Vorgeschichte
Nach dem Abschluß des Waffenstillstandes von Mudros,am 3o. Okt. 1918, besetzten die Alliierten zunächst Stambul und die Meerengen. Der endgültigen Friedensregelung standen die Orientinteressen, vor allem Englands, Frankreichs und Italiens, und die territorialen Interessen der Balkanstaaten entgegen. Auf Kosten der Türkei kam schließlich eine Übereinkunft zustande, die im Vertrag von Sèvres ihren schriftlichen Niederschlag fand. Die ohnmächtige Regierung Sultan Mohammeds VI. unterzeichnete am 10. Aug. 1920 den Vertrag. Dagegen wandte sich die nationale Erhebung Mustafa Kemals, der in Auflehnung gegen die Regierung des Sultans im April 1920 eine Nationalversammlung nach Angora (Ankara) berufen hatte.
Partner und Unterzeichner
Die Türkei und die Alliierten. Jugoslawien und Hedschas verweigern die Unterschrift; erstere, weil es die Bestimmungen über die Verteilung der türkischen Schulden nicht anerkennen will; letzteres wegen der Ausweisung des Emirs Faisal.
Zweck, Ziel, Absicht
Beendigung des Kriegszustandes. Durch den Friedensvertrag sollte die Türkei, die vor dem Verlust von Tripolis an Italien (ohne Ägypten) nahezu 3 Mill. Qkm mit 25 Mill. Einwohnern umfaßt hatte, auf 300000 qkm mit etwa 5 Mill. Einwohner beschränkt werden. Der Vertrag kam ohne direkte Beteiligung der USA zustande; sie hatten nur die diplomatischen Beziehungen abgebrochen, aber keine Kriegserklärung ausgesprochen. Ein Notenwechsel 1927 regelte die Beziehungen.
Inhalt (13 Teile mit 433 Artikeln; Zusammenfassung)
1. Die britische Regierung und ihre Verbündeten besetzen Konstantinopel und die Meerengen. Ein internationaler Rat übernimmt die Kontrolle und Verwaltung.
2. Die Kapitulationen werden zur Rechtssicherheit für die Ausländer in der Türkei wiederhergestellt.
3. Die Türkei kommt unter milit. Kontrolle und Finanzaufsicht, gibt die Wehrpflicht auf und darf 50000 Mann Truppen halten, aber keine Kriegs- und Luftschiffe. Sie unterstellt Häfen, Flußschiffahrt und Eisenbahnen einer internat. Kontrolle und die nationalen und religiösen Minderheiten dem Schutz des Völkerbundes. Außerdem leistet die Türkei Wiedergutmachung und liefert das Staatseigentum ihrer Verbündeten aus.
4. Die Türkei unterstellt die Dardanellen der Kontrolle der Meerengenkommission.
5. Die Türkei wird aufgeteilt, sie tritt ab:
an Griechenland: Thrazien mit Gallipoli bis zur Tschataldschalinie, alle Ägäischen Inseln außer Rhodos (für Italien bestimmt) und Smyrna;
an Frankreich: Syrien und Cilicien (Wilajet, Adana);
au England: Mesopotamien (Irak) und Palästina, dazu die Schutzherrschaft über Arabien (Königreich Hedschas);
an Italien: als Interessengebiet die Küste von Adramyti bis Adalia (Rhodos gegenüber).
6. Türkisch-Armenien wird ein selbständiger Staat; Kurdistan erhält Autonomie.
Die Türkei wird also auf Konstantinopel mit dem Gebiet bis zur Tschataldschalinie und auf Kleinasien beschränkt. Cypern, Ägypten und Tripolitanien bleiben unter englischer bzw. italienischer Herrschaft.
Ratifikation
Dieser Friedensschluß wird von der Regierung in Stambul am 10. Aug.
unterzeichnet. Die Nationalversammlung in Angora (Ankara) verlangt
Thrazien und Smyrna zurück und lehnt die militärische und finanzielle
Kontrolle ab.
Sprache
Französisch.
Weitere Entwicklung
Am 20. Okt. 1921 schließen Frankreich (Franklin-Bouillon) und die Türkei (Jussuf Kemal) zu Ankara ein Abkommen, das keiner Ratifizierung bedarf. Ein gIeichzeitiger Notenwechsel betr. die Wiederherstellung freundschaftlicher Beziehungen, Beseitigung des Kriegszustandes, Pachtgebiete in Alexandrette u. a. m. für die Türkei. Die Grenzziehung wird gegenüber dem Vertrag von Sevres wesentlich verbessert. 1921 folgt scharfer Protest Großbritanniens wegen Verletzung des Vertrags vom Sept. 1914 (Londoner Tripleentente). -Als Folge der sehr schweren griechischen Niederlage bei Sakkaria (13. Sept. 1921) verzichtet Frankreich endgültig auf das Tripartite-Abkommen vom 24. April 1920.
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