Im Wien der Jahrhundertwende standen sich zwei, zunächst unvereinbare, Geisteshaltungen gegenüber; das heitere Genießen der Künste oder "Ästhetizismus" einerseits und Indifferenz gegenüber politischen und gesellschaftlichen Reformen oder "therapeutischer Nihilismus" andererseits.
Deutsche Dichter machten die Vorstellung populär, dass die Österreicher moderne Phäaken seien, die in Festivitäten, Schmaus und süßem Nichtstun miteinander wetteiferten. In der Tat ermöglichte die finanzielle Sicherheit in den Jahren von 1867 bis 1914 der gehobenen Bourgeoisie eine Jagd nach Vergnügen um ihrer selbst willen. Ein oftmals dargestelltes Bild sind die "Ringstraßen-Dandys" , die Entscheidungen beharrlich aus dem Weg gingen und sich das tägliche Leben lieber durch Schauspiele und Belustigungen versüßten.
In solch einem Milieu wurde die Geselligkeit zu einer Kunst, die sowohl in den Adelskreisen als auch unter Bürgerlichen gepflegt wurde. Der Wiener pflegte seine Gabe, den Menschen Wohlbefinden zu vermitteln, indem er aus dem Genuss des anderen Vergnügen für sich selber zog.
Die ununterbrochen an den Tag gelegte "höfliche Fröhlichkeit, die amüsierte Selbstironie" verlangte unausgesetztes Theaterspielen. Ganz nach der barocken Vorstellung des Welttheaters erfreute sich jeder daran, Rollen zu spielen und schlagfertige Antworten zu geben. Frustrationen begegnete man, indem man sie mit schauspielerischem Geschick ästhetisierte, anstatt Veränderungen anzustreben. Dramatisch überhöhte Liebenswürdigkeiten waren durchaus keine glatte Lüge; vielmehr herrschte eine "allgemeine Unaufrichtigkeit mit vergleichsweise wenig Heuchelei" vor.
In einer Gesellschaft, die die äußere Erscheinung so hoch bewertete, waren alle Menschen einer strengen Etikette unterworfen. Sei es der korrekte Eindruck, den man mit tadelloser Kleidung hervorrief, sei es das Verteilen von Trinkgeldern, was viel über den Stand des Betreffenden verriet, oder das Verhalten des Einzelnen in der Gesellschaft.
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