Einen wichtigen Meilenstein in dieser Entwicklung bildete noch vor der
Industrialisierung die Veränderung der Herrschaftverhältnisse auf dem Lande. Die
bäuerliche Bevölkerung machte um 1800 etwa 75% der Gesamtbevölkerung in
Deutschland aus. Jede Mißernte und jeder Krieg bedrohte sie mit Verarmung und
Hungersnöten, ihre Mitglieder lebten in rechtlicher Abhängigkeit vom Grundherren.
Auf dem Gebiet des Deutschen Bundes wuchs die Bevölkerung zwischen 1816 und 1864
von knapp 30 Millionen auf über 45 Millionen Menschen an. Die Ernährung dieser
ständig wachsenden Zahl stellte ein ungelöstes und äußerst beunruhigendes Problem
dar. Nur eine grundlegende Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktion
konnte hier Abhilfe schaffen. Die Bauern wurden allmählich zu gleichberechtigten
Staatsbürgern und vor allem zu Eigentümern der Anbauflächen. Dies geschah auf dem
Wege staatlicher Reformen, mit denen zum Teil auf Unruhen und Aufstände reagiert
wurde.
In Preußen wurden die Erbuntertänigkeitsverhältnisse zwischen 1807 und 1850
beseitigt. Die persönliche Unfreiheit der Bauern wurde aufgehoben, damit entfiel
auch die Gerichtsbarkeit des Grundherrn, der seine Ansprüche auf Frondienste und
Abgaben verlor.
In Süd- und Westdeutschland gelangten die freien Bauern in den vollen Besitz
ihrer Höfe und zahlten den Grundherrn Ablösegelder dafür. In Preußen hingegen
mussten die Bauern bei der Übernahme der Anbauflächen in ihren persönlichen
Besitz großen Teile des von ihnen bewirtschafteten Bodens an den Grundherrn
abtreten. Dadurch entstand eine Schicht besitzloser Landarbeiter, die bei der
Entschädigung des Grundherrn ihre Existenzgrundlage verloren - eine noch größere
soziale Ungleichheit war das Ergebnis. Auch die Aufteilung der gemeinschaftlich
genutzten Böden (Allmende) an einzelne Bauern ging zu Lasten der besitzlosen
Unterschichten. Die Großgrundbesitzer widerum hatten durch die hohen
Ablösesummen, die ihnen aus den Entschädigungen der Bauern zuflossen, genügend
Kapital, um weiteren Grund und Boden zu erwerben. In Preußen konnten sie ihren
wirtschaftlichen Vorteil durch das Dreiklassenwahlrecht und eine
Verfassungsänderung in politischen Einfluß verwandeln.
Mit der Umverteilung des Großgrundbesitzes und der Neuordnung der
gesellschaftlichen Verhältnisse ging eine Veränderung der Produktionsmethoden
einher. Der einzelne Bauer verfügte nun über seine Arbeitszeit und entschied
selbständig über die Nutzung der Anbauflächen, die Einführung neuer
landwirtschaftlicher Methoden und den Verkauf seiner Produkte. Außerdem wurde die
landwirtschaftliche Nutzfläche vergrößert und die Erträge durch den Kunstdünger
und technische Geräte gesteigert. Diese Entwicklungen trugen zu einer deutlich
besseren Ernährungsgrundlage seit der Jahrhundertmitte mit bei.
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