Zum Werk:
Der Sandmann erschien erstmals 1816 im ersten Teil des Erzählzyklus Nachtstücke. Entwürfe zu dieser ebenso phantastischen wie streng durchgearbeiteten Erzählung zeigen, dass er den dämonischen Charakter des Coppelius zugunsten eines rätselhaften Zwielichtes milderte: Das Schicksal des Studenten lässt sich zum Teil als Krankheitsgeschichte eines Psychopathen rational erklären. Entscheidend ist aber der Wechsel zwischen subjektiver und objektiver Wahrheit. Dieser wird im mehrperspektivischen Erzählen formal realisiert (die Briefe Nathanael und Claras, der rückschauende Erzählerbericht) und im Thema des Verkennens und des Erkennens, des Selbstverlusts und der Identität gespiegelt. Plastischer Ausdruck dieses Themas ist der Augenraub. Coppelius (itl. coppo: "Augenhöhle") versucht schon dem Kind Nathanael die Augen zu nehmen. Als Student raubt das Perspektiv - das "fremde Auge" - seine Erkenntnisfreiheit: Er sieht im Automaten Olimpia ein lebendes Wesen mit faszinierenden Augen, obwohl es quasi seine eigenen Augen sind, die Olimpias lebendig machen. Als Mensch ist Olimpia nur der bloße Reflex Nathanaels Phantasie. Mit seiner Erkenntnisfähigkeit hat Nathanael auch seine Identität verloren und liebt in tragischer Gefühlsverwirrung in Olimpia nur sich selbst. Der Ausbruch des Wahnsinns geschieht auch durch ein Paar blutige Augen, die Spalanzani Nathanael entgegenwirft und noch sein Todesschrei "sköne Oge" gilt dem Augendiebstahl. So sind es auch gerade die ruhigen Augen Claras, die den im "Inneren zerrissenen" Studenten anziehen. Die Bereitschaft zur Analyse und zum Erkennen sichert Clara auch die Unabhängigkeit von dämonischen Mächten.
Auch Sigmund Freud analysierte den Sandmann. Freud bringt die Angst vor dem Augenraub mit der Kastrationsangst in Verbindung. Dadurch wird dieses Stück zu Hoffmanns meist besprochener Erzählung.
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