit der Gründung des "Allgemeinen Deutschen Frauenvereins", dem Zusammenschluß von Frauenbildungsvereinen und Frauenerwerbsvereinen, zum ersten mal verwirklicht und offen dargelegt.
Den großen Aufschwung erlebte die Frauenbewegung im willhelminischen Berlin zwischen 1870 und 1900. Ursache für diese Zentralisierung sind die Neuerungen und Veränderungen in nahezu allen Bereichen, welche wiederum durch die im vollen Gang befindliche Industrialisierung herbeigeführten wurden. Diese Veränderung wurde von der Bevölkerung mit solch einer Neugier betrachtet, daß es verständlich ist warum die Frauen-vereine auf eine so große Resonanz stießen und das Interesse für Frauenorganisationen stetig anstieg. Während der Jahrhundertwende bildeten sich im 1871 vereinigten Deutschland zwei wesentliche Richtungen heraus.
Die sogenannten Gemäßigten mit Helene Lange (1848-1930) und Gertrud Bäumer (1873-1954), welche der Mädchenschulen, die Lehrerinnenausbildung und andere begünstigende Bedingungen für das Studium von Frauen an den Hochschulen (in Berlin seit 1908) an-strebten. Bei den Gemäßigte hielt man an dem derzeit bestehenden Rollenverständnis von Mann und Frau fest. Es wurde die Auffassung vertreten, daß die Arbeit von Mann und Frau gleichberechtigt sei und den Frauen somit, ebenso wie den Männern, politische Rechte zustehen.
Die sogenannten Radikalen hingegen forderten Gleichbehandlung lediger Mütter und nichtehelicher Kinder, die Aufdeckung sexueller Doppelmoral und die Problematisierung
der Prostitution. Es wurde also keine Gleichwertigkeit, sondern eine Gleichberechtigung, von Mann und Frau, auf allen Gebieten gefordert. Diese zweite Richtung begründete 1888 den Verein "Frauenwohl" mit der Vorsitzenden Minna Cauer (1842-1922), welche gleichfalls als erste das Frauenstimmrecht in Deutschland forderte. Auch der "Bund für Mutterschutz und Sexualreform", der 1905 gegründet und unter Vorsitz von Helene Stöcker (1869-1943) geleitet wurde, ist bei den Radikalen einzuordnen. Der Kampf dieses Zweiges der Frauenbewegung um die Etablierung sozialer und pädagogischer Frauenberufe führte 1908 durch Alice Salomon zur Schaffung der "Sozialen Frauenschule" in Berlin, deren staatliche Anerkennung als Fachschule (1918) der Grundstein für die heutige Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik Berlin in Berlin war. Eine eigenständige proletarische Frauenbewegung wurde erst ab 1919 durch Clara Zetkin und Rosa Luxemburg in der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) aufgebaut.
Man sieht also, daß die Anfänge einer aktiven Frauenbewegung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts anzusiedeln sind und in den folgenden 40 Jahren eine Vielzahl von Frauen-vereinen und Fraueneinrichtungen entstanden sind. Reflektiert man, daß die Frau bis dahin
über Jahrtausende still und ruhig ihre Dienste im Haushalt verrichtete, so sind diese 40 Jahre ein gewaltiger Sprung auf dem Weg zur Gleichberechtigung. Die Frau begann mit ganzer Kraft sich langsam aber zielstrebig aus dem alten gesellschaftlichen Regelwerk zu lösen und neue, selbständige Wege zu gehen.
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