"Historie in drei Akten" von Ödön von Horváth, entstanden 1927/28; Uraufführung: München, 26.3.1972, Kammerspiele. Eine überarbeitete zweite Fassung erhielt den Titel Sladek, der schwarze Reichswehrmann; Uraufführung: Berlin, 13.10.1929, Lessing-Theater (Matineé-Vorstel¬lung der "Aktuellen Bühne"). - Seit den frühen zwanziger Jahren versuchte die deutsche Wehr¬macht, wie die Zeitschrift ,Die Weltbühne' 1925 aufdeckte, ihre Truppenstärke über die durch den Versailler Vertrag gezogenen Grenzen hinaus auf¬zustocken. Diese heimliche Aufrüstung vollzog sich in Form von "Vaterländischen Verbänden", die, mitunter als Arbeitskommandos getarnt, als Kader für eine Reservetruppe, für eine "Schwarze Reichswehr", dienten. Abtrünnige dieser Verbän¬de wurden Opfer von Fememorden. Die in der ,Weltbühne' publizierten Artikel, 1926 auch als Buch veröffentlicht (C. Mertens, Verschwörer und Fememörder), führten bezeichnenderweise nicht zur Aufdeckung der Skandale um die Reichswehr und die Fememorde, sondern zur Verfolgung der Redakteure der ,Weltbühne', die seit Mai 1927 von C. v. Ossietzky geleitet wurde, wegen Landesver¬rat. Eine Veränderung schien sich Ende 1927 anzu¬bahnen, als im Zusammenhang mit der sog. Phoe¬bus-Affäre offiziell bekannt wurde, dass die Reichs¬wehr neben regulären, ausgewiesenen Etatgeldern noch über umfangreiche Geheimfonds verfügte und Reichswehrminister Otto Gessler deshalb 1928 zurücktreten musste. Seit 1927 hatte sich Horváth eingehender mit diesen Entwicklungen beschäftigt. Bis Mai 1928 war die erste Fassung des Stücks in jedem Falle beendet; die Vorgänge um Gessler und das die demokratischen Kräfte stabili¬sierende Ergebnis der Reichtstagswahl vom Mai 1928 waren, so T. Krischke, vielleicht Anlass für Horváth, eine Neufassung vorzunehmen und das Stück nun eine Historie aus dem Zeitalter der Infla¬tion zu nennen, denn, wie er 1929 in einem Inter¬view erklärte: "Die inhaltliche Form meines Stückes ist historisches Drama, denn die Vorgänge sind bereits historisch. Aber seine Idee, seine Tendenz ist ganz heu¬tig."
Horváth beleuchtet die Machenschaften der schwarzen Armee und die Versuche ihrer Vertu¬schung aus der Perspektive zweier Hauptfiguren, Franz und Sladek. Franz, linker Journalist, unter¬sucht die Vorgänge um die schwarze Armee ("Sie nennen sich schwarze Armee, weil sie nur als Geheim¬nis existieren können. Und der es verrät, der stirbt.") und trifft bei einer Versammlung von "Haken¬kreuzlern" auf Sladek, in dessen Kopf die Phrasen und analogischen Erklärungsmuster der Rechtsra¬dikalen ein autoritäres Stereotyp ergeben ("In der Natur wird gemordet, das ändert sich nicht. Das ist der Sinn des Lebens, das große Gesetz. Es gibt nämlich keine Versöhnung. Die Liebe ist etwas Hinterlistiges. Liebe, das ist der große Betrug. Ich hab keine Angst vor der Wahrheit, ich bin nämlich nicht feig."). Da er oh¬ne Beruf und Arbeit ist, wird Sladek von der Wirtin Anna ausgehalten, deren Mann zu den Vermissten des Krieges zählt. Aus Angst, dass sie, die "schon mal alles für das Vaterland geopfert" hat, nun Sladek an die schwarze Armee verliert, droht sie, diese zu ver¬raten und wird daraufhin von Sladeks Kumpanen mit dessen Mithilfe ermordet. Im Hauptquartier der schwarzen Armee begegnet Sladek erneut Franz, der dort gefangen ist. Er entgeht nur knapp der Feme, da der schwarzen Reichswehr durch einen Bundessekretär die Auflösung verkündet wird: "Da sich ... die innerpolitische Lage überra¬schenderweise derart konsolidiert hat, dass zur Nieder¬schlagung einer kaum zu erwartenden Linksrevolu¬tion die vorhandenen regulären Machtmittel des Staa¬tes ausreichen, andererseits die außenpolitische Lage (...) die Möglichkeit ... der wirtschaftlichen Annähe¬rung der Nationen erhoffen lässt."
Franz und Sladek kommen beide vor Gericht. Franz wegen "versuchten Landesverrats", weil er die Vorgänge um die schwarze Armee in einem Artikel publik gemacht hat ("Ist es nicht grotesk, dass mich nun die Justiz dieser Republik, für deren Leben ich fast fiel, verurteilen will, weil ich sie vor Freunden warne?"), Sladek wegen Mordes; Freunde ("Wir kennen keinen Sladek!") haben ihn im Stich gelassen. Die letzte Szene sieht ihn, für den der Staatsanwalt lebenslänglich beantragte, am Hafen, um nach Südamerika auszureisen; er ist amnestiert, oder, in den Worten Sladeks: "Man hat unter mich einen Schlussstrich gezogen." - Die zweite Fassung - die Figur des Franz heißt nun "Schmin¬ke" - lässt das Stück mit der Auflösung der schwar¬zen Reichswehr enden; reguläre Truppen setzen dies gewaltsam durch, Sladek kommt dabei um. Der Bundessekretär, die Personifikation des Staa¬tes, darf das Schlusswort sprechen: "Die furchtba¬ren Tage der Inflation haben wir nun gottlob über¬wunden. Das deutsche Volk befindet sich im kraftvol¬len Wiederaufstieg. Es hat Unglaubliches ertragen und Ungeheures vollbracht". Horváth zeichnete in der Figur des Sladek ein hellsichtiges Porträt jenes "autoritären Charakters" (Th. W. Adorno), der mit seinen Sauberkeits- und Reinheitsidealen ("Ich küss nicht gern so, so sinnlich."), seinen Sehnsüchten nach einem einfachen, umfassenden Weltbild, seinen trivialen Psychologisierungen ("Heut sind alle Staaten gegen uns ... Weil wir wehrlos sind, das ist dann im¬mer so."), seinen Analogisierungen ("Ohne Mord gibt es kein Leben, geht es nicht weiter.") und seiner latenten Infantilität so kennzeichnend für die na¬tionalistischen Bewegungen der Weimarer Zeit war: "Ein ausgesprochener Vertreter jener Jugend, je¬nes ,Jahrgangs 1901', der in seiner Pubertät die ,große Zeit', Krieg und Inflation, mitgemacht bat, ist er der Typus des Traditionslosen, Entwurzelten, dem jedes fe¬ste Fundament fehlt und der so zum Prototyp des Mit¬läufers wird", wie der Autor selbst anlässlich der Ur¬aufführung von Sladek, der schwarze Reichswehr¬mann 1929 festhielt.
Die Kritik nahm das Stück reserviert auf; auf Her¬bert Jhering wirkte es inhaltlich "dürftig und irre¬führend", Alfred Kerr konstatierte: "Propaganda¬stück mit Kunst? Manchmal. Zwischendurch Spuren eines Dichters". Das Stück, dessen Originalmanu¬skripte verloren sind und von dem lediglich die al¬ten Textbücher der "Volksbühne" von 1928/29 er¬halten blieben, geriet anschließend in Vergessen¬heit; erst im Gefolge der Horváth-Renaissance in den sechziger Jahren erschien der Text in Buchform und kam es zur Uraufführung der ersten Fassung, die, nach dem Urteil von Dieter Hildebrandt, nicht nur "mehr Farbe und Material" enthält, son¬dern auch "provokativer, lebendiger ist".
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