Frankfurter Allgemeine Zeitung vom Mittwoch, 29 Mai 1996: Die deutsche Kernkraftindustrie befindet sich in einer schwierigen Position. Mit all ihren Vorhaben stößt sie in Teilen der Bevölkerung auf heftigen Widerstand - auch wenn es oft nur kleine gewalttätige Gruppen sind, die ihr Handeln nachhaltig blockieren. Die Politiker können nur wenig dagegen unternehmen. Mittlerweile ist noch nicht einmal sicher, ob nicht sogar die Energieversorgungsunternehmen auf Distanz gehen, wenn die Nutzung der Kernenergie politisch zu schwierig oder wirtschaftlich unrentabel wird. [...]
I. Einleitung
Dreißig Jahre nach dem Aufbruch in die \"friedliche Nutzung der Kernenergie\" kämpft die deutsche Atomwirtschaft mit neuen Argumenten und aggressiven Lobbystrategien um ihre Existenz. Das nukleare Ausbauprogramm ist zum Stillstand gekommen, die Auftragsbücher für den Bau neuer Atomkraftwerke sind leer. Das Image der strahlenden Meiler ist unverändert schlecht. Noch in diesem Jahrzehnt fällt das Urteil über die Branche. Spätestens wenn die Stillegung oder Ersatz der Alt-Reaktoren in Deutschland auf der Tagesordnung ganz nach oben rücken, werden die Weichen neu gestellt: Entweder wird die Atomenergie auch in unserem Land begraben, oder den Reaktorbauern und Kraftwerksbetreibern gelingt das nukleare Comeback. Der Ausstieg aus der Atomenergie würde den Weg freimachen für den überfälligen ökonomischen Umbau des Energiesystems. Eine Wiederbelebung des Atomprogramms würde dagegen zusätzliche Risiken heraufbeschwören.
Glaubt man den Verlautbarungen der Atomlobby, ist die Sache schon fast entschieden: \"Neuer Boom für die Kernenergie\", \"Renaissance der Atomkraft\", \"Nukleare Wiedergeburt\" lauten die Parolen, wenn es um die Zukunftspläne der Branche geht.
Rückenwind versprechen sich die Atommanager von drei neuen Hoffnungsträgern: Treibhauseffekt und Klimakatastrophe kommen als Treibsatz für die \"CO2-freie Kernenergie\" wie gerufen. Der Neuaufbau der Energieversorgung in Osteuropa verspricht einen märchenhaften Markt für Nachrüstgeschäfte und neuen Atommeiler. Neue Druckwasserreaktoren für das nächste Jahrtausend lassen sich angesichts des erbarmungswürdigen Zustands der Reaktorruinen im Osten öffentlichkeitswirksam als strahlensichere Wundermaschinen verkaufen (F.A.Z. vom 29.5.96)
Den Treibhauseffekt entdeckte die Atomwirtschaft schon frühzeitig als Mittel, um die Kernenergie salonfähig zu machen. Vor dem Hintergrund der globalen Klima-veränderung verlangt die Atomwirtschaft die Neubewertung der Kernenergie. Dabei hat sie vordergründig die Argumente auf ihrer Seite, denn Atomkraftwerke blasen bekanntlich nur wenig Treibhausgase in die Atmosphäre. So sieht sich die Lobby als \"Geheimwaffe\" gegen den globalen Hitzestau. Daß sie in dieser Rolle eine glatte Fehlbesetzung ist zeigt der genauere Blick auf die Klima- und Energieszenarien der Branche. Wenn die Emissionszahlen die ökologische Wahrheit sagen sollen, muß auch der Energieeinsatz der sogenannten Prozeßkette berücksichtigt werden. Bei der Atomenergie ist sie besonders aufwendig: sie beginnt mit der Förderung von Uranerz, führt über die Uranaufbereitung zur extrem energie-intensiven Urananreicherung und schließlich zur Brennelementefertigung. überall wird Energie verbraucht und damit CO2 emittiert. Wissenschaftler haben einen Wert von insgesamt 54g CO2 pro kWh Atomstrom errechnet. Die Grafik zeigt die CO2-Bilanz eines AKWs im direkten Vergleich mit Heizkraftwerken und erneuerbaren Energien. Auffällig an dieser Gegenüberstellung ist die \"Minus-Emission\" von verschiedenen Typen Kraft-Wärme-gekoppeter Heizkraftwerke. Sie hängt unmittelbar mittelbar mit ihrer idealen Doppeltfunktion als Strom- und zugleich Wärmelieferant zusammen. Das Argument, wir brauchen Atomkraft um das CO2-Problem zu lösen ist somit sehr unseriös. Es ist absurd, eine Quelle der Umweltzerstörung durch eine andere ersetzen zu wollen. Das Ziel einer ökologischen Bewegung sollte sein, nach und nach alle Atomkraftwerke stillzulegen. Mit Hilfe nachwachsender Rohstoffe ist diese Vision eine realistisches Ziel.
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