Am Schluß dieser Arbeit möchte ich mit einem konkreten Beispiel demonstrieren, wie schwierig es war, aus der Krise auszubrechen, das Experiment von Wörgl. Es ist nicht nur bemerkenswert, weil es ganz in unserer Nähe stattgefunden hat; es wurde auch in der ganzen Welt beachtet und imitiert.
5.1. Die Freiwirte
Der Vater des Experiments war Michael Unterguggenberger, Wörgler Vizebürgermeister von 1920 bis 1931, und Bürgermeister von 1931 bis 1934.
Er vertrat die Ideen Silvio Gesells, welcher von der Schweiz ausgehend bis nach Estland Anhänger fand. Ihre Ziele waren eine krisenfreie Marktwirtschaft und mehr soziale Gerechtigkeit. Die große Not nach dem ersten Weltkrieg führten sie auf den Kapitalismus zurück. Das Geld sammelte sich immer mehr in den Händen einiger weniger, die es als Spekulationsmittel zurückhalten. Geldstauungen haben wegen der Rolle des Geldes Warenstauungen, und Arbeitslosigkeit zur Folge. Der Geldumlauf wird gefährlich verlangsamt.
Weiters verlieren Waren im Lager mit der Zeit an Wert, denn sie verderben und verursachen Lagerkosten. Geld kann andererseits ohne Risiko gelagert werden. Die Freiwirte wollten nun, daß das Geld einem Schwund unterworfen wird. Gesell ging von 5-6% "Geldsteuer" im Jahr aus. Einzig Spareinlagen bei Kassen sollten nicht betroffen sein. Dieser Schwund sollte als Umlaufzwang wirken.
Die Freiwirte forderten den Ersatz der Goldwährung durch unter Umlaufzwang stehendes Geld (Freigeld). Sein Wert sollte unter allen Umständen (Inflation bzw. Deflation) gleichbleiben, und im Verhältnis zum Waren- und Geldangebot umlaufen. Andere Ideen der Freiwirte waren eine Vergesellschaftung des Bodens, eine Umwandlung der Notenbank in ein staatliches Währungsamt, das den Geldschwund steuert und die Errichtung einer Freihandelszone.
5.2. Das Nothilfe Programm
Zu Beginn der Dreißiger hatte die Wörgler Wirtschaft vor allem mit der 1929 aufgekeimten Weltwirtschaftskrise und der Elektrifizierung der Bahn zu kämpfen. Im Juni 1930 wurde das Heizhaus geschlossen, 1931 wurde das größte Unternehmen, die Zellulosefabrik, stillgelegt. In der Region waren insgesamt 1500 Arbeitslose, und es wurden täglich mehr.
Die Gemeinde war nicht einmal mehr in der Lage die Zinsen für ihre 1,3 Millionen Schilling Schulden zu zahlen. Der einzige Aktivposten im Budget waren die Steuerrückstände der Bürger, die wegen die Wirtschaftslage jedoch uneinbringlich waren.
Um die Lage zu verbessern arbeitete Bgm. Unterguggenberger gemäß seiner Wirtschaftsphilosophie sein Nothilfe Programm aus, das am 8. Juli 1932 einstimmig vom Gemeinderat angenommen wurde. Es sah vor Arbeitswertscheine, die nach dem Prinzip des Freigeldes funktionierten auszugeben. Sie sollten monatlich 1% ihres Wertes durch das Aufkleben von Stempelmarken verlieren. Mit den Scheinen sollten auch öffentlich Arbeiten durchgeführt und bezahlt werden.
Im Juli 1932 wurden erstmals Scheine im Wert von 1600 Schilling an die Arbeiter ausgezahlt. Sie verwendeten diese, um dringend benötigte Waren zu kaufen. Die Händler konnten nun beginnen, ihre Steuerschuld bei der Gemeinde zu begleichen. So war der Kreislauf in kürzester Zeit geschlossen. Während der 13 Monate in denen das Experiment lief, flossen die Arbeitswertscheine durchschnittlich zwei Mal pro Woche durch die Gemeindekasse. Mit einem Schilling Schwundgeld wurden so 104 Schilling Steuern im Jahr bezahlt.
Die ersten Bauvorhaben, die mit dem Freigeld gestartet wurden, waren vor allem Asphaltierungs- und Kanalisierungsarbeiten. Es wurden unter anderem eine neue Sprungschanze und eine Notstandsküche errichtet. Die Löhne für diese Arbeiten wurden ausschließlich mit Arbeitswertscheinen bezahlt. 1933 wurden Infrastruktureinrichtungen für den Fremdenverkehr geschaffen, wie zum Beispiel dreieinhalb Kilometer langer Rodelweg, der teilweise Neubau des Weges zu den Lechner Wasserfällen, und ein Steig in die bisher unzugängliche Aubachklamm.
Mit diesen Arbeiten konnte man 60 Leute direkt und weitere 40 in der Zulieferindustrie anstellen. Während in ganz Österreich die Arbeitslosigkeit zu dieser Zeit stieg, ging sie in Wörgl um ein Viertel zurück.
Leider ging die Rechnung mit den Investitionen in den Fremdenverkehr nicht auf, was allerdings nicht im Einflußbereich der Wörgler lag. Am 1. Juni verhängte Deutschland die 1000-Mark-Sperre, welche fast den gesamte Fremdenverkehr zum Erliegen brachte.
5.3. Das Ende des Experiments
Nur zwei Wochen nach der Einführung des Notgeldes versuchte die Österreichische Nationalbank AG das Wörgler Programm zu stoppen, da sie eine Verletzung ihren Banknotenprivilegs sah. Unterguggenberger reist mit einer kleinen Delegation nach Wien um bei Minister Rintelen vorzusprechen. Sie ernten Verständnis von ihm. Auch die Kufsteiner Bezirkshauptmannschaft erlaubt das Experiment vorerst, muß die Ausgabe der Arbeitswertscheine aber im Jänner 1933 auf Antrag der Landesregierung verbieten. Der Gemeinderat beruft beim Landeshauptmann gegen die Entscheidung. Die Arbeitswertscheine verletzen nicht das Banknotenmonopol der Nationalbank, da sie ja nur auf den an der Nothilfe beteiligten Personenkreis beschränkt sei, und die Teilnahme auf freiwilliger Basis beruht. Die Berufung wurde abgewiesen. Im März wendet sich der Gemeinderat an den Verfassungsgerichtshof. Wieder ohne Erfolg. Auch eine letzte Intervention bei Kanzler Dollfuß war umsonst. Am 15. September mußten die Scheine eingezogen werden. Der endgültige Todesstoß erfolgte am 18. November, als das Ende der Aktion vom Verfassungsgerichtshof bestätigt wurde.
5.4. Weltweite Achtung
Der positive Effekt des Nothilfe Programms wurde bald auch in den Nachbargemeinden wahrgenommen. Kirchbichl und Kitzbühel führten ebenfalls Arbeitswertscheine ein. In Brixen und Westendorf waren sie bereits beschlossen, aber man wartete noch den Ausgang des Gerichtsverfahrens ab.
Bald kamen Volkswirtschafter und Politiker aus aller Herren Länder nach Wörgl, um sich vor Ort von der Wirksamkeit der Maßnahmen zu überzeugen. Prof. Fischer, ein angesehener Geldtheoretiker aus Amerika, würdigte Gesells Konzept als "geniale Idee," und wollte es in Amerika zur Anwendung bringen. In vielen Großstädten wurde das Schwundgeld eingeführt, aber bei einem Schwund von wöchentlich 2% wurde es nicht angenommen.
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