Die meisten EU-Staaten erfüllen die Kriterien noch nicht vollständig und müssen daher noch große Anstrengungen unternehmen, um zu den Gründungsmitgliedern zu zählen.
7.1 Tabellarische Auflistung
Es wurden diejenigen Länder ausgewählt, die entweder durch ihre Konvergenzzahlen herausstechen oder anhand anderer Merkmale im folgenden Text näher behandelt werden sollen.
Länder Inflationsrate
( höchstens 2,8%) Haushaltsd.10
( höchstens 3%) Staatsversch.10
( höchstens 60%) langfr. Zinsen
Deutschland 1,6% 4,0% 60,3% 5,994%
Frankreich 1,9% 4,4% 53,5% 5,938%
Luxemburg 1,3% -1,5%* 7,8% 5,930%
Italien 3,9% 6,6% 123,4% 8,395%
England 2,3% 4,2% 54,3% 7,523%
erfüllt
nicht erfüllt
* Überschuß
Bei den Kriterien eins und vier sieht die Situation noch recht gut aus, denn sie werden von vier der fünf Länder erfüllt ( bis auf Italien). Die seit Jahren verfolgte
Stabilitätspolitik hat zu einer Annäherung der Inflationsraten auf einem niedrigen Niveau geführt. Das Budgetdefizit von 3% gilt im allgemeinen als die wichtigste Bedingung. Auf diese Größe haben die Regierungen einen unmittelbaren Einfluß und versuchen deshalb mit neuen Einnahmen, Einsparungen oder Haushaltstricks, das Defizit zu verringern.
Die Gesamtverschuldung wird bei den meisten EU-Staaten durch Altlasten bestimmt, die kurzfristig nicht mehr zu beseitigen sind. So ist es selbst für Länder mit einem Schuldenberg von knapp über 60% ( wie z.B. Deutschland) nicht einfach, den geforderten Wert zu erreichen.
7.2 Luxemburg als sicherer Kandidat
Das Großherzogtum glänzt als einziges Land mit einem Haushaltsüberschuß, der 1997 voraussichtlich 1,0% des BIP betragen wird. Die seit Jahren niedrige Staatsverschuldung wird sich im Bewertungsjahr auf nur 7,5% belaufen. Langfristige Zinsen und die Inflation runden das glänzende Gesamtbild ab und liefern den Beweis, daß Luxemburg als das sicherste Gründungsmitglied gilt.
7.3 Deutschlands Sparpläne
Die Bundesrepublik gehört zu den beiden Kernländern ( neben Frankreich), ohne die man sich eine Währungsunion kaum vorstellen kann. Gemäß einer Anweisung des Bundesverfassungsgerichts vom Oktober 1992 als auch vom Deutschen Bundestag hat die Regierung den Auftrag bekommen, die Konvergenzkriterien strikt auszulegen. Dieses Beharren auf die Geldwertstabilität des Euro widerspricht aber der eigenen durchwachsenen ökonomischen Situation. Rezession und hohe Arbeitlosigkeit lassen die Bundesregierung ständig über mögliche Sparmaßnahmen nachdenken. So sieht, zum Beispiel, das Anfang September beschlossene Sparpaket Kürzungen der diversen
Arbeitsmarktbudgets von acht Milliarden Mark vor. Wie realistisch diese Planung ist, muß sich erst noch zeigen, da sie unter anderem von einer Annäherung der Beschäftigungslage in Gesamtdeutschland ausgeht.
Sehr nahe an der Grenze des Legalen liegt der Haushaltsplan 1997, in dem Investitionen von 60,6 Milliarden einer Nettokreditaufaufnaheme von 56,5 Milliarden Mark gegenüberstehen.
Trotz dieser erheblichen Sparbemühungen wird das Staatsdefizit 1997 mit geschätzten 3,3 Prozent wohl über der Maastricht-Grenze von drei Prozent bleiben. Um das Kriterium zu erfüllen, müßten Bund, Länder, Gemeinden und Sozialkassen noch zwölf Milliarden Mark sparen.
7.4 Frankreichs Finanztricks
Frankreichs Wirtschaftslage ähnelt der schlechten Situation in Deutschland. Ein hohes Wirtschaftswachstum ist nicht in Sicht, und die Konvergenzwerte beider Nachbarländer divergieren nicht stark voneinander. Wegen dieses kritischen Zustandes hält die französische Regierung an der Politik der Einschränkung der Staatsausgaben und der Währungsstabilität fest. Sorgen macht der Budgetentwurf für 1997, der offenbar mustergültig die Richtmarke für die öffentliche Neuverschuldung erfüllt, jedoch der Kreativität der französischen Finanzminister zuzuschreiben ist. Entscheidend für den nur bilanztechnisch so überzeugenden Etatplan ist eine Einmalzahlung der France Telecom an den Staat von 37,5 Milliarden Franc, welche die Nettoneuverschuldung um 0,5% senken soll. Im Gegenzug übernimmt der Staat die Pensionsrückstellungen für die Mitarbeiter des vor der Privatisierung stehenden Fernmeldekonzerns. Kurzfristig wird das Budget dadurch entlastet, bis zum Auslaufen der Rentenregelung entstehen aber zusätzliche Lasten von schätzungsweise 250 Milliarden Franc für den Staat. Weiterhin
stehen Kürungen im Sozialbereich von 18 Milliarden Mark an. Bis zu 7000 Arbeitsplätze sollen im öffentlichen Dienst, trotz der ohnehin schon hohen Arbeitslosenquote ( 12%), gestrichen werden und statt für 720000 wird es nur mehr für 500000 Franzosen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen geben.
7.5 Italien mit wirtschaftlichen Problemen
In Italien versucht man mit aller Macht in die EWWU aufgenommen zu werden, " koste es, was es wolle" .
Ein sehr umstrittener Schritt zu diesem Vorhaben war das Haushalts- und Finanzgesetz für 1997. Es sieht vor, die Staatsausgaben um 62,5 Mrd. DM zu entlasten. Diese Summe setzt sich folgendermaßen zusammen:
12,5 Mrd. DM aus buchungstechnischen Maßnahmen
ebenfalls 12,5 Mrd. DM aus einer einmalig ehobenen Europa-Steuer
( Zusatz zur Einkommenssteuer)
25 Mrd. DM aus Ausgabenstreichungen um 5 bis 7% bei den Ministerien und geringeren Zinsausgaben
zusätzliche Einnahmen, die nicht weiter spezifiziert werden
Mißtöne bei diesen Bemühungen könnten sich ergeben, wenn das Wirtschaftswachstum nicht, wie geplant, bei 2%, sondern nach realistischen Schätzungen bei 1 bis 1,5% liegen wird. Finanzfachleute kritisieren auch den einmaligen Charakter dieser Maßnahmen,
" der nicht zur dauerhaften Besserung der Staatskonten" beitrüge. Durch die Steuererhöhungen würde außerdem der schwache Inlandskonsum noch mehr gebremst und die Konjunkturflaute Italiens verstärkt werden.
Mit dem Eintritt in den Wechselkursverband des EWS am 24. November 1996 hat die Lira wahrscheinlich erst ein Kriterium erfüllt, und auch die Inflationsrate liegt mit 3,9% nicht auf Maastricht-Kurs. Das gesamtwirtschaftliche Defizit soll durch das Sparpaket von 6,6% ( 1996) auf 3,3% ( 1997) gesenkt werden. Es stellt sich aber die Frage, ob die Bedingungen für eine auf Dauer tragbare Finanzlage damit erfüllt werden. Probleme macht deshalb auch die hohe Bruttoverschuldung, die mit 123,4% des BIP doppelt so hoch wie der Referenzwert ist. Man erhofft sich deshalb niedrige Zinsen und verweist darauf, " daß es bei diesem Kriterium vor allem auf den sinkenden Trend und weniger auf die punktgenaue Erfüllung (...) ankomme" .
7.6 Englands politische Uneinigkeit
Die Probleme in diesem Mitgliedstaat der EU gehen nicht auf wirtschaftliche Defizite, sondern auf politische Meinungsverschiedenheiten zurück.
Die im Moment noch konservative Regierung ( Tory-Partei) ist in zwei verschiedene Lager gespalten, den Europa-Gegnern und -Befürwortern. Der linke Parteikern unter Premierminister John Major spricht sich für ein föderal organisiertes Europa aus und betont seine Haltung zur Einheitswährung. Das letzte Wort über den britischen Eintritt in die Währungsunion soll seiner Meinung nach dem Volk in einem Referendum eingeräumt werden.
Im rechten Flügel der Partei gruppiert sich aber ein großer Anteil von Skeptikern, die mit Austritt drohen, falls Major nicht rechtzeitig vor der Wahl im nächsten Jahr den EWWU-Beitritt Großbritanniens zumindest in der Anfangsphase ausschließt. Major selbst will im " nationalen Interesse an den Verhandlungen beteiligt sein" , um nicht
" einer mit wirtschaftlichen Fehlern behafteten Währungsunion beizutreten"16.
Auch die Bank of England sieht Nachteile, falls Großbritannien erst nach 1998 in die EWWU eintreten sollte. " Reale Wettbewerbsnachteile" für die britischen Finanzinstitutionen wären genauso die Folge wie eine Nichtberücksichtigung der " Bank of England im Entscheidungsprozeß um die Rahmenbedingungen einer gemeinsamen Geldpolitik"17.
Inzwischen hat die rivalisierende Labour Partei Kapital aus den Uneinigkeiten der konservativen Regierung geschlagen und sicherte sich durch eine Nachwahl die Regierungsmehrheit. Die wohl zukünftige Führungspartei unter Tony Blair sieht die Währungsunion mit Skepsis, setzt aber auf ihre innerparteiliche Geschlossenheit.
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