Hürlimann schreibt zwar über den Bundespräsidenten, der gleichzeitig auch sein Vater ist, doch die politische Szenerie dient allenfalls als Kulisse. Auch geht es nicht um Abrechnung, wenn gleich durchsickert, dass er nicht mit allen Werken seines Vaters einverstanden ist. Im Vordergrund stehen die existentiellen Krisen, die der »große Kater«, wie sich der Bundespräsident selbst nennt, in den Tagen des Staatsbesuches zu durchleben hat. »Er war am Ende«, so lautet bereits der zweite Satz des Romans und kündigt den unaufhaltsamen Auflösungsprozeß des Staatsoberhauptes an.
Der Bundespräsident wird nicht ohne Sympathie, aber durchaus kritisch dargestellt. Es wird gezeigt, wie der junge Parteipolitiker - dessen Ziel allein Karriere heißt - geschickt und gerissen auf der ideologischen Klaviatur des patriarchalisch-konservativen, katholischen Weltbildes seiner Wahlklientel spielt. So klettert man, läßt Hürlimann zwischen den Zeilen anklingen, auf der politischen Erfolgsleiter nach oben.
Kompositorisch verbindet Thomas Hürlimann in \"Der große Kater\" zwei Zeitebenen und Handlungsstränge miteinander. Auf der Gegenwartsebene stellt er den Verlauf des Staatsbesuches dar, dann wieder berichtet er in Rückblenden von der alten Freundschaft und Rivalität des Bundespräsidenten und seines Sicherheitspolizeichefes Pfiff:
Detailliert legt Hürlimann Schicht um Schicht einer komplexen Persönlichkeit frei, taucht ab in die Kindheit, Schulzeit und die Anfänge der politischen Laufbahn. So erfährt der Leser auch wie der Bundespräsident mit sieben Jahren zum Kater wurde.
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Gerade seine tierischen Eigenschaften machen jedoch dem Kater das Leben schwer. In der Klosterschule, welche er besuchte ist Anpassung gefragt, die Zöglinge sollen zu »Vasenmenschen« erzogen werden, zu »Massenware« und »Mittelwesen«, mit denen sich Staat machen läßt. Erziehung und Karriere zielen gerade darauf ab, »sein Katerwesen abzutöten«. Die tierischen Eigenschaften sind es jedoch, die den »großen Kater« zum Menschen werden lassen. Und da Katzen ja bekanntlich neun Leben haben, kann sich Kater oft aus misslichen Situationen befreien und bringt sogar den Staatsbesuch noch respektabel über die Bühne.
Interessant ist auch, dass Hürlimann noch weitererzählt, wo die Handlung schon lange nicht mehr trägt und die Bewegung nach dem Ende der politischen Intrige in den persönlichen Verfall übergeht. Die Ehe war schon zur Zeit des Staatsbesuches nur noch ein Schattenspiel. Danach ist sie ganz zerbrochen, auch wenn sich eine Scheidung nicht mehr lohnte. Diese findet innerhalb der eigenen vier Wände statt. Die Frau besitzt den oberen Stock, im Erdgeschoss dämmert der grosse Kater, seinen privaten Stützpfeiler und des öffentlichen Amtes beraubt, vor sich hin.
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