Einleitung
Der Islam entstand in der Welt der Nomaden, in den Weite der Steppen und Wüsten Arabiens und er fand die Grenzen seiner Ausbreitung dort, wo die Trockentäler zwischen Marokko und Innerasien an andere Landschaftsbereiche anstießen. Nichts weist auf eine gewisse \"arabische Form\" der frühen Architekturen Arabiens hin; die geringe Zahl städtischer Siedlungen überhaupt beweist, daß das Land weder zur Urbanisierung geeignet war, noch das darin Ehrgeiz seitens der Bevölkerung aufgebracht wurde (SIUS, S.52).
Es ist unmöglich, vom arabischen Haus als eine Art Typ zu sprechen, aber es ist möglich, auf Typen hinzuweisen, die Araber etwa im Maghreb bewohnten (SIUS, S.53).
Allerdings ist der theoretische Oberbau des Islams ein entscheidendes Element beim Bau eines Hauses. Er bildet die Lebensgewohnheiten und Gebräuche aus, er prägt die Familienstruktur der Großfamilie, bei der Heirat den Zuzug von Personen in den Familienkreis bedeutet. Die wechselnde Familiengrößen machen eine ständige Anpassung der Wohnung an unterschiedliche Nutzer und Nutzungen notwendig. Erweiterungen werden benötigt, wenn der Besitzstand wächst oder die Bauten verfallen, wenn er abnimmt. Den Zelten der Nomaden nicht unähnlich ist das andauernde Bedürfnis nach Veränderung der Wohnung. Dies bedeutet für den einzelnen Raum, daß er nutzungsneutral wegnehmbar aber auch addierbar sein muß. Hierbei schält sich ein additives Prinzip heraus, nämlich die Wohnung ist die Addition von einzelnen Raumzellen (SIUS, S.1).
So wie bei den Zelten für die jeweilige Familiengrößen einzelne Zeltbahnen entweder aus der Zeltplane herausgenommen oder in sie eingearbeitet werden kann. Allerdings besteht hier ein wichtiger Unterschied: wird eine neue Familie gegründet, so wird ein neues Zelt benötigt, innerhalb eines Hauses werden neue Räume oder Anbauten für die neuen Familienmitglieder benötigt. Eine Addition der Wohnräume symbolisieren die Ghorfas in Tunesien, aber auch die Höhlen in Matmata, wo der zusätzliche Raum eine neue Höhle ist.
Den Hausbau, sowie das Anlegen von Siedlungen, besorgten andere, d.h., die nicht arabischen Moslems wie die Berber oder die Kabylen (SIUS, S.52).
Das änderte sich erst mit der Vertiefung und Verinnerlichung des islamischen Denkens und unter dem Einfluß anderer Nationen innerhalb der umma, wie der Perser, Berber und Türken.
Das Haus der Moslems hat bestimmte, sowohl aus natürlichen Gegebenheiten als auch aus der geistig-seelischen Sphäre des Menschen herauswachsende Aufgaben zu erfüllen. Die natürliche Umgebung fordert vom Haus, das es seine Bewohner gegen die wochenlange Sommerhitze, gegen die Winterkälte, gegen die zwar seltenen, dann aber sintflutartig, fallenden Regengüsse und gegen Sand- und Staubstürme schützt. Prinzipiell zwingen die atmosphärischen Einflüsse nicht zum Hausbau, da das Zelt diese erforderlichen Schutzanforderungen erfüllt.
Allerdings bietet das Haus dem Moslem die Möglichkeit, sich räumlich abzusondern und ein Leben nach eigener Ordnung, von niemanden beobachtet zu führen (SIUS, S.53).
Wie eng zum Beispiel Familie und Haus zusammenhängen, wird an dem kabylischen Wort für \"Haus\" (akhkham) ersichtlich; es bezeichnet gleichzeitig das traditionelle Wohnhaus und die Großfamilie (RIPSAM, S.22). Das Haus bildet die Voraussetzung für den Zusammenhalt der Familie und es dient für die wichtige Abschottung der Frau gegenüber der Umwelt, und zwar sowohl räumlich als auch geistig.
Allerdings zwang der Mangel an Baumaterialien zu eingeschränkten Gestaltungsmöglichkeiten. Je nach Landschaft sind zwischen Schilf-, Zweiggerüst-, Holz-, Stein- und Lehmbauweisen zu unterscheiden (SIUS, S.53).
III.1. Beispiel eines islamischen Stadtwohnhauses
(M\'zabitisches Wohnhaus in Algerien)
M\'zabiten sind durch die Islamisierung und die Hilalische Wanderung zurückgedrängte Berber, die sich in ein besonders unzugängliches Tal zurückgezogen haben. Dort gründeten sie 1011 die Stadt El Ateuf.
Die Stadtstruktur ist typisch \"islamisch. Ein Netz winkliger und enger Sackgassen durchzieht das dichte Baugefüge, wobei dieses einem Gewebe gleicht, in dem das Haus die Zelle und der Hof der Zellkern ist. Das Haus zeigt sich nach außen geschlossen (SIUS, S.5).
Man betritt es über den Pfortenraum (skifa), dessen beider Türen im Winkel oder Versatz zueinander angeordnet sind, damit bei der offenstehenden Tür keine Einsichtsmöglichkeit in das Haus besteht.
Nach der zweiten Tür betritt man einen Nebenraum. Bis hierher ist das Haus halb-öffentlich. Der Raum dient dem unverbindlichen Zusammentreffen mit Leuten aus der Nachbarschaft oder auch fremden Gästen. Überdies wird in ihm während der Gebetsstunde auch gemeinsam gebetet.
Danach tritt man in den zentralen Hof, um den herum Küche, Vorratslager und der Arbeitsraum der Frau (tizifri) angeordnet sind. Die Wand zwischen tizifri und skifa besitzt in Sitzhöhe ein kleines Loch, das den Blick auf die Straße freigibt. Somit kann die Frau, die ihre Arbeit sitzend auf dem Boden verrichtet, den Hauseingang kontrollieren und das Geschehen auf der Straße beobachten, ohne dabei selbst gesehen zu werden (SIUS, S.6).
Aufschnitt eines m\'zabitischen Wohnhauses
(nach SIUS, S.6)
III.2. Siedlungsform
Wie im vorangegangenen Kapitel erwähnt, waren Expansionsbewegungen von Nomaden der Grund für das Zurückziehen von Seßhaften. In bestimmten Regionen wie dem M\'zab in Algerien, oder im Süden Tunesiens wurden Wehrsiedlungen,, die ksour errichtet, um sich gegen die Überfälle der Nomaden besser zu schützen. Die seßhaften Oasenbauern waren gezwungen, sich in Wehrsiedlungen zusammenzuschließen. Die daraus entstandenen ksour (Singular: ksar) werden von der bodenbauenden Bevölkerung bewohnt. Sie stellen kein zufällig gewachsenes Gebilde wie etwa ein Gebirgsdorf dar, sondern geplante und einheitliche Gebilde.
In ihm leben die verschiedenen Sozialen Gruppen nach Vierteln getrennt. Die Größe eines Ksar variiert beträchtlich, von 5-6 Häusern bis zu mehreren 100. Ein ksar ist aber selten größer als 1 bis 1½ ha mit 400-1000 Einwohnern. Liegt die Einwohnerzahl höher, so bilden sich mehrere ksour, aber kein großer ksar (RIPSAM, S.20f).
IV. Seßhaftmachung von Nomaden
Die Seßhaftmachung von Nomaden soll am Beispiel der Siedlung Klip Dokhan in Tunesien gezeigt werden. Das Dorf liegt ca.50 km westlich von Gabés inmitten des tunesischen Steppengürtels. Das Dorf wurde gegen Ende der 70er Jahre angelegt. Von der äußeren Morphologie ausgehend, stehen die einzelnen Häuser verhältnismäßig weit auseinander, wobei kein eigentlicher Dorfkern ersichtlich ist. Diese Streulage der einzelnen Häuser soll die verschiedenen Nomadensippen voneinander trennen und ihnen das Gefühl von Weite geben. Die vorherrschenden Hausformen sind aus Betonsteinen hergestellte Kastenhäuser, die aber kaum als Wohnhäuser genutzt werden. Vor den Häusern errichteten die Nomaden informelle Siedlungsformen, die dem verlorengegangenen Zelt nachgeeifert sind.
Die Gründe für die Seßhaftmachung der Nomaden sind auf der einen Seite eine bessere staatliche Kontrolle, anderseits zwingt der Bevölkerungsdruck zu einer Ausweitung des Ackerbaus, was mit einer Verringerung der Weidegebiete der Nomaden einhergeht. Außerdem trägt die Absicht des Staates, der jugendlichen Nomadengeneration eine Schulbildung zu ermöglichen, auch zu einer Seßhaftmachung bei.
Allerdings leben viele dieser seßhaft gewordenen Nomaden halbnomadisch. Im Frühjahr und Sommer ziehen die Hirten mit Viehherden in die südlichen oder nördlichen Weidegebiete.
Die Familie des Hirten fährt dann häufig mit einem gemieteten LKW in das Weidegebiet. Durch die fortschreitende Ausweitung des Ackerbaus bleiben nur noch wenige Weidegebiete übrig, deren Größe durch den Ackerbau weitestgehend verkleinert wurde. Diese, im Vergleich zu vollnomadischen Weideflächen, kleineren Weideflächen, werden von den Herden sehr stark und schnell überweidet, was zu einer Degradation dieser Flächen führt (NAGEL/RIPSAM, S.8f).
Auf lange Sicht betrachtet, werden solche ökologische Veränderungen das Nomadentum aussterben lassen, was allerdings nicht automatisch zum Aussterben des Schwarzen Zeltes führen wird; es findet bei der Seßhaftmachung als eigentliche Wohnform weiter Verwendung.
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