Jugendpolitik der NSDAP
"Die Faschisten, unsere erbittertsten Gegner, wissen sehr gut, wie wichtig die politische Beeinflussung der Kinder ist. Nicht bloß in der Schule und in der Hitlerjugend, vor allem durch eine reichhaltige Kinderliteratur, durch Zeitschriften und Bücher, nehmen sie einen außerordentlich starken Einfluß auf den Nachwuchs.\"
Wie Alex Wedding, eine der wichtigsten Autoren antifaschistischer Jugendliteratur ganz richtig erkannte, hat die Propaganda der NSDAP die Beeinflussung der Jugend als wichtigen Faktor vorgesehen. Schon vor der Machtübernahme der Partei im Jahr 1933, war ihr politisches Programm auf einen Bruch mit der bestehenden Gesellschaftsform ausgerichtet. Die "durch die Weltwirtschaftskrise materiell und moralisch verelendete Jugend\" sah darin ein Versprechen, die Ungerechtigkeiten des kapitalistisch ausgerichteten Systems der Weimarer Republik auszumerzen. Die nationalsozialistische Ideologie gab den orientierungslosen Jugendlichen dieser Zeit neue Ziele und Werte und entflammte in vielen leidenschaftliche Begeisterung für die NS-Bewegung. Gleichzeitig machte sie ihre Anhänger blind für die eigentlichen Absichten der Partei, die, durch das wohlhabende Bürgertum finanziert, alles andere als eine Änderung der bestehenden Verhältnisse anstrebte.
Erziehung im NS-Staat
Rolf Eilers definiert in seiner Schrift "Die nationalsozialistische Schulpolitik\" die Richtlinie für das Erziehungswesen im NS-Staat.
"Der Nationalsozialismus ist eine Weltanschauung, die einen totalen Anspruch auf Geltung erhebt und nicht Sache zufälliger Meinungsbildung sein will. Das Mittel, diesen Anspruch durchzusetzen, heißt Erziehung. Die deutsche Jugend soll (...) bewußt geformt werden nach Grundsätzen, die als richtig anerkannt sind und sich als richtig erwiesen haben: nach den Grundsätzen der nationalsozialistischen Weltanschauung.\"
Die Erziehung der Jugend wurde also als wichtiges Mittel zur Herrschaftssicherung instrumentalisiert, was natürlich das "absolute Monopol auf alle Erziehungsinstitutionen\" voraussetzte.
Gleichschaltung des Komplexes Jugendliteratur
Um den Komplex Jugendliteratur einseitig auf die Propagierung der nationalsozialistischen Ideologie abzustimmen, lösten die NS-Funktionäre sofort nach der Machtergreifung den kompletten Prüfungsapparat für die Kinder- und Jugendschriften auf, um ihn sofort danach, mit zum Teil neuem Personal, für ihre Zwecke wieder einzusetzen. Das eröffnete den Nazis totale Zensur- und Kontrollmöglichkeiten. Mit der Übernahme des einflußreichsten Organs der ehemaligen Prüfungsausschüsse, der Jugendschriften-Warte, besaß die Partei "ein publizistisches Instrument zur Lenkung der von ihr vertretenen Schrifttumspolitik und ein Sprachrohr für die Säuberungsaktionen gegen die vorhandene Jugendliteratur\". Fortan waren also alle Neuveröffentlichungen, sowie auch alle alten Exemplare von Jugend- und Schulbüchern der nationalsozialistischen Prüfung unterworfen.
Das Reichserziehungsministerium veranlaßte 1937 eine "reichseinheitliche Neuordnung\" des Schulbücherwesens, indem es eine verbindliche Grundliste für die Schulbüchereien von Volksschulen erließ. Zwei Jahre später erfolgte dann auch eine Empfehlungsliste des Nationalsozialistischen Lehrerbundes (NSLB) für die Zusammensetzung von Oberstufenbüchereien sowie für den Berufs- und Sonderschulbereich.
Neben den offiziellen Prüfungsinstitutionen nahm auch die Hitlerjugend (HJ) ihren Einfluß auf die Jugendliteratur. Fritz Helke vom Kulturamt der Reichsjugendführung rechtfertigt den Anspruch der HJ auf ein Mitbestimmungsrecht in diesem Gebiet:
"Um eine kritische Würdigung durch Begutachtung der deutschen Buchproduktion vom Standpunkt der jungen Generation zu ermöglichen, hat sich die Hitlerjugend in dem Jugendschriftenlektorat der Reichsjugendbücherei ein schlagkräftiges Instrument geschaffen.\"
Grundlagen des nationalsozialistischen Erziehungswesens
Seinen Ursprung hatte das nationalsozialistische Verständnis von Erziehung schon im Wilhelminischen Deutschland, das bereits eine enge Verknüpfung von Dichtung und Erziehung vorsah. Nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs im Jahre 1918 vollzog sich der Herrschaftswechsel ausschließlich auf höchster Ebene; der gesamte Beamtenapparat blieb unbescholten weiter im Amt. Mit dem Umbruch wurde zwar eine neue Staatsform geschaffen, militante und nationalistische Gesinnungen blieben jedoch über Lehrer oder hohe Militärs weiterhin bestehen.
Dieser Geburtsfehler der Weimarer Republik bot den Nationalsozialisten den richtigen Unterbau für die Durchschlagskraft ihres Erziehungswesens.
Funktion, Wirkung und Inhalte der "politischen Jugendschrift\"
Ergebnis dieser Entwicklung war das Auftreten einer neuen literarischen Gattung: "Die politische Jugendschrift\". Diese Erscheinungsform stützte das Gedankengut und die Weltanschauung des faschistischen Staates nachhaltig. Zum Wesen der "politischen Jugendschrift\" äußert sich Max Fehring in seinem "Grundsatzreferat zu aktuellen Fragen der Jugendliteraturarbeit\":
"Sie (die politische Jugendschrift) will das Ich durch Erlebnis und Erkenntnis hineinführen in die Gemeinschaften, aufsteigend von Familie - Freundschaft - Kameradschaft - bündischem Leben - Berufs-, Wehr-, und Arbeitsverband bis hin zum Volksstaat. Sie pflegt Einordnung und Unterordnung, Opferwille und Hingabe aus dem Ethos der völkischen Gemeinschaft, will den Nachwuchs zur Gliedschaft erziehen in den völkischen Lebensordnungen.\"
In diesem Auszug werden aber nicht nur wichtige Elemente der Erziehung angesprochen, sondern gleichzeitig ein Katalog zentraler Themen für die konkrete Umsetzung im Buch genannt.
H. Mohr definiert in seinem Essay "Zur Frage der politischen Jugendschrift\" Funktionen und Aufgaben der neuen literarischen Gattung. Danach kommt es ihr nicht zuerst darauf an, "...ein formales Staatsdenken zu erzeugen, sondern vielmehr in der Jugend ein lebendiges Staatsgefühl zu erwecken...\", ohne explizit auf das politische Programm der Partei einzugehen. "Die politische Jugendschrift hat also nicht in erster Linie ein politisches Sachbuch zu sein; (...) nein, sie soll (...) den jungen Menschen erheben, begeistern (...) und mithelfen, die junge Generation innerlich bereit zu machen zum Einsatz für den Staat, für die Nation.\" Erklärtes Ziel der Faschisten war es, eine emotionale Bindung der Zielgruppe zum NS-Staat herzustellen, und die junge Generation zu "künftigen Trägern des nationalsozialistischen Staates\" zu erziehen.
Darüber hinaus versprachen sich die auf Massenloyalität angewiesenen Machthaber, über die leichter verführbaren Kinder auch bei den Eltern einen Gesinnungswandel herbeizuführen.
Zu den wichtigsten Bestandteilen des "politischen Jugendschrifttums\" zählen hauptsächlich die Werke, die sich mit der "Kampfzeit der Bewegung\" , also dem Zeitraum vor 1933, beschäftigen. Dazu gehören neben Schilderungen des Führers vor allem Episoden aus dem Bereich der HJ, dem Bund Deutscher Mädel (BdM) und der Sturmabteilung (SA).
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