I. Die Entstehung
(1) Das Ende des Krieges
Gegen Ende des Ersten Weltkrieges befanden sich die Deutschen in einem Wechselbad von Siegeszuversicht und Angst vor der Niederlage. Das Ausscheiden Russlands aus dem Krieg mit dem Frieden von Brest-Litowsk 1918 machte der Obersten Heeresleitung (OHL) Mut und ließ das Engagement an der Westfront stärker werden. Doch hier brachten die alliierten Gegenoffensiven die Wende und deuteten schon jetzt die Niederlage der Deutschen in diesem Stellungskrieg, der einen hohen Verlust an Menschen und Material verursachte, an. Im Oktober 1918 war die Nieder-lage unausweichlich geworden - Anstelle der jahrelangen, durch die Propaganda geförderten, Sie-geszuversicht trat nun die Angst vor der bevorstehende Niederlage. Aber der Zusammengebrochene Glaube an das Kriegsglück der OHL wurde sofort durch eine andere Illusion ersetzt: Die Hoffnung auf den amerikanischen Präsidenten Wilson. Die Regierung musste unter Druck der OHL bereits am 3./4. Oktober ein Waffenstillstandsangebot an ihn absenden. Man wusste, Wilson wollte, anders als die franz. und brit. Staatsmänner, die einen Vernichtungsfrieden forderten, mit seinen 14 Punk-ten ein Friedensprogramm. Hierin forderte Wilson die Neuregelung der Kolonialfrage, die Räu-mung Russlands, Räumung und Widerherstellung Belgiens und der besetzten Gebiete Frankreichs. Da seine Hauptbedingung, die Einsetzung einer parlamentarisch legitimierten Reichsregierung, durch die Parlamentarisierung im Oktober 1918 bereits erfüllt worden war herrschte Zuversicht: Die Parlamentarisierung basierte auf einer Änderung des Artikels 15 der Reichsverfassung von 1871, die den Reichskanzler an das Vertrauen des Reichstags band und seine Verantwortung ge-genüber dem Reichstag festlegte. \"Verantwortlich\" für diese Einbeziehung des Reichstags in die politische Verantwortung war das Eingeständnis der militärischen Niederlage seitens der Heereslei-tung. Ein schöner Nebeneffekt für die OHL war, dass durch dieses Einrücken des RT in die politi-sche Verantwortung auch die Verantwortung für den Krieg an den RT und die Parteien abgewälzt werden konnte. (Ursprung der Dolchstoßlegende; Wilhelm II: \"Unsere Politiker haben erbärmlich versagt\") \"Das Gesetz zur Abänderung der Reichsverfassung und des Gesetzes betr. die Stellvertretung des RK vom 17. März 1878\" war mehr als ein neues Gesetz - Es war eine revolutionäre Änderung : Der RK trug jetzt die Verantwortung für alle Handlungen von politischer Bedeutung, die der Kaiser vornahm. - Der Kaiser wurde in seinen Kompetenzen stark eingeschränkt. Mit der Oktoberverfassung hatte sich Deutschland vom halbabsolutistischen Obrigkeitsstaat in eine parlamentarische Demokratie verwandelt (allerdings durch eine Revolution von oben). Wilsons wichtigste Forderungen waren allerdings die Errichtung eines Völkerbundes und militäri-sche Garantien von deutscher Seite, dass der Kampf nicht wieder aufgenommen werden konnte. Ein Waffenstillstand müsse \"eine Wideraufnahme der Feindseligkeiten seitens Deutschland unmög-lich machen\": Der Frieden war nur um den Preis der totalen militärischen Selbstaufgabe zu be-kommen. Wilson wollte nur mit den Vertretern des Volkes, nicht aber mit den bisherigen Machtha-bern verhandeln - Der Kaiser stand als letztes Hindernis vor dem Friedensschluss. Er war zwar nur noch ein machtloser Repräsentant, aber er war noch vorhanden. Erst als Groener eiskalt erklärte \"Das Heer wird unter seinen Führern und kommandierenden Gene-rälen in Ruhe und Ordnung in die Heimat zurückmarschieren, aber nicht unter dem Befehl Eurer Majestät, denn es steht nicht mehr hinter eurer Majestät.\" hatte der Kaiser keine andere Wahl - Am 10. Nov. 1918 dankte Wilhelm II. ab und suchte in Holland Asyl. Die Empörung in Deutschland, besonders bei der OHL, über den \"erzwungenen Rücktritt\" war groß und Ludendorff vollzog eine Kehrtwendung um 180 Grad und erließ am 24.10. einen Aufruf an das Heer zum \"Kampf bis zum Äußersten\".
(2) Der \"revolutionäre Umsturz\" (Oktober/November 1918 - Jan. 1919)
Die Soldaten und Matrosen teilten diese Ansicht nicht. Als sie von dem Plan der Marineleitung erfuhren, die aus einem \"pervertiertem Ehrbegriff und übersteigertem Prestigegedanken\" heraus den heldenhaften Untergang der Flotte heraufbeschwören wollten, meuterten die Mannschaften. Doch das war nicht als Beginn einer Revolution gedacht - anders als ein Jahr zuvor in Kronstadt und Petrograd wurde den Offizieren kein Haar gekrümmt. Die Matrosen traten nur in den Streik - nicht mehr und nicht weniger. Erst als ihre Anführer festgenommen wurden , radikalisierte sich die Meuterei. Als Reaktion auf die Festnahmen entwickelte sich von Kiel ausgehend die Matrosenre-volte. Am 1. November organisierten sich in Kiel die ersten Matrosenräte um Gegenmaßnahmen zu beschließen. Die Soldatenräte übernahmen in den Kasernen die Macht, die Arbeiter schlossen sich in den Großbetrieben zu Arbeiterräten zusammen und riefen am 5. November zum Generalstreik auf. Innerhalb weniger Tage breitete sich die Revolution wie ein Lauffeuer in ganz Deutschland aus. Das lag nicht nur an den solidarisierten Matrosen und Arbeitern, sondern auch am Bürgertum, das alles das widerstandslos geschehen ließ. Durch alle Bevölkerungsschichten zog sich das Verlangen nach Frieden, und somit zwangsläufig auch nach der Abdankung des Kaisers und der Schaffung einer parlamentarischen Demokratie. Ein bürgerlicher Beobachter kennzeichnete die Situation folgendermaßen : \"Nicht wurde eine Kette gesprengt durch das Schwellen des Geistes und Willens, sondern ein Schloss ist durchgerostet\" - Zusammenbruch, nicht Revolution. Wie wenig radikal oder gar revolu-tionär die Situation war, zeigte sich auch in Kiel: Die ersten Kieler Räte hatten nach Berlin telegra-phiert, sie wünschten mit Vertretern der Reichstagsmehrheit in Verbindung zu treten. Der MSPD - Abgeordnete Gustav Noske, der daraufhin nach Kiel geschickt wurde, war von dem Kieler Arbei-ter- und Soldatenrat voll akzeptiert worden: Auch hier waren - wie fast überall - die Arbeiter- und Soldatenräte auf der Seite der MSPD. Am 7. November richteten die sozialdemokratischen Regierungsmitglieder ein Ultimatum an den Reichskanzler, in dem sie die Abdankung des Kaisers und des Kronprinzen forderten. Zwei Tage später erschien eine Delegation, geführt von Ebert und Scheidemann persönlich beim RK, um ihn zum Rücktritt aufzufordern. Dieser schlug daraufhin - zur Überraschung aller - selbst vor, Ebert das Amt des RK zu übertragen. Der RK, noch halb von Kaisers Gnaden, handelte damit revolutio-när, indem er das Amt gegen Verfassung und Gesetz, ohne Zustimmung der Volksvertretung und gegen den Willen des Kaisers der deutschen Sozialdemokratie übertrug. Das politische Ziel, das Ebert am 9. November 1918 im Auge behielt, war der Fall des alten Obrig-keitsstaates, die Errichtung einer Demokratie und das Bündnis von Arbeiterschaft und Bürgertum: Das bedeutete auch die Einberufung einer Nationalversammlung.
(3) Ausrufung der Republik
Am 9. November 1918 war für Ebert die Revolution beendet. Schon gegen 14 verbreitete sich die Nachricht, Karl Liebknecht gedenke die Initiative an sich zu reißen und die Sowjetrepublik Deutschland auszurufen. Daraufhin trat Philipp Scheidemann auf den Balkon des RT hinaus und wurde von der draußen wogenden Menge zum Reden aufgefordert. Er hielt eine improvisierte, zün-dende Ansprache und beendete sie, teilweise, um Liebknecht zuvorzukommen, mit dem Ruf: \"Das Alte und Morsche, die Monarchie, ist zusammengebrochen. Es lebe das Neue! Es lebe die Deutsche Republik\" Wieder hatte ein Sozialdemokrat vollendete Tatsachen geschaffen - Liebknechts Pro-klamation einer \"Freien, sozialistischen Republik Deutschland\" von einem Balkon des Berliner Schlosses aus kam um Stunden zu spät. [Teil I,3 aus 5; S. 162]
(4) Der Rat der Volksbeauftragten
Am nächsten Tag konstituierte sich die neue Reichsregierung - der Rat der Volksbeauftragten. Ihr gehörten drei Mehrheits- und drei Unabhängige Sozialdemokraten an (paritätische Zusammenset-zung; zu den Mehrheitssozialdemokraten gehörten : Ebert, Scheidemann und Landesberg, zu den unabhängigen Sozialdemokraten Haase, Dittmann und Barth. Trotz der gleichen Sitzverteilung war die MSPD überlegen: Sie war den Umgang mit Parteien gewöhnt, anders als die USPD, bei der darüber hinaus Barth häufig entgegen der \" Fraktion\" stimmte. Ein weiterer Vorteil der MSPD lag darin, dass Ebert die legale \"Kanzlerwürde\" besaß. Obwohl es eigentlich keinen RK mehr gab, und der Rat der Volksbeauftragten diese Aufgaben in corpore aus-übte, sah die hohe Ministerbürokratie einzig und allein in Ebert ihren \"Chef\".) Trotz alldem führte die theoretische Parität dazu, dass die Massen in Berlin beruhigt wurden. - Der Spartakusbund dagegen (der radikalste Teil der Arbeiterbewegung) setzte auf die Alleinherrschaft der Räte und setzte seine Vorbereitungen für einen Aufstand wie in Petrograd weiterhin fort. Im Inneren war aber nichts mehr von einer Revolution zu spüren - ganz im Gegenteil: Der beste-hende Verwaltungsapparat blieb unangetastet. Die Verwaltung wurde ungestört und unverändert aus der Kaiserzeit übernommen.
Der Rat der Volksbeauftragten hatte außeror-dentliche Vollmachten, die Verordnungen be-saßen Gesetzeskraft und konnten ohne parlamentarisches Genehmigungsverfahren in Kraft treten. Die wichtigsten Reformen, die der Rat der Volksbeauftragten durchsetzen konnte betrafen die Ernährung und die Demobilma-chung: Aufhebung der kriegsbedingten Einschränkungen (Zensur,..), die preußische Gesindeordnung wurde außer Kraft gesetzt, Einführung des 8-stundentages und des Frauenwahlrechts.
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(5) Das Ebert - Groener Bündnis
Die Mehrheitssozialdemokraten hatten keinen Grund mehr für eine gewaltsame Änderung der Ver-hältnisse. Daher bemühte sich Ebert, die Revolution, die er nicht gewollt hatte, so schnell wie mög-lich zu beenden. Das Vorhaben der Spartakisten, die Massen zu radikalisieren, schürte dazu noch weiter Angst vor einer Bolschewisierung. Der Regierung standen aber keine Truppen zur Niederwerfung der Aufstände zur Verfügung, wes-halb sie ein Bündnis mit Groener (OHL) schließen musste. Des weiteren benötigten sie dessen Hilfe bei der Räumung Frankreichs - Die Waffenstillstands -bedingungen sahen sehr kurze Räumungsfristen vor, die nur mit Hilfe einer generalstabsmäßigen Leitung eingehalten werden konnten - ,bei der innenpolitischen Machtsicherung (Schutz des Ra-tes,...) und bei fortdauernden Kämpfen an der Ostgrenze. Groener ging dieses Bündnis allerdings nicht uneigennützig ein: Er erwartete sich davon Unterstüt-zung bei der Durchsetzung der Gehorsamspflicht der Soldaten gegenüber ihren Vorgesetzen, bei der Bekämpfung des Bolschewismus von Seiten der Regierung und vor allen Dingen einen Teil der Macht im neuen Staat.
Groener (in einem Brief an seine Frau):
\"Der Feldmarschall und ich wollen Ebert, den ich als geraden, ehrlichen und anständigen Charakter persönlich schätze, stützen, so lange es irgend geht, damit der Karren nicht noch weiter nach links rutscht.\"
\"Am Abend rief ich die Reichskanzlei an und teilte Ebert mit, dass das Heer sich seiner Regierung zur Verfügung stelle, dass dafür der Feldmarschall und das Offizierskorps von der Regierung Unterstützung erwarteten bei der Aufrechterhaltung der Ordnung und Disziplin im Heer. Das Offizierskorps erwarte von der Regierung die Bekämpfung des Bolschewismus und sei dafür zum Einsatz bereit ...\"
Die langfristige Wirkung des Bündnisses bestand darin, dass sich das Heer zu einem \"Staat im Staate\" entwickelte. In Fragen der Heeresorganisation war die Wehrmachtsführung unter sich und konnte ihre Politik hinter dem Rücken der Reichsleitung betreiben.
(6) Resümee
Damit hatte die MSPD binnen 36 Stunden seit des Berliner Generalstreiks am 9. November 1918 den Wettlauf mit der linksrevolutionären Bewegung um die Macht gewonnen. Jetzt ging es darum, den Machtanspruch der Regierung im gesamten Reich durchzusetzen, \"die Weichen für die künfti-ge wirtschaftliche, soziale und politische Entwicklung Deutschlands im Rahmen einer parlamenta-risch verfassten Demokratie zu stellen und den Krieg endgültig zu beenden. In mancher Hinsicht war die Mehrheit der deutschen Sozialdemokratie in die Fußstapfen der Liberalen von 1848 getre-ten und setzte genau dort an, wo die Revolution 1848 gescheitert war.\" |