Die Zeitschrift "Die Literatur" veröffentlichte den Roman Jürg Jenatsch ab Juli 1874 in Fortsetzung. Für die Buchausgabe überarbeitete Conrad Ferdinand Meyer den Roman noch einmal bis ins Detail. Die lebenslange intensive Zusammenarbeit mit seiner Schwester Betsy lässt heute nicht mehr feststellen wie gross ihr Anteil an der endgültigen Redaktion war. Ende September 1876 erschien die erste Auflage bei Meyers Verleger H. Hassel in Leipzig. Die Zweite Auflage, die schon 1878 notwendig geworden war, verbesserte der begnadete Schriftsteller nochmals. Ab 1882 folgten unveränderte Neuauflagen.
Die Beschäftigung mit dem berühmten Bündner Politiker Georg (Jürg) Jenatsch aus dem Dreissigjährigen Krieg lässt sich über viele Jahre im Leben Meyers zurückverfolgen. Er hatte sich bereits 1853 näher mit dem Bündner Volkshelden befasst. Auf mehreren Reisen durch Graubünden, Padua und Venedig studierte er ab 1866 sorgfältig den landschaftlichen Hintergrund für seinen
Roman Jürg Jenatsch. Zudem trieb er eingehende Quellenstudien und arbeitete mit allen ihm erreichbaren Fachliteraturen. Oft bat er auch befreundete Historiker um Auskunft. Die ersten zwei erschienenen Bücher basierten auf mehrheitlich erfundenen Handlungen. Im dritten jedoch hielt er sich im grossen und ganzen an die geschichtlichen Ereignisse jener Zeit.
Der Gedanke an eine poetische Gestalltung des Lebens des Georg Jenatsch war eine "alte Lieblingsidee" Meyers. Die künstlerische Bewältigung des historischen Stoffes bereiteten ihm jedoch jahrelang Schwierigkeiten. In Zeiten der Resignation fühlte er sich nur fähig, über Georg Jenatsch eine
historisch-biographische Skizze zu fertigen. Er dachte aber auch daran, über den Volkshelden ein Drama zu verfassen. Nach vielem Schwanken jedoch stellte er den Plan eines Romans in den Vordergrund.
Eine Bemerkung vom 26. September 1866 in einem Brief an Haessel erhellt vielleicht das nicht im Einzelnen bekannte Interesse Meyers am Jürg Jenatsch. Dieser Brief bezieht sich auf die kriegerischen Auseinandersetzungen um die Zukunft des Deutschen Reiches. Meyer sprach davon, dass die Zeit, in der sein Roman spiele, dieselben Fragen aufwerfe, "die jetzt die Welt bewegen: ich meine den Konflikt von Recht und Macht, Politik und Sittlichkeit". Die über alle zeitpolitischen Aktualitäten hinausgehende Relevanz dieser Fragen - die zugleich den Inhalt des Jürg Jenatsch auf seine knappste Formel bringt - mag die von diesem Stoff auf den Dichter ausgehende Faszination erklären.
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