Eine neue Zeit kündigte sich in neuen Ideen an. Die reformierte Theo-logie
befreite sich von den starren Lehrsätzen, mit denen die Kirche
Pfarrer und Gläubige disziplinierte. Die wiedererlangte Freiheit nutz-ten
zum einen die Rationalisten mit ihrer Vorstellung von einer vernunft-geregelten
Religion und auf der anderen Seite die Pietisten, welche
den frommen Lebenswandel in den Mittelpunkt des Glaubens rückten.
In der Naturforschung war die kopernikanische Wende zum heliozen-trischen
Weltbild überall vollzogen. Beobachtungen und Experimente
wurden als Erkenntnismittel in ihr Recht gesetzt. Grosses Ansehen erwarb der Mathematiker Leonard Euler, der Alpenforscher Horaz
Bénédict de Saussure, der 1787 als einer der ersten den Montblanc
bestiegen hatte und Albrecht von Haller, der es als Arzt und Biologe
sowie als Dichter der Alpen zu Weltruhm brachte. Diese wissenschaft-lichen
Fortschritte bewegten viele Patrizier aus persönlicher Liebhabe-rei,
Naturalienkabinette anzulegen, in denen sie Steine, gepresste Pflan-zen,
Tierknochen, aber auch Kupferstiche, Münzen und Kunstgegen-stände
sammelten.
Politische Bedeutung gewann die Naturrechtslehre, zu der die West-schweiz
einen grossen Beitrag geleistet hatte. Ihre Vertreter gingen
davon aus, dass die Menschen von Natur aus gleich und frei seien.
Der Genfer Uhrmachersohn J.-J. Rousseau stand jedem Menschen ein
Widerstandsrecht gegen jegliche Beherrschung zu, sofern der Mensch
nicht mit einem anderen vertraglich in einem Verhältnis steht.
Die Erziehungsexperimente von Heinrich Pestalozzi (1746-1827) er-langten
eine weit über die Schweiz hinausreichende Bedeutung. Er
forderte eine umfassende Bildung für das ganze Volk, speziell aber für
die ländlichen Untertanen, die durch harte Berufsarbeit dem Elend
entrinnen sollten. Zwischen 1770 und 1800 soll sich der Alphatbe-tisierungsgrad
von 15% auf 25% erhöht haben. Kirche und Obrigkei-ten,
in deren Händen die Volksschule lag, hatten ein Interesse an lese-kundigen
Untertanen. Aber die Untertanen hatten zu Hause selten mehr
als einige Bücher und Volkskalender, die sie von Hausierern erworben
hatten. Erst die Lesegesellschaften ermöglichten grösseren Gruppen
die Lektüre zeitgemässer Autoren. Diese gab es sogar in den Untertanen-gebieten,
sieben allein in der Zürcher Landschaft. Man sass gemein-sam
zusammen und trank Kaffee, um den Verstand zu schärfen. In
einer solchen Runde hat der Bauer Ulrich Bräcker (1735-1785) auch
die Werke Shakespeares kennengelernt. Er verfasste später selbst die
autobiographische Lebensgeschichte des "armen Mannes im
Tockenburg", welche einen einmaligen Einblick ins Leben des einfa-chen
Mannes gestattet.
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