Die Erzählung entstand in Calw und Gaienhofen 1903/04 und erschien 1906.
Sie beinhaltet die Geschichte des Hans Giebenrath, einem äußerst begabten schwäbischen Jungen, dessen Vater, ein einfacher Bürger mit kommerzieller Begabung, sich in den Kopf gesetzt hat, seinen Sohn als Kandidaten zum"Landexamen"zu schicken.
Auch der Stadtpfarrer und der Rektor des kleinen Dorfes verfolgten dasselbe Ziel wie der Vater von Hans und erteilten ihm deshalb nach der Schule zusätzlichen Unterricht in Latein, Griechisch und Mathematik.
Hans war stets bemüht, den Forderungen seines Vaters nachzukommen und so war es auch nicht verwunderlich, daß er das "Landexamen" bestand und ins Klosterseminar nach Maulbronn geschickt wurde.
Dort war er in der Stube Hella untergebracht. Mit ihm waren noch mehrere Schulkollegen in Hella einquartiert, unter ihnen befand sich auch Hermann Heilner mit dem ihn schon bald eine innige Freundschaft verband, obwohl beide völlig verschieden waren.
\"Es gab auch ungleiche Paare. Für das ungleichste galten Hermann Heilner und Hans Giebenrath, der Leichtsinnige und der Gewissenhafte, der Dichter und der Streber. Man zählte zwar beide zu den Gescheiten und Begabtesten, aber Heilner genoß den halb spöttisch gemeinten Ruf eines Genies, während der andere im Geruch des Musterknaben stand\" .
Doch als der Ephorus Heilner eine Karzerstrafe wegen schlechtem Benehmen erteilte, fand sich keiner mehr, der zu Heilner stand.
\"Auch Hans Giebenrath tat es nicht. Es wäre seine Pflicht gewesen, das fühlte er wohl, und er litt am Gefühl seiner Feigheit." "Aber ein mit schwerem Karzer Bestrafter ist im Kloster für längere Zeit so gut wie gebrandmarkt\" .
So kam es, daß beide einander mieden und für längere Zeit keinen Kontakt mehr zueinander hatten. Erst der Tod eines Schulkollegen, welcher beim Eislaufen auf einem Teich eingebrochen und ertrunken war, verursachte ein zufälliges Zusammentreffen der ehemaligen Freunde.
\"Es mochte sein, daß der Anblick des Todes ihn überwältigt und für Augenblicke von der Nichtigkeit aller Selbstsucht überzeugt hatte, jedenfalls fühlte Hans, als er unvermutet des Freundes bleiches Gesicht so nahe erblickte, einen unerklärten tiefen Schmerz". "Er begriff, daß es Sünden und Versäumnisse gibt, die man nicht vergessen kann und die keine Reue gutmacht, [...]\"
Nun hatte Hans innerlich eine Entscheidung getroffen, lieber letzter in der Schule werden, als länger so um Heilner herumzulaufen. Er bat ihn um Verzeihung und war nun wieder viel mit ihm zusammen.
\"Die Lehrer aber sahen mit Schrecken den bisherigen tadellosen Schüler Giebenrath in ein problematisches Wesen verwandelt und dem schlimmen Einfluß des verdächtigen Heilner unterlegen. \"
Trotz aller Bemühungen konnte Hans nicht verhindern, daß seine Leistungen in der Schule immer schlechter wurden und das, obwohl er nun wieder öfter bis in die Nacht hinein arbeitete.
Mittlerweile war Frühling, und der Nachmittagsunterricht sollte beginnen, als man feststellte, daß Hermann Heilner nicht anwesend war. Man verständigte die Polizei und ließ nach ihm suchen. Erst nach drei Nächten fiel er einem Landjäger in die Hände.
\"Man hatte ihn halten wollen, nun aber war das Maß voll. Er wurde in Schanden entlassen und reiste abends mit seinem Vater auf Nimmerwiedersehen ab." "Schön und schwungvoll war die Rede, die der Herr Ephorus auf diesen außerordentlichen Fall von Widersetzlichkeit und Entartung hielt. Viel zahmer, sachlicher und schwächlicher lautete sein Bericht an die Oberbehörde nach Stuttgart. \"
Nun war Hans derjenige, der allein war, und seine schulischen Leistungen ließen immer mehr zu wünschen übrig, daran änderte auch ein Brief des Ephorus an den Vater von Hans nichts. Dazu kam noch das ständige Kopfweh und das Schelten der Lehrer hinzu.
\"Es war noch drei Wochen vor den Ferien, als Hans in einer Nachmittagslektion vom Professor heftig gescholten wurde. Während der Lehrer noch weiter schimpfte, sank Hans in die Bank zurück, begann ängstlich zu zittern und brach in einen lang dauernden Weinkrampf aus, der die ganze Lektion unterbrach. Darauf lag er einen halben Tag im Bett. Tags darauf wurde er in der Mathematikstunde aufgefordert, eine geometrische Figur zu zeichnen und den Beweis dazu zu führen. Er trat heraus, aber vor der Tafel wurde ihm schwindlig; er fuhr mit Kreide und Lineal sinnlos in der Fläche herum, ließ beides fallen, und als er sich danach bückte, blieb er selber am Boden knien und konnte nicht wieder aufstehen. \"
Damit war das Ende seines Aufenthalts in Heilbronn besiegelt, er wurde noch ehe die Schule zu Ende war, mit einem Brief vom Ephorus und vom Oberamtsarzt nachhause geschickt.
Doch auch zuhause besserte sich sein Zustand nicht, im Gegenteil, das Gesicht des enttäuschten Vaters, die vorwurfsvollen Blicke des Stadtpfarrers und des Rektors, sowie das Bewußtsein, schon seit Jahren keine Altersgenossen mehr zu kennen, erschwerten es ihm, zuhause wieder Fuß zu fassen. \"In dieser Not und Verlassenheit trat dem kranken Knaben ein anderes Gespenst als trügerischer Tröster nahe und wurde ihm allmählich vertraut und notwendig. Das war der Gedanke an den Tod. \"
Doch dann schien alles gut zu gehen, er lernte seine erste Liebe kennen, ein Mädchen namens Emma, welche beim Meister Flaigl zu Besuch war. Doch sein Glück hielt nicht lange, ohne sich zu verabschieden, war seine erste Liebe schon nach kurzer Zeit aus seinem Leben verschwunden. \"So erfuhr er, vielleicht zu früh, seinen Teil vom Geheimnis der Liebe, und es enthielt für ihn wenig Süßes und viel Bitteres. \"
Für Hans war es nun Zeit, ins Berufsleben einzusteigen, so begann er eine Lehre als Schlosser. An einem Sonntag ging er mit August, einem Lehrling, den er noch von früher her kannte, und dessen Freunden nach Bielach, um das Wochenende bei Bier, Wein und Zigarren zu feiern. Da Hans weder Alkohol noch Zigarren vertrug, war er schon bald unwohl. Als er sich auf den Nachhauseweg machte, war er betrunken.
\"Allein taumelte er die Vordertreppe hinab, und kam, er wußte nicht wie, zum Dorf hinaus." "Unter einem Apfelbaum legte er sich in die feuchte Wiese. Eine Menge von widerlichen Gefühlen, quälenden Befürchtungen und halbfertigen Gedanken hinderten ihn am Einschlafen.
"Nach einer Stunde, es dunkelte schon, erhob er sich und schritt unsicher und mühsam bergabwärts. \"
Sein Vater wartete bis 10 Uhr und ging, als er die Wut auf den nicht nach Hause kommenden Sohn vergessen hatte, schlafen.
\"Zu derselben Zeit trieb der so bedrohte Hans schon kühl und still und langsam im dunklen Flusse talabwärts. \"
Soweit der Inhalt. Autobiographisch gesehen, beschreibt \"Unterm Rad\", wenn auch nur oberflächlich, die selbst erlebten Leiden des Klosterlebens und die Schulprobleme seines Bruders Hans. Wie Hans Giebenrath war auch Hermann Hesse Schüler in Maulbronn und wie Hermann Heilner war auch er von dort geflohen. Im Tagebuch seiner Mutter finden wir folgende Zeilen zu diesem Vorfall. \"Nun Gottlob! Das Kind ist selbst wieder gekommen, unterwegs von einem Landjäger gefragt, wo es hinwolle? hatte er gesagt: nach Maulbronn. " "Die Repetenten gingen ihm entgegen. Als er in des Professors Zimmer sein Taschentuch herauszog, fielen Strohhalme heraus; er hatte die bitterkalte Nacht auf freiem Felde zugebracht und sich frierend in einen Strohhaufen zu stecken gesucht." "Die Professoren nehmen´s sehr ernst, sie fürchten partielle Geistesverwirrung, etwas Krankhaftes.\"
Die Konsequenzen seines Fluchtversuchs sind in einem Brief von Professor W. Paulus an Johannes Hesse beschrieben. \"Sehr geehrter Herr, gestern ist im Lehrerkonvent über die Bestrafung Ihres Sohnes Hermann beraten worden, und ich habe die Pflicht, Sie von dem gefaßten Beschluß in Kenntnis zu setzen. Wir waren darin einig, daß die Verfehlung Hermanns nicht als vorbereitetes und zweckbewußtes Entweichen anzusehen ist, [...]" "Es wurde deshalb eine Karzerstrafe von 8 Stunden festgesetzt. " "Außerdem war es die übereinstimmende Ansicht des Konvents, daß das Verbleiben Hermanns im Seminar [...] nicht wünschenswert sei. \"
Hermann Hesse schreibt in einem Brief an Karl Isenberg. \"Die Schule ist die einzige moderne Kulturfrage, die ich ernst nehme und die mich gelegentlich aufregt. An mir hat die Schule viel kaputtgemacht, und ich kenne wenig bedeutendere Persönlichkeiten, denen es nicht ähnlich ging. Gelernt habe ich dort nur Latein und Lügen, denn ungelogen kam man in Calw und im Gymnasium nicht durch - wie unser Hans beweist, den sie in Calw, weil er ehrlich war, fast umbrachten. Der ist auch, seit sie ihm in der Schule das Rückgrat gebrochen haben, immer 'Unterm Rad' geblieben. \"
Weiters schreibt er. \"Die Lateinschule, welche auch mir viele Konflikte gebracht hatte, wurde für ihn [seinen Bruder] mit der Zeit zur Tragödie, auf andere Weise und aus anderen Gründen als für mich, und wenn ich später als junger Schriftsteller in der Erzählung "Unterm Rad" nicht ohne Erbitterung mit jener Art von Schulen abrechnete, so war das leidensschwere Schülertum meines Bruders dazu beinah ebenso sehr Ursache wie mein eigenes. \"
In "Begegnungen mit Vergangenem" heißt es. \"In der Geschichte und Gestalt des kleinen Hans Giebenrath, zu dem als Mit- und Gegenspieler sein Freund Heilner gehört, wollte ich die Krise jener Entwicklungsjahre darstellen und mich von der Erinnerung an sie befreien, und um bei diesem Versuch das, was mir an Überlegenheit und Reife fehlte, zu ersetzen, spielte ich ein wenig den Ankläger und Kritiker jenen gegenüber, denen Giebenrath erliegt und denen ich selber beinahe erlegen wäre: der Schule, der Theologie, der Tradition und Autorität. \"
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