Obwohl \"Die Marquise von O...\" und \"Das Erdbeben in Chili\" durchaus ähnliche Erzählungen sind, sei es durch die sexuellen Handlungen als Konfliktauslösendes Element oder die unvorhersehbaren Entwicklungen innerhalb der Geschichten, werde ich sie getrennt zu einem Vergleich heranziehen.
Die auffallenderen Ähnlichkeiten mit dem \"Findling\" besitzt wohl das \"Erdbeben in Chili\". So wird in beiden Erzählungen nach dem tragischen Tod des eigenen Kindes ein weitgehend fremdes adoptiert, wobei dies im \"Findling\" am Anfang der Handlung geschieht, im \"Erdbeben in Chili\" jedoch erst ganz am Schluss. Auch sterben in beiden Geschichten viele der Haupt- und Nebenfiguren, sei es durch Mord, Krankheit oder die Todesstrafe. Nun aber zum Vergleich der ersten Sätze.
In beiden Geschichten wird zu Beginn der Ort der Handlung bekannt gegeben, damit sind die Parallelen jedoch bereits aufgezählt. So setzt im \"Erdbeben in Chili\" die Handlung mit einer Heftigkeit ein, wie sie grösser nicht sein könnte. Unmittelbar in das Geschehen hineingebracht ist der Leser von den ersten Zeilen an in Spannung versetzt. Darauffolgend wird mittels eines Rückblicks erklärt, wie es zu diesem Ereignis kommen konnte. Der \"Findling\" beginnt weitaus gemächlicher. Er setzt nicht mitten in der Handlung ein, sondern leitet zu ihr hin. Obwohl eine pestartige Krankheit in der Stadt ausgebrochen ist, ist dies nicht weiter schlimm, da die wichtigen Personen, Antonio Piachi und sein Sohn Paolo, nicht davon betroffen sind, weil sie vorher wieder abreisen. Auch die letzten Sätze weisen keine Parallelen auf. So wird im \"Erdbeben in Chili\" von Don Fernando, Donna Elvire und Philipp berichtet, die alle das Massaker auf dem Kirchplatz überlebt haben. Der Schluss ist unklar, der weitere Verlauf der Handlung noch weitgehend offen. Im \"Findling\" kommt Antonio Piachi, einer der Guten, im letzten Satz ums Leben, der Schluss ist klar tragisch. Auch bleiben keine offenen Fragen zurück, da Nicolo die einzige überlebende Hauptfigur darstellt und somit die Konflikte unter den Personen gelöst, oder besser gesagt nicht mehr vorhanden sind.
Bei der \"Marquise von O...\" sehe ich die Zusammenhänge vor allem im Umfeld in der sich die Handlung abspielt. In beide Erzählungen bestehen die Probleme weitgehend in der Familie, obwohl sie im \"Findling\" vermehrt durch Aussenstehende beeinflusst und geschürt werden. Mit den ersten Sätzen verhält es sich zum grössten Teil gleich wie beim \"Erdbeben von Chile\". Auch hier steht der abrupte Einstieg in die Handlung, die durch Widersprüche aufgebaute Spannung und der darauffolgende Rückblick im Gegensatz zur eher ruhigen Eröffnung des \"Findlings\". Der Unterschied der letzten Sätze erscheint mit hier noch drastischer. Die Versöhnung des Grafen mit der Familie von O... und die glückliche zweite Heirat mit der Marquise sind ein noch drastischerer Kontrast zur Hinrichtung von Antonio Piachi als dies beim \"Erdbeben in Chili\" der Fall ist. Höchstens die Tatsache, dass sich der Wunsch von Antonio Piachi, hingerichtet zu werden, doch noch erfüllt, lässt einen positiven Aspekt zum Abschluss der Geschichte erahnen. In Anbetracht der tragischen Entwicklung der Erzählung ist dies aber nicht von Gewicht.
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