Diese Menschen, die seit 40.000 Jahren auf diesem Kontinent leben, waren Nomaden, die es gewohnt waren, ausschließlich von dem zu leben, was ihnen die Natur gab. Auf ihren 'Songlines', den unsichtbaren Linien, die sich an fixen Punkten (markante Bäume, Felsen, Büsche ...) kreuzten, wanderten die Aborigines durch ihr weites Land. Es gab bei den Aborigines keine Schriften, deshalb lernte jeder von ihnen die Songs (Kreuzungen) anhand von Liedertexten auswendig. Ihre ganze Orientierung basierte einzig auf diesen 'Texten', die von Generation zu Generation weitergegeben wurden. So hatten viele Stammesältere eine perfekte Landkarte vom gesamten Kontinent im Kopf.
Die Aborigines suchten ihre Nahrung nicht, sie fanden sie. Denn sie lebten streng nach dem Grundsatz: \"Wer sucht und jagt, der beutet aus. Wer aber Nahrung findet, dem hat das Schicksal seine Ration bereitgelegt.\" Daß sie bei der Auswahl ihrer Nahrung nicht wählerisch waren, erschreckte die europäischen Siedler seit jeher. So standen allerlei, bitter schmeckende Früchte, die im Staub der Wüste wuchsen, ebenso auf ihrem Speiseplan wie Engerlinge, Maden, Echsen, Schlangen, Kamele, Wasserbüffel aber auch Nüsse, Kräuter, Gewürze, Pilze, Gemüse sowie Vögel, Fische und vieles mehr, das heutzutage als 'Bush Food' auch auf den Speisekarten der Nobelrestaurants zu finden ist.
Die Aborigines lebten in dreihundert verschiedenen Stämmen. Dazu bedienten sie sich zweihundertfünfzig verschiedener Sprachen, aus denen wiederum neunhundert verschiedene Dialekte hervorgingen, welche untereinander nicht verstanden wurden. Diese Sprachen sind mit anderen Sprachen dieser Welt nicht zu vergleichen, und es ist auch fast unmöglich eine solche zu erlernen. Ein Wort, das vom Vater zum Sohn gesprochen wird, kann eine ganz andere Bedeutung haben, als wenn die Mutter dieses Wort an ihre Tochter richtet. Außerdem bedienen sie sich sehr, sehr langer, fast unaussprechlicher Wörter. Die Bedeutung eines Satzes hängt auch sehr von der Gestik und dem Tonfall ab. Wird ein Satz im Sitzen oder im Stehen ausgesprochen, kann der Sinn des Gesagten schon verändert werden. Heute gibt es nur mehr etwa fünfzig verschiedene Aborigine-Sprachen, und es werden immer weniger.
Die Aborigines waren auch wahre Meister in der telepatischen Kommunikation und großartige Naturmediziner, die mit der Kraft ihrer geistigen Energie angeblich Krankheiten und sogar Knochenbrüche innerhalb kürzester Zeit heilen konnten.
Als die ersten Einwanderer aus Europa in Australien eintrafen, beschrieben sie dieses Naturvolk als schwarzes, unzivilisiertes (sie waren nackt), primitives, dummes, dreckfressendes Gesindel, das ihnen das Vieh stahl. Die Aborigines wußten nicht, daß diese Tiere jemandem gehörten.
Bis zum heutigen Tag, so hat man das Gefühl, wird dieses friedfertige Volk, mit dem enormen spirituellen Wissen, von den weißen Mitbürgern nicht verstanden. 'Mitbürger' stimmt nicht ganz, denn erst in den sechziger Jahren wurden die Aborigines als Bürger Australiens anerkannt, wenn auch mit eingeschränkten Bürgerrechten.
Die Regierung hat sie in Reservate gepfercht, die viel zu klein und zu unfruchtbar für so viele Menschen sind. Man gab ihnen Wellblechhütten, die sie bewohnen sollten - und das schlimmste: man gibt ihnen Geld statt Nahrung. Heute schaut man nur beschämt zur Seite, wenn ein alter Aborigine mit dreckigem Gewand und zahnlosem Mund, vor einem Bottle Shop um ein paar Cent's bettelt. Groteskerweise lernen heute die schwarzen Kinder die Kultur der Aborigines in der Schule von weißen Lehrern.
Zu vieles wurde hier schon falsch gemacht, und ich weiß nicht, ob ich bestürzt oder froh sein soll, daß sich dieses Volk, das seine Ursprünglichkeit nicht mehr wiedererlangen kann, aufgrund des zunehmenden Alkoholismus immer weniger vermehrt.
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