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Berlinkrise
Der DDR-Führung war es trotz umfangreicher Propagierung der Einheit Deutschlands, der Ausnutzung von Ost-Berlin als Symbol für die Einheit Deutschlands und der Unterstützung oppositioneller Kräfte in der BRD nicht gelungen, den westdeutschen Staat zu destabilisieren. Im Westen glaubte die überwiegende Mehrheit, die Einheit Deutschlands könne in absehbarer Zeit nur durch die Einverleibung der DDR realisiert werden. Die Westberliner sahen sich mehr denn je als \"Vorposten der Freiheit\" und \"Schaufenster des Westens\" In der DDR gab man die Bemühungen, die Bundesrepublik über eine Konföderation für den Sozialismus zu gewinnen, mehr und mehr auf. Als 1956 Unruhen in Polen und Ungarn die Instabilität des sozialistischen Lagers deutlich machten, wandte man sich einer Absicherung der inneren Stabilität zu. Um die hohen Flüchtlingszahlen einzudämmen, verabschiedete die Volkskammer am 11.12.1957 ein Gesetz, in dem die Republikflucht unter Strafe gestellt wurde. Der Reiseverkehr zwischen den deutschen Staaten wurde weiter erschwert, Bundesbürger brauchten fortan eine Aufenthaltserlaubnis, um in die DDR reisen zu können.
Das sowjetische Ultimatum vom November 1958
Schon am 11.8.1958 hatte die Sowjetunion in einem Schreiben an die USA gegen die Einbeziehung von West-Berlin in völkerrechtliche Verträge der BRD protestiert. Dies verstoße sowohl gegen den rechtlichen Status von Berlin (West), als auch gegen die Tatsache, dass Ost-Berlin die Hauptstadt der DDR sei. Nachdem alle Versuche, ohne Absperrmaßnahmen die Flüchtlingsströme einzudämmen, gescheitert waren, konkretisierten sich auf sowjetischer Seite die Überlegungen, Berlin (West) als destabilisierenden Faktor zu neutralisieren. Chruschtschow machte deshalb in seinem Schreiben vom 27.11.1958 den Vorschlag, Berlin (West) zu einer \"Freien Stadt\" zu erklären, entmilitarisiert und von der BRD unbeeinflusst. Mit diesem Schritt sollte der relativ offene Fluchtweg aus der DDR verschlossen werden. Um die Dringlichkeit einer Lösung der Berlinfrage zu betonen, drohte Chruschtschow, einen separaten Friedensvertrag mit der DDR zu schließen, wenn sich die Westmächte nicht binnen sechs Monaten zu ernsthaften Verhandlungen bereit erklärten. In diesem Falle fiele die Kontrolle über die Zufahrtswege von und nach Berlin unter die Zuständigkeit der DDR.
Vom Ultimatum zur Mauer
In einem weiteren Vorschlag vom Januar 1959 schlug die Sowjetunion vor, innerhalb der nächsten zwei Monate eine Friedenskonferenz einzuberufen, in der ein Friedensvertrag mit den beiden deutschen Staaten ausgearbeitet und unterzeichnet werden sollte. Obwohl die Westmächte den Vorschlag in einer gemeinsamen Erklärung zurückwiesen, zeigten sie sich doch zu weiteren Verhandlungen bereit. Auf der Außenministerkonferenz in Genf, die mit Unterbrechungen vom Mai bis August tagte, nahmen außer den vier Mächten erstmals auch Vertreter beider deutscher Staaten teil. Obwohl beide Seiten von ihren Maximalforderungen bezüglich Deutschland und Berlin abrückten, scheiterten die Verhandlungen an der Aufrechterhaltung der vom Westen eingenommener Rechtsposition für West-Berlin und deren sowjetischen Ablehnung.
In der Mitte des Jahres 1960 spitzten sich die wirtschaftlichen und politischen Probleme in der DDR zu. Formell knüpfte das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem zwar an die sozialistischen, solidarischen Ideen der Arbeiterbewegung an, doch die politische Diktatur, Rechtsunsicherheit und fehlenden Freiheiten machten diese Ideen unmöglich. Bürokratische Ineffizienz, Reparationen und Misswirtschaft behinderten das Wachstum der Wirtschaft beträchtlich. Da die DDR-Bürger neidisch auf die Bürger in der Bundesrepublik waren, die genug Freiheit hatten und eine Demokratie besaßen und außerdem das \"Wirtschaftswunder\", sorgte dafür, dass immer mehr aus der DDR flüchteten.
Der U2-Zwischenfall im Mai 1960 führte zu einer dramatischen Verschlechterung der amerikanisch-sowjetischen Beziehungen und brachte die Gefahr eines globalen Krieges in greifbare Nähe. Vor dem Hintergrund dieser weltpolitischen Konstellation wurde auch die Lösung der Berlin-Frage für die DDR immer dringender. Von 1955 bis 1960 waren schon 1.340.878 Bewohner der DDR in den Westen geflüchtet, wovon alleine 667.667 das Notaufnahmeverfahren in West-Berlin beantragt hatten. Die DDR-Führung förderte durch ihre harte Politik die Flüchtlingsbewegung. Gegen angebliche \"Menschenhändler\" wurden immer schwerere Strafen ausgesprochen. Die Regierung wandte sich nervös gegen die angeblichen \"verbrecherischen Abwerbungsaktionen\" des Westens, waren doch 50 Prozent der Flüchtlinge unter 25 Jahren. Bis zum Ende des Jahres wurde Berlin zum Schauplatz eines deutsch-deutschen \"Kleinkrieges\". Die DDR versuchte mit Drohungen gegen Bundestagssitzungen in West-Berlin, der Sperrung des Zugangs nach Ost-Berlin für fünf Tage anlässlich der Tagung der Landsmannschaften in Berlin und der Einführung des Passierscheinzwanges für Bundesdeutsche beim Besuch des Ostsektors herauszubekommen, wie weit sie die Empfindlichkeit der Westmächte gegen Restriktionen innerhalb Berlins herausfordern konnte. In der Bundesrepublik reagierte man mit Empörung und rang sich nach einiger Zeit zu einem schwerwiegenden Entschluss durch. Am 30. September 1960 kündigte die Bundesregierung das Handelsabkommen mit der DDR und stellte damit über zehn Prozent der Gesamtimporte der DDR in Frage. Obwohl die Kündigung gegen Jahresende zurückgenommen werden musste, da sie indirekt die Versorgung Berlins gefährdete, war die wirtschaftliche und politische Wirkung immens. Die Sanktionen hatten die DDR schwer getroffen und ihr die eigene Abhängigkeit von der BRD vor Augen geführt. Die \"Widerrufsklausel\", welche dem Vertrag bei seiner Wiederinkraftsetzung eingefügt wurde, führte dem sozialistischen Staat seine Abhängigkeit klar vor Augen.
Der neugewählte amerikanische Präsident Kennedy sah sich einer sich anbahnenden Auseinandersetzung gegenüber, die mit allen Mitteln psychologischer, diplomatischer und wirtschaftlicher Kriegführung geführt wurde. Im Laufe der Vorbereitungen zum amerikanisch-sowjetischen Gipfeltreffen in Wien, das am 3. und 4.6.1961 stattfinden sollten, wiederholte Chruschtschow seine Drohungen gegen den Status von West-Berlin, um die Vereinigten Staaten in der Frage der Eindämmung der Flüchtlingsströme zum Handeln zu bewegen. Das Treffen endete jedoch ergebnislos und mit der sowjetischen Drohung eines separaten Friedensvertrages mit der DDR, der in den Augen Chruschtschows ein Erlöschen der westlichen Besatzungsrechte in Berlin zur Folge gehabt hätte. Kennedy machte im Gegenzug deutlich, dass die USA die Verweigerung westlicher Rechte in Berlin als kriegerischen Akt ansehen würden und keinesfalls bereit seien, auf drei essentielle Punkte zu verzichten:
- Das Recht auf Anwesenheit in Berlin
- Die Zugangsrechte zur Stadt
- Die Lebensfähigkeit von Berlin (West)
Diese Punkte wurden unter der Bezeichnung \"three essentials\" zur obersten Maxime der amerikanischen Politik in Berlin. In den folgenden Monaten erfolgte auf beiden Seiten ein Wechselspiel von militärischen Maßnahmen, Absichtserklärungen und verbalen Drohungen, um die Gegenseite von der Unhaltbarkeit ihrer Verhandlungspositionen zu überzeugen.
Auf Seiten der DDR-Führung ergriff Walter Ulbricht am 15.6.1961 auf einer Pressekonferenz die Initiative. Im Hinblick auf die nach West-Berlin strömenden Flüchtlinge forderte er die Schließung des Flüchtlingslagers in Marienfelde, den Verzicht der Stadt auf Gewährung politischen Asyls sowie die Schließung diverser Rundfunkanstalten und des Flughafens Tempelhof. Auf die Frage:
\"Bedeutet die Bildung einer freien Stadt Ihrer Meinung nach, dass die Staatsgrenze am Brandenburger Tor errichtet wird? Und sind Sie entschlossen, dieser Tatsache mit allen Konsequenzen Rechnung zu tragen?\", Antwortete er dabei mit seinen berühmt gewordenen Worten: \"Ich verstehe Ihre Frage so, dass es in Westdeutschland Menschen gibt, die wünschen, dass wir die Bauarbeiter der Hauptstadt der DDR dazu mobilisieren, eine Mauer aufzurichten. Mir ist nicht bekannt, dass eine solche Absicht besteht. [...] Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten\".
Mit diesem westlichen Plakat sollten im Oktober 1961 die Bürger informiert werden
Obwohl genau dieses Zitat nach dem Bau der Mauer der BRD die Möglichkeit gab, der DDR nach belieben den Spiegel der \"Verlogenheit\" vorzuhalten, lässt sich jedoch bis heute nicht schlüssig beweisen, dass Ulbricht bewusst die Unwahrheit sagte. Aufgrund der wirtschaftlichen Probleme und der hohen Flüchtlingszahlen musste Ulbricht in kurzer Zeit eine Lösung finden. Doch ist nicht auszuschließen, dass er zu diesem Zeitpunkt noch an einen Verhandlungserfolg der Sowjetunion mit ihren Friedensvertragsplänen glaubte. Selbst wenn für ihn erweiterte Grenzkontrollen unumgehbar schienen, konnte er den Entschluss einer vollständigen Abriegelung der Grenzen nicht im Alleingang fällen.
Vom 3. -5.8.1961 trafen sich die Ersten Sekretäre der Zentralkomitees der kommunistischen und Arbeiterparteien der Mitgliedsländer des Warschauer Paktes in Moskau. Auf der Konferenz, auf der speziell die Deutsche Frage und das Berlin-Problem behandelt wurden, erhielt Ulbricht die politische Zustimmung der UdSSR für seine Absperrpläne Ost-Berlins. In der Nacht vom 12. auf den 13.8.1961 errichteten Volkspolizei und NVA entlang der quer durch Berlin verlaufenden Sektorengrenze Stacheldrahtverhaue und Steinwälle, die in der folgenden Zeit zu einer durchgehenden Mauer ausgebaut wurden. Gleichzeitig wurden Polizei- und Armee-Einheiten in Ost-Berlin eingesetzt, um Demonstrationen zu verhindern. Die Sowjetunion hatte der Regierung der DDR die Verfügung über den Ostsektor Berlins in allen wesentlichen Teilen übergeben und es gestattet, dass Truppen der DDR in Ost-Berlin einrückten und dass DDR-Behörden einseitig die innerstädtischen Verkehrsverbindungen blockierten. Fortan war Berlin als Fluchttor für DDR-Bürger versperrt und die DDR abgeriegelt.
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