In Berlin versammelte sich wie in keiner anderen Universitätsstadt linksalternative Studenten, da man sich in Berlin wegen des Besatzungsstatuts der "Wiederbewaffnung" im Rahmen der Bundeswehr entziehen konnte und wegen der FU Berlin, die sich als politische Universität verstand und die sich gegen das Verbindungswesen wehrte, das direkt aus dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDSTB) hervorgegangen war.
Von der Studentenbewegung aus den USA inspiriert, und die Ideen von Marx, Rosa Luxenburg und auch der Frankfurter Schule aufgreifend, begann die Berliner Studentenschaft radikaldemokratische Utopien zu entwerfen und die Verdrängung der Nazivergangenheit zu kritisieren. Der SDS wurde unter Rudi Dutschke zum Träger dieser Bewegung, die durch konflikthafte Aktionsformen, wie "Go-ins" oder "Teach-ins", auf sich aufmerksam machte.
Während sich die Kritik anfangs noch nur an universitätseigenen Problemen festmachte, bekam die Studentenbewegung mit der Ablehnung der Notstandsgesetzgebung, der Gründung der Außerparlamentarischen Opposition (APO) angesichts der großen Koalition und dem Widerstand gegen den Vietnamkrieg eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung. Praktisch alle wichtigen Ereignisse fanden in Berlin statt: die Schah-Demonstration, die Ermordung Benno Ohnesorgs, das Attentat auf Rudi Dutschke und die Angriffe auf den Springer Konzern. Aber im Gegensatz zu den Unruhen von 68 in Paris gab es in Berlin nie ein Zusammengehen zwischen revolutionären Studenten und der Arbeiterschaft, im Gegensatz dazu kam es in Berlin zu Anti-SDS Demonstrationen von "wahren Berlinern".
Neben dem politischen Aufstand gab es einen kulturellen, der sich in Berlin hauptsächlich auf den Bezirk Kreuzberg SO 36 konzentrierte, weil durch die von der Verwaltung geplante "Kahlschlagsanierung" die Mieten niedrig waren. Neben Studenten zogen vor allem ausländische Gastarbeiter in die heruntergekommenen Häuser, und es entwickelte sich eine besonderer Kiezatmosphäre. Kinder- und Ethnoläden wurden gegründet, und die Kommunenbewegung nahm von hier ihren Ausgang
Die Komune 1 (K 1) wurde am Stuttgarter Platz von 9 Männern, unter ihnen Dieter Kunzelmann, und 5 Frauen ins Leben gerufen. Neben spaßbetonten Polit-Happenings ("Wir verbrennen einen deutschen Dackel, wenn der Vietnam-Krieg nicht aufhört") wurde der Versuch unternommen, den Menschen sexuell zu befreien. Der vom Kapitalismus zerstörte "eindimensionale Mensch", von bürgerlichen Normen eingeschränkt, sollte durch andauernde Psychoanalyse befreit werden. Vom SDS wurde die Kommune bald ausgeschlossen, da sie alle Absprachen mißachtete, und die Gruppengespräche wurden immer mehr zum Psychoterror, und so scheiterte die K 1 schon nach wenigen Monaten.
Aber im Schatten der K 1 entstanden viele "realistische" Wohngemeinschaften, die zum eigenwilligen Flair von Kreuzberg beitrugen. Kreuzberg galt als Inbegriff der multikulturellen Gesellschaft, aber auch als Synonym für soziale Probleme, da alle "Besserverdienenden" das marode Kreuzberg verließen. Kreuzberg hatte die mit Abstand höchste Arbeitslosenquote, da die ehemaligen Industriebetriebe meist bankrott gingen. Außerdem entwickelte sich in Kreuzberg eine Ablehnung von staatlicher Autorität, die sich dadurch ausdrückt, daß die Einbeziehung der Polizei geächtet wurde und teilweise auch linksradikale Grupierungen polizeiliche Aufgaben übernahmen.
Die antiautoritäre Bewegung zerfiel im Laufe der 70er Jahre. Der SDS löste sich nach dem Attentat auf Rudi Dutschke auf, und die Hoffnung auf eine Befreiungsbewegung in der 3. Welt wurde enttäuscht. Während ein Teil der Bewegung sich in sektiererischen Splittergruppen verloren, versuchte ein anderer den "langen Marsch durch die Institutionen", der sich wohl endgültig mit der Zustimmung der Grünen zum Kosovo-Krieg erledigt hat. Eine kleine Gruppe versuchte, die Revolution als Stadtguerilla weiterzuführen, worauf der Staat mit starken Repressionsmaßnahmen reagierte, die sich vom Radikalenerlaß bis zum §129 niederschlugen.
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