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geographie artikel (Interpretation und charakterisierung)

Industrie

Block iii: jüngere entwicklungen



4.1 Das Konversionsgesetz Das Konversionsgesetz wurde nach einigen Verzögerungen am 20.3.1992 vom russischen Parlament verabschiedet - es ist zweifelsohne ein bedeutender Schritt im Verlaufe des Umstrukturierungsprozeß in Rußland. Doch ist es keineswegs der Ausgangspunkt einer zielgerichteten Konversion, vielmehr ist es in seiner ganzen Formulierung relativ abstrakt und unpräzise . Einer der wenigen konkret formulierten Punkte ist der Vorschlag über die sogenannte \'Ökonomische Konversion\', der von dem ehemaligen Konversionsberater des russischen Präsidenten Malei aufgegriffen wird und demzufolge in einer Übergangsphase von 4-5 Jahren Konversionsmaßnahmen durch verstärkte Waffenexporte finanziert werden sollen . Diese Plan wurde dann tatsächlich, zumindest versuchsweise, umgesetzt, allerdings nicht mit dem erhofften Erfolg.
Darüber hinaus sieht das Gesetz regionale Konversionsprogramme, ohne allerdings dafür finanzielle Mittel bereitzustellen. Schließlich werden weitere Regelungen bzgl. der Privati-sierung von Rüstungsbetrieben getroffen, z.B. wird die Privatisierung von Betrieben untersagt, denen eine Bedeutung im Falle der Mobilmachung oder andere verteidigungsrelevante Funktionen zukommen . (Weitere Ausführungen zur Privatisierung in 4.4. )


4.2 Veränderungen im russischen Rüstungssektor seit 1992 - Umfang und Struktur
Seit 1992 ist die russische Rüstungsindustrie weiter geschrumpft, wenngleich nicht mehr in demselben Tempo wie 1991/92: Die Produktion im Rüstungssektor betrug im 2. Quartal 1994 nur noch 25% des Wertes von 1990 (11% bei der militärischen, 35% bei der zivilen Produktion).
Abb. 4-1: Russische Rüstungsindustrie:
Dynamik von Produktion und Beschäftigung 1990-94

1990 1991 1992 1993 1. Q. 1994 2. Q. 1994
Allgemeine Produktion 100 86 70,52 59,24 38,80 24,83
militärische Produktion 100 74 45,88 32,12 19,27 11,56
zivile Produktion 100 96 89,28 79,46 53,24 34,60
Industrielle Arbeitskraft 100 96 87,36 76,88 66,11 56,20
militärische Produktion 100 86 54,18 42,26 k. A. k. A.
zivile Produktion 100 104 112,32 104,46 97,15 90,35
Produktivitätsindex 100 89,58 80,72 77,05 k. A. k. A.
militärische Produktion 100 86,05 84,68 76 k. A. k. A.
zivile Produktion 100 92,31 79,49 76,07 k. A. k. A.

Quelllen: Zentrum für Ökonomische Konjunktur, Moskau; Berechnungen des ifo; beim 2. Quartal handelt es sich um Prognosewerte. aus: BICC - Report 2, Chancen und Probleme der Rüstungskonversion in Rußland, März 95.

Der Rückgang der Rüstungsproduktion wird durch die schwächere Reduzierung im zivilen Bereich des Rüstungssektors gedämpft, jedoch keineswegs kompensiert. Zu beachten ist auch hier wiederum die Diskrepanz zwischen der Entwicklung der Produktion einerseits und der Zahl der Beschäftigten andererseits; es findet kein entsprechender Arbeitsplatzabbau statt.
Es kann durchaus konstatiert werden, daß nach 1992 eine kleine Trendwende dahingehend vollzogen wurde, daß der dramatische Abbau der Rüstungsproduktion, wie er vor allem 1991/92 stattgefunden hat ( Kürzung der Militärausgaben um 68%), ein Ende gefunden hat,
daß zumindest die Geschwindigkeit des Rückganges deutlich abnahm. Offensichtlich wird dies besonders, wenn man die Veränderungen in der Struktur des Wehretats betrachtet : der Anteil der Beschaffungsausgaben nimmt wieder zu, wenn auch auf einem geringerem Gesamtniveau.
Nichtsdestotrotz bleibt die Tatsache festzuhalten, daß die Militärproduktion seit 1990 dramatisch geschrumpft ist.

4.3 Interessengegensätze - Reformer versus Rüstungslobby
Die Umstrukturierung bzw. Umgruppierung der Rüstungsindustrie steht im Zentrum des Machtkampfes in Rußland, wird durch diesen beeinflußt und gelenkt. Es stehen sich im wesentlichen zwei Machtblöcke und Positionen gegenüber mit weitgehend äußerst konträren Interessen und Zielsetzungen - auf der einen Seite die Reformer, auf der anderen die Rüstungslobby bzw. die alten Eliten des Militärisch-Industriellen-Komplexes (MIK) .
Die Zentralregierung in Moskau befindet sich in diesem Konflikt in einer weitgehend passiven Mittelposition, unfähig den Umwandlungsprozeß zu lenken und vernünftige Rahmenbedingungen zu schaffen.

4.3.1 Die unterschiedlichen Zielsetzungen
Die wesentlichen Ziele der genannten Blöcke lassen sich folgendermaßen beschreiben und voneinander abgrenzen :
Reformer: Sie betrachten den Rüstungssektor als parasitär und hypertrophiert. Deshalb wollen sie eine weitgehende Entmilitarisierung sowie die Auflösung der bisherigen Machtstrukturen des MIK und der hierarchischen Lenkungsstrukturen der Unternehmen. Dies soll Druck auf die Unternehmensleitungen ausüben, marktgerechtes Verhalten zu
entwickeln. Außerdem treten die Reformer für massive Privatisierungen ein; sie sehen einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Privatisierung und Konversion.
Rüstungslobby / MIK: Sie sehen die Rüstungsindustrie als Kern der russischen Wirtschaft. Zudem soll sie als einziger Hochtechnologiesektor eine Lokomotivfunktion für die gesamte Russische Industrie übernehmen. Waffenexporte sollen ausgeweitet werden.


Überblick:

Reformer: Staatliches Komitee zur Verwaltung des Staatsvermögens (Goskomimuscestvo) , städtische bzw. regionale Komitees für die Verwaltung des Staatsvermögens (KUGI) , Radikalreformer.

 Oberste Priorität für Privatisierung

 einschneidende Kürzungen bei den Rüstungsaufträgen

 weitgehende Entmilitarisierung und Auflösung der Machtstrukturen

des MIK

 Konversion.

Rüstungslobby / MIK: Staatskomitee für die Verteidigungsindustrie (Goskomoboronprom), Rüstungslobby, Verteidigungsministerium.

 Rüstungsindustrie als Kern der russischen Wirtschaft und Lokomotive der Wiederbelebung

 Erhalt der industriellen Substanz und des eigenen Einflusses

 sehr begrenzte Privatisierung

 allenfalls behutsame Konversion unter staatlicher Leitung

 Gründung von Finanz-Industrie-Gruppen

 Waffenexporte

4.3.2 Desintegration - Reintegration
Als Gegentendenz und - konzept zur Desintegration (Entflechtung und Privatisierung) der Rüstungsindustrie gibt es in Rußland seit einigen Monaten Tendenzen zur Reintegration, d.h. zur Reorganisation überregionaler Kooperationen und Verflechtungen. Gründe dafür sind zum einen staatliche Steuerungs- und Finanzdefizite, zum anderen die starke wechselseitige Abhängigkeit der Rüstungsunternehmen untereinander und von überregionaler bzw. öffentlicher Nachfrage. Dies hat konkret zur Bildung korporatistischer Strukturen und von sogenannten Finanz-Industrie-Gruppen geführt, jeweils im Sinne einer Selbsthilfekonzeption der beteiligten Akteure .
Die korporatistischen Strukturen bedeuten letztlich die Institutionalisierung bereits vorhandener informeller Strukturen und dienen sowohl der Interessenvertretung gegenüber dem Staat (eine spezielle Form des Lobbyismus) als auch dem Interessenausgleich zwischen den beteiligten Unternehmen, der Koordination und Selbsthilfe .
Bei den Finanz-Industrie-Gruppen handelt es sich um mächtige, eigenständige Kartelle mit dem im Wandel befindlichen MIK als Kern. Sie sollen das Rückgrat der russischen
Wirtschaft bilden und sich zu transnationalen Konzerne entwickeln, dies zunächst mit staatlicher Hilfe, auf die nach Etablierung und Stabilisierung der neuen Gruppierungen dann verzichtet werden soll. Wesentliche Intention dieser Gruppen ist es, den Niedergang der russischen Rüstungsindustrie zu stoppen, womit eine drastische Ausweitung der Waffenexporte einhergeht..
Diese sich neu bildenden Strukturen haben eine zwiespältige Wirkung auf Reform- und Konversionsbemühungen: auf der einen Seite werden Privatisierungs- und Entflechtungs-bestrebungen blockiert, alte Strukturen verstärkt und Rüstungsexporte ausgebaut; auf der anderen Seite können Anstöße zur Bildung marktwirtschaftlichen Verhaltens gegeben werden.


4.4 Neuere Privatisierungsregelungen
In der gesamten Umstrukturierungsdebatte in Rußland spielt die Frage der Privatisierung eine zentrale Rolle. Aufgrund der mangelnden Finanzkraft des Staates bleibt vielfach auch und gerade in der Rüstungsindustrie die Privatisierung der ehemaligen Staatsbetriebe eine mögliche oder notwendige Lösung. Doch wie schon der ganze Umwandlungsprozeß steht insbesondere die Privatisierungsdiskussion im Mittelpunkt des politischen Konfliktes und wird dadurch z.T. erheblich gebremst. Die beteiligten Akteure sind hier im wesentlichen die bereits unter 4.3 genannten.

4.4.1 Gesetzliche Grundlagen
Es gibt eine ganze Reihe von gesetzlichen Bestimmungen und Erlassen, die für die Ausgestaltung des Privatisierung von Bedeutung sind. Dazu gehören z.B.: das Gesetz über die Privatisierung 1991, die Grundlagen des Privatisierungsprogramm für 1992 und 1993, das schon erwähnte Konversionsgesetz von 1992, die im Dezember 1993 erlassenen Privatisierungsbestimmungen sowie der Präsidentenerlaß vom August 1993 \'Über die Besonderheiten der Privatisierung von Betrieben der Verteidigungsindustrie\' . Es wird im folgenden auf einige dieser Regelungen näher eingegangen.

Zunächst sei jedoch nochmals ausdrücklich auf die unterschiedlichen Konzeptionen und Ziele der verschiedenen Akteure innerhalb der Privatisierungsdiskussion hingewiesen. Der Rüstungslobby geht es dabei primär um den Erhalt der Substanz der Rüstungsindustrie sowie des eigenen Einflusses - Privatisierung als Option der Rüstungsunternehmen wird von dieser Seite kaum thematisiert.
Das Verteidigungsministerium sorgt sich zudem vorrangig um die Aufrechterhaltung der Verteidigungsfähigkeit und will allein deshalb den Grundbestand der Rüstungsindustrie in staatlicher Hand behalten. Die darüber hinaus notwendige Schaffung neuer Eigentumsformen sollte unter staatlicher Leitung stattfinden und behutsam erfolgen.
Dagegen setzen die Reformkräfte und das Staatliche Vermögenskomitee voll auf Privatisierung zur Kapitalbeschaffung, zur Bildung marktgerechten Verhaltens zur Änderung der alten Organisationsstrukturen in den Unternehmen und schließlich auch zur Umsetzung der Konversionsbemühungen.
Beide Positionen beeinflussen den Privatisierungsprozeß, wobei bisher die Wirkung der Privatisierungsgegner größer war und dadurch eine konsequente Privatisierung im Sinne der Reformkräfte verhindert wurde .

4.4.2 Einschränkungen der Privatisierung
Deutlich wird das letztgenannte insbesondere anhand der zahlreichen Bestimmungen, mit denen die Privatisierung der Rüstungsindustrie eingeschränkt wird.
Das Konversionsgesetz sieht nur die Privatisierung bereits konvertierter Betriebe oder ausgegliederter Unternehmensteile vor, und schließt die Privatisierung solcher Betriebe aus, die für die Mobilmachung von Bedeutung sind. darüber hinaus bleibt es ungenau.
Das Privatisierungsprogramm 1992-93 sah für den Rüstungssektor bestimmte Abweichungen von den allgemeinen Privatisierungsregelungen vor, u.a. die unmittelbare Genehmigung durch die Zentralregierung innerhalb von 14 Tagen nach Antragstellung.
Noch im Mai 1993 hat Präsident Jelzin in einem Erlaß verfügt, daß das Staatliche Vermögenskomitee Kriterien erarbeiten soll, nach denen Rüstungsbetriebe von der
Privatisierung ausgeschlossen werden könnten, wobei Verpflichtungen zur Einhaltung der militärischen Mobilisierungspotentials oder Geheimhaltungspflichten ausdrücklich keine Kriterien sein sollten .
Mittlerweile sind jedoch Betriebe, die für die Mobilmachungskapazitäten bzw. die Verteidigungsfähigkeit von Bedeutung sind, Nicht privatisierbar. Rüstungslobby / MIK und Verteidigungsministerium haben somit ihre Interessen durchgesetzt. Ihre vorrangige Intention liegt darin, die Beteiligung von Fremdkapital an Rüstungsunternehmen weitgehend auszuschließen, die Entflechtung der Konzerne zu verhindern und den staatlichen Behörden weitreichende Mitspracherechte und Einflußnahme zu sichern.
Der Präsidentenerlaß \'Über die Besonderheiten der Privatisierung und zusätzliche Maßnahmen staatlicher Regulierung der Tätigkeit von Betrieben der Verteidigungsindustrie\' vom August 1993 schließlich beinhaltet eine spezielle Liste von Betrieben, die nicht privatisiert werden dürfen. Die Kriterien dafür sind nicht eindeutig. Auf der Liste stehen sowohl Unternehmen aus den kritischen Bereichen (Nuklear-, Raketentechnik) und mit strategischer Bedeutung als auch solche, die aus formalen Gründen aufgenommen wurden oder die sich ihren Platz auf der Liste erkämpft haben, da sie ihre Zukunftschancen relativ schlecht einschätzen. Letzteres läuft allerdings dem dahinter stehenden Konzept zuwider, dessen Ziel es ist, mit staatlicher Leitung und Förderung eine weltmarktfähige und zukunftsfähige Rüstungsindustrie aufzubauen bzw. zu erhalten und dafür zunächst die dafür notwendige Selektion stattfinden zu lassen.

Letztlich soll ein größerer Teil der Rüstungsindustrie direkt in staatlicher Hand bleiben, ein weiterer Teil soll zu Staatsbetrieben oder AG\'s mit staatlicher Mehrheitsbeteiligung und Einfluß auf die Besetzung des Generaldirektorpostens werden .
Die noch verbleibenden Unternehmen können privatisiert werden; dabei handelt es sich vor allem um Komponentenhersteller sowie Betriebe mit veralteter Technologie oder von geringer strategischer Bedeutung. Für die Privatisierung dieser Betriebe fehlen bislang z.T. klare, gesetzliche Regelungen; sie findet allerdings statt, teilweise jedoch ohne genaue
rechtliche Kontrolle. Hier gibt es also erheblichen politischen Handlungsbedarf, um die Gefahr von Mißbräuchen und Fehlentwicklungen einzudämmen.

4.4.3 Der reale Privatisierungsprozeß
Nach Überwindung der geschilderten Widerstände läuft ein realer Privatisierungsvorgang in der Regel in drei Etappen ab :

1.) Die Umwandlung des Unternehmens in eine Aktiengesellschaft und unternehmensinterne Aktienverteilung.
2.) Börsenverkauf von Aktien gegen Anteilscheine am Staatsvermögen, sogenannte Vouchers. Bei diesem Schritt besteht die Möglichkeit, daß Fremdkapital Mehrheitsanteile erwerben kann. Die restlichen Anteile (je nach Modell 20% und mehr) verbleiben danach zunächst in staatlicher Verwaltung, wodurch entsprechende Einflußnahme möglich ist.
Die Privatisierungsgegner nutzen diese Voucherauktionen desöfteren dazu, über spezielle Investmentfonds größere Aktienpakete zu erwerben, um auf diesem Wege ihren Einfluß zu sichern und gleichzeitig fremde Investoren vom Aktienerwerb fernzuhalten.
3.) Im letzten Schritt werden nun die verbliebenen Anteile auf sogenannten Investitionsbörsen an potentielle Investoren verkauft, die wiederum die Möglichkeit erhalten, im Falle der Umsetzung bestimmter, zuvor erarbeiteter Investitionsprogramme das Grundkapital des betreffenden Unternehmens um bis zu 50% zu erhöhen und ihren eigenen Anteil in gleichem Umfang zu vergrößern. Auch auf diesem Wege sind Mehrheitsbeteiligungen möglich, es können private Unternehmen i.e.S. entstehen.
Allerdings haben bis Anfang 1994 erst sehr wenige russische Rüstungsunternehmen diese letzte Etappe durchlaufen. Eines der seltenen positiven Beispiele ist die opto-elektronische Firma LOMO in St. Petersburg, ein mittlerweile rein privates und profitables, ehemaliges Rüstungsunternehmen.


4.5 Zentrale oder dezentrale Regulierung ?
Ein weiterer, wichtiger Aspekt im Rahmen des Umstrukturierungsprozesses und der Konversionsbemühungen in Rußland ist die Frage, ob die politische Verantwortung für dessen Regulierung vorrangig zentral (Moskauer Regierung) oder dezentral (Regionen) organisiert ist bzw. sein sollte.
Generell wurde in dieser Arbeit bereits darauf hingewiesen, daß die Zentralregierung aufgrund des politischen Machtkampfes weitgehend blockiert ist, was staatliche Interventionen in den Rüstungssektors sowie dessen Umwandlung und Anpassung angeht, und somit erhebliche (zentral-)staatliche Handlungsdefizite bestehen. Daher hat eine Verlagerung (Dezentralisierung) von Kompetenzen und Verantwortlichkeiten auf die Regionen stattgefunden, mit sehr unterschiedlichen, regionsspezifischen Ergebnissen.
Der Begriff der \'Regionalen Konversion\' geht dabei über den nur auf ein Unternehmen bezogenen Konversionsbegriff hinaus; er bezieht auch die Ressourcenumwidmung auf außerindustrielle Bereiche innerhalb einer Region mit ein .
Auch hierzu gibt es keine expliziten gesetzlichen Grundlagen, die regionale Wirtschafts- und Industriepolitik wird jedoch von zahlreichen Gesetzen, Erlässen und Vorlagen beeinflußt.
Es gibt keine genaue Aufgabenteilung zwischen Zentrum und den Regionen; dies wird in bilateralen Verhandlungen vereinbart und hängt somit von der jeweiligen Verhandlungsposition ab, wodurch regionale Differenzierungen entstehen .
Die Regionen haben mittlerweile zunehmend wirtschaftliche und soziale Kompetenzen übernommen, auch für die Regelung der Privatisierungen. Darüber hinaus sieht das Konversionsgesetz die Möglichkeit regionaler Konversionsprogramme vor, bietet aber keine Finanzierungsmöglichkeiten .
Die Regionen besitzen z.T. enorme Konversionspotentiale, es bieten sich gute Chancen für den Aufbau neuer Strukturen, die Ausrichtung der Ressourcennutzung auf regionale Bedürfnisse und die Steigerung der Effektivität vorhandener Industriestrukturen. Bislang
wurde die Umsetzung dieser Möglichkeiten jedoch behindert durch den mangelnden politischen Willen der verantwortlichen Akteure, nicht getroffene Grundsatzentscheidungen, das Fehlen eines funktionierenden Arbeitsmarktes, das Bestehen überregionaler technologischer Abhängigkeiten bei gleichzeitiger hochgradiger Monopolisierung und der Pflicht zur Erhaltung von Mobilisierungspotentialen . Zudem gerät auch die Regionalisierung verstärkt ins Spannungsfeld des Konfliktes zwischen Desintegration und Reintegration, auf den an anderer Stelle bereits eingegangen wurde.

Neben den schon geschilderten Bestrebungen des alten MIK bleiben dem Zentralstaat noch folgende Einfluß- und Interventionsmöglichkeiten im Umstrukturierungsprozeß der Rüstungsindustrie:

1.) Die Verabschiedung einer neuen Militärdoktrin (im November 1993 erfolgt),
2.) die Schaffung neuer industriepolitischer Lenkungsstrukturen und
3.) die Förderung betrieblicher Konversionsprogramme mit zinsgünstigen Krediten.

Letzteres führte allerdings zu Problemen bei der Umsetzung; die Kreditvergabe erfolgte vielfach entsprechend des politischen Einflusses und des sozialen Drohpotentials, also der Zahl der betroffenen Beschäftigten. Objektive Kriterien wurden bisher nicht festgelegt.
Fehlende Finanzmittel, der politische Machtkampf und das Kompetenzwirrwarr zwischen den verschiedenen föderalen Entscheidungsinstanzen blockieren zusätzlich eine effektive staatliche industriepolitische Lenkung .
Es bleibt abschließend festzuhalten, daß trotz zunehmender Dezentralisierung die vorhandenen regionalen Entwicklungschancen bislang nur in sehr geringem Maße realisiert wurden.



4.6 Die Rolle der Banken
An dieser Stelle nur einige wenige Bemerkungen zur Rolle der Banken innerhalb des Transformations-und Konversionsprozesses in Rußland.
Seit 1991 hat in Rußland eine rasante Entwicklung des Bankensektors stattgefunden. Es gab zahlreiche Neugründungen, wobei viele dieser neuen Geschäftsbanken von Betrieben und Assoziationen des MIK ins Leben gerufen wurden, um sich von der Abhängigkeit vom alten Bankensystem zu befreien. Den Banken fällt bei der marktgerechten Anpassung und der Finanzierung regionaler Konversionsprojekte eine bedeutende Rolle zu - sie übernehmen neben Staat und Regionen wirtschaftliche Steuerungsfunktionen und fördern die Kommerzialisierung von unternehmerischen Entscheidungen.
Ihre Rolle ist allerdings auch widersprüchlich, denn z.T. blockieren und verhindern sie Investitionsvorhaben, indem sie zinsgünstige, zielgerichtete Staatskredite zunächst zu Spekulations- oder anderen kommerziellen Zwecken nutzen. Außerdem erfolgt die Kreditvergabe durch die Banken desöfteren nicht wettbewerbsorientiert, sondern aufgrund des Einflusses der an den Gründungen beteiligten Unternehmen, was zu Misallokationen führt.
Dadurch beschränkt sich die Bedeutung der Banken häufig auf die Hilfe für das unmittelbare Überleben von gefährdeten Betrieben; strategische Entscheidungen und Investitionsprogramme werden - von einzelnen Ausnahmen abgesehen - nicht gezielt gefördert .


4.7 Ergebnisse und Ausblick
Auch wenn bis Mitte 1994 laut offiziellem statistischem Halbjahresbericht die Konversion praktisch alle Betriebe des MIK erfaßt hat und mittlerweile 70 % der Produktion des Rüstungssektors zivile Güter umfaßt , sind die hohen Erwartungen hinsichtlich der Rüstungskonversion in Rußland bislang weitgehend enttäuscht worden. Die Änderungen in
den Output-Strukturen zugunsten ziviler Erzeugnisse ist im wesentlichen der schrumpfenden Militärproduktion zuzuschreiben, der starke Rückgang der Rüstungsaufträge konnte jedoch nicht durch eine entsprechende Ausweitung des zivilen Bereichs kompensiert werden. Die zivile Produktion ist im Umfang absolut ebenfalls zurückgegangen. Konversionserfolge i.e.S. gab es lediglich vereinzelt in bestimmten Regionen, z.B. in St. Petersburg und Niznij Novgorod.
Die wesentlichen Gründe für den bisherigen Mißerfolg sind der politische Machtkampf in Moskau, die schlechte finanzielle Lage, fehlende Grundsatzentscheidungen und staatliche Steuerungsdefizite.
Es gab sogar auf der anderen Seite eine Art Paradigmenwechsel hin zu einer Wiederbelebung der Rüstungsproduktion und verstärkten Waffenexporten. Dahingehende Erwartungen von Teilen des MIK haben sich aber (noch ?) nicht erfüllt, die Erlöse aus den Rüstungsexporten erreichten nicht die erhoffte Größenordnung: z.B. rechnete die Republik Udmurtien mit Einnahmen von ca. 1 Mrd. Dollar jährlich, erzielte aber 1992 \"nur einige 10 Millionen\" .

Prognosen für die künftige Entwicklung sind naturgemäß sehr vage und unsicher. Weder der politische Machtkampf noch die gesamtwirtschaftliche Lage in Rußland haben sich bisher stabilisiert. Zur Zeit verfolgt die russische Regierung eine \'Politik des knappen Geldes\', was zur Stabilisierung des Rubel und zu sinkenden Inflationsraten geführt hat. Die damit einhergehenden erheblichen der Kürzungen Staatsausgaben lassen einerseits eine erneute signifikante Erhöhung der Militärausgaben als unwahrscheinlich erscheinen und erhöhen somit den Anpassungsdruck auf die Unternehmen, andererseits fehlen dadurch auch notwendige Mittel zur Förderung von Konversionsprogrammen.
Zudem deuten der Krieg in Tschetschenien sowie einige weitere politische Entwicklungen in Rußland darauf hin, daß der Einfluß der alten Eliten des MIK immer noch beträchtlich ist - und die Zukunftsaussichten, auch und gerade in Bezug auf die Rüstungskonversion, entsprechend zweifelhaft und ungewiß.

 
 

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