Die klassische Konjunkturtheorie
Die klassische Konjunkturtheorie wurde im wesentlichen durch Say begründet. Seiner Auffassung nach sind Wirtschaftskrisen nicht möglich, weil jeder Anbieter gleichzeitig auch wieder als Nachfrager auftritt. Nimmt man nun an, daß als Zahlungsmittel für Güte r wiederum Güter fungieren, so wird einer doppelten Nachfrage stets ein doppeltes Angebot gegenüberstehen. Die Verwendung von Geld als Wertaufbewahrungsmittel wird von dieser Modellvorstellung selbstverständlich nicht zugelassen. Das stets vorhandene Glei c hgewicht zwischen Angebot und Nachfrage überträgt Say auch auf den Arbeitsmarkt. Es kann kein Überangebot von Arbeitskräften geben, weil bei einer großen Zahl von zur Verfügung stehenden Arbeitskräften die Löhne sinken. Die Unternehmer können dann mehr A rb eiter einstellen. Daraus folgt schließlich, daß eine sich selbst überlassene Volkswirtschaft immer automatisch zu Vollbeschäftigung tendiert. Staatliche Eingriffe sind daher nach der Meinung von Say nicht notwendig. Sie würden nur die individuelle Freih eit des Einzelnen beschränken und damit der Wirtschaft schaden. Say trifft bei diesem Modell eine Reihe von Bedingungen, die für seine Zeit noch recht erfüllbar sind. So muß ein konstantes Preisniveau vorrausgesetzt (inflationäre Tendenzen werden also ausg esc hlossen) und der technische Fortschritt ausgeschlossen werden. Werden alle Anforderungen erfüllt, so kann es normalerweise nicht zu Krisen kommen. Say räumt lediglich ein, daß exogene Faktoren wie Kriege kurzzeitige Konjunkturschwankungen verursachen k önnt en.
Die neoklassische Konjunkturtheorie
Die klassische Konjunkturtheorie wurde um einige Bedingungen erweitert. Auf der neoklassischen Theorie basieren auch heute noch eine Reihe von wirtschaftlichen Erklärungsmodellen wie die Nachfrage (z.B. in Bezug auf Grenznutzen)- und Preistheorie. Im Gegen satz zur Klassik berücksichtigt die Neoklassik z.B. die wirtschaftliche Entwicklung. Darüberhinaus dominiert in der Neoklassik die subjektive Wertlehre, d.h. der Wert und Preis eines Gutes richtet sich nicht wie in der objektiven Wertlehre nach der zur He r stellung notwendigen Arbeitsmenge sondern nach der individuellen Wertschätzung eines Wirtschaftssubjektes für das jeweilige Produkt. Zwangsläufig steht bei allen Betrachtungen nach dem neoklassischen Modell daher auch die Nachfrageseite im Vordergrund. E be nso wie in der Klassik legt man bei völlig variablen Löhnen und Preisen eine Tendenz zum Gleichgewicht zu Grunde. Hintergrund dieses Gleichgewichtsdenkens sind die Gewinn- und Nutzenmaximierung der Marktteilnehmer. Hieraus wird deutlich, daß auch das ne okl assische Modell von einer Reihe von Annahmen ausgeht. Dazu gehören:
. Eine Vielzahl von Anbietern steht einer Vielzahl von Nachfragern gegenüber (atomistische Konkurrenz). Außerdem besteht freier Marktzutritt.
. Alle Anbieter von Arbeitskraft sind homogen.
. Es besteht Markttransparenz, d.h. alle Marktteilnehmer können sofort auf Lohnveränderungen usw. reagieren.
. Die Arbeitskräfte sind mobil, d.h. sie wechseln immer dorthin, wo sie die besten Arbeitsbedingungen vorfinden.
In der Neoklassik wird nun neben dem Gütermarkt auch der Arbeits- und Geldmarkt betrachtet. Auf dem Arbeitsmarkt nimmt mit steigendem Reallohnsatz das Angebot an Arbeitskräften zu; bei sinkenden Reallöhnen fragen die Unternehmer mehr Arbeit nach. Aufgrund von bestehender Nachfrage und Angebot wird sich ein bestimmter Gleichgewichtslohn ergeben. Es herrscht dann Vollbeschäftigungsgleichgewicht, d.h. alle die zum Gleichgewichtslohn arbeiten wollen, erhalten einen Arbeitsplatz. Es gibt also lediglich eine frei willige Arbeitslosigkeit. Auch bei steigendem Angebot (z.B. durch Bevölkerungswachstum) bildet sich wiederum ein Gleichgewichtslohn heraus (dieser ist nun niedriger), zu dem alle Arbeitswilligen beschäftigt werden können. Der Marktmechanismus sichert also die Vollbeschäftigung. Hierin stimmt die Neoklassik also vollkommen mit der Klassik überein. Allerdings räumen die Theoretiker der Neoklassik ein, daß es eine kurzfristiges Ungleichgewicht geben kann. In einem solchen Fall setzt ein Anpassungsprozeß ein. D ie Möglichkeit einer kurzfristigen Arbeitslosigkeit wird demnach eingeräumt. Langfristig sichert jedoch der Marktmechanismus die Stabilität. Kurzfristige Arbeitslosigkeit kann in der Neoklassik in verschiedenen Varianten auftreten.
. Bei zu hohen Löhnen übersteigt das Angebot die Nachfrage, d.h. es gibt eine Hochlohnarbeitslosigkeit. Dann muß der Lohn soweit gesenkt werden, daß Angebot und Nachfrage wieder übereinstimmen.
. Durch Veränderungen in der Nachfragestruktur (Nachfrage nach einem Produkt geht zurück, während sie nach einem anderen zunimmt) kann es zu kurzfristiger struktureller Arbeitslosigkeit auf Teilarbeitsmärkten kommen. Damit werden sich jedoch gleichzeitig Pre is- und Lohnsenkungen für das weniger nachgefragte Gut und Erhöhungen für das mehr nachgefragte Produkt ergeben. Schließlich folgt daraus wieder die Tendenz zum Gleichgewicht.
. Friktionelle Arbeitslosigkeit kann auftreten, wenn jemand eine Stelle kündigt, aber nicht sofort wieder eine neue besetzt.
Die Konjunkturtheorie von Keynes
Keynes ist der Auffassung, daß die neoklassische Konjunkturtheorie von Voraussetzungen ausgeht, die sich in der Realität nicht antreffen lassen. Bestätigt werden seine Überlegungen durch die Weltwirtschaftskrise nach dem 1.Weltkrieg. In dieser tritt erstma ls eine langfristige Arbeitslosigkeit auf, die es nach der klassischen Theorie eigentlich nicht geben kann. Keynes entwickelt daraufhin ein neues Konjunkturmodell, das die Schwächen des Kapitalismus (die langfristige Arbeitslosigkeit) beseitigen soll. Der wesentliche Aspekt des Keynesiasmus ist der Eingriff des Staates zur Nachfrage und Investitionssteigerung. Kritiker behaupten, Keynes verfolge damit langfristig eine Verstaatlichung der Produktionsmittel. Diese Unterstellung entspricht jedoch keinesfalls d en tatsächlichen Überlegungen. Keynes hielt den Kapitalismus für das einzig richtige Wirtschaftssystem, weil es die individuelle Freiheit der Wirtschaftssubjekte und Objekte garantiert. Insoweit stimmt Keynes mit Adam Smith überein. Keynes ist jedoch der M einung, daß die Wirtschaft in Krisen nicht völlig sich selbst überlassen werden könne. Langfristige Arbeitslosigkeit und schließlich der Niedergang des Kapitalismus könnten die Folge sein. Zur Sicherung der Existenz des Kapitalismus fordert Keynes daher di e Aufgabe der »Nachtwächterrolle« des Staates. Im einzelnen sieht sein Modell folgende Punkte vor:
- Grundposition: Die klassische Wirtschaftstheorie basiert auf einer Reihe von Voraussetzungen, die jedoch in der Realität nur selten erfüllt sind. Daher treten in der Wirklichkeit Probleme wie langfristige Massenarbeitslosigkeit auf, die von der Theorie eigentlich ausgeschlossen werden.
Zu den von Keynes kritisierten Prämissen gehören:
- Die in der Neoklassik streng vorgenommene Trennung des monetären Sektors, also von Geld und Produktion widerspricht der Realität. Geld wird nämlich auch als Wertaufbewahrungs (Vorsichts)- oder Spekulationsmittel und nicht nur als Tauschmittel verwandt wi rd. Der von Say aufgestellte Grundsatz, daß Nachfrage und Angebot immer gleich sind, weil jeder Anbieter auch in gleicher Weise nachfragen, trifft damit nicht mehr zu. So ist es wahrscheinlich, daß die Haushalte aus Vorsicht einen Teil ihres Einkommens a u ch dann nicht ausgeben, wenn die Zinsen extrem niedrig sind. Dann ist das Angebot plötzlich größer als die Nachfrage, d.h. es kommt zu Produktionseinschränkungen, Rückgängen der Investitonsgüternachfrage und Arbeitslosigkeit. Es wird also auch ein gesamt wi rtschaftliches Gleichgewicht bei Unterbeschäftigung hergestellt. An diesem Beispiel wird der direkte Zusammenhang zwischen dem Geldmarkt und dem Umfang der Produktion deutlich.
- Durch »stillgelegtes« Geld ist also Arbeitslosigkeit zu Stande gekommen. Die Neoklassik geht nun davon aus, daß diese nur kurzfristig sein kann, weil durch das Überangebot von Arbeitskräften die Löhne sinken und damit die Unternehmer wieder mehr Personen einstellen. In der Realität sind jedoch die Löhne durch Gewerkschaftsvertäge u.ä. nach unten weitgehend starr. Bei einem Nachfragerückgang gibt es dadurch eine unfreiwillige Arbeitslosigkeit, d.h. nicht alle Personen, die bereit sind zum Marktlohn zu ar beiten, finden eine Stelle. Aber auch, wenn man flexible Preise und Löhne annimmt, würde es nach Keynes niemals zu einer Wiederherstellung der Vollbeschäftigung kommen. Bei sinkenden Löhnen würde nämlich die Konsumnachfrage der Haushalte zurückgehen. Das E rwarten von weiteren Lohnsenkungen könnte diesen Effekt noch verstärken. Zusammenfassend läßt sich also sagen, daß es keine automatische Rückkehr zur Vollbeschäftigung gibt, wie dies in der Neoklassik angenommen wird.
- Die unfreiwillige Arbeitslosigkeit wird also weiter bestehen, weil es ein gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht bei Unterbeschäftigung gibt. Ohne die Einwirkung von exogenen Faktoren würde sich also eine langfristige Massenarbeitslosigkeit ergeben. Die u nfreiwillige Arbeitslosigkeit kann nur beseitigt werden, wenn sich die Nachfragekurve wieder nach rechts verschiebt. Dies wird jedoch nicht von selber geschehen. Nach Keynes ist es nun die Aufgabe des Staates, als Nachfrager aufzutreten und damit in das W i rtschaftsgeschehen einzugreifen.
|