Hesse selbst berichtet in seinem Text "Arbeitsnacht" davon, daß "... alle Prosadichtungen, die ich (Hesse) verfaßt habe, sind Seelenbiographien. In ihnen handelt es sich nicht um Geschichten(..
.), sondern sie sind im Grunde die Monologe, in denen eine einzige Person, eben jene mythische Figur, in ihren Beziehungen zur Welt und zum eigenen Ich betrachtet wird." Hesse fällt auf, daß "... die meisten meiner größeren Erzählungen nicht, (.
..) neue Probleme und neue Menschenblider aufstellen, wie die wirklichen Meister es tun, sondern nur die paar mir gemäßen Probleme und Typen variierend wiederholen, wenn auch von einer neuen Stufe des Lebens und der Erfahrung aus." Aus den oben eingeführten Zitaten kann man nun einige Schlußfolgerungen ziehen. Zunächst stellt man fest, daß Hesse über den Zwiespalt einer Person spricht. Ferner ist es eine Person, die sich selbst in der Interaktion mit dem Ich und der Umwelt als Außenstehender beobachtet.
Zweitens stellt Hesse fest, daß sich die Probleme die sich ereignen immer wieder wiederholen und daß sie aus verschiedenen Aspekten gesehen werden können. Die Figuren entwickeln sich, in der Form wie sich Hesse in realen Leben entwickelt. Aber die Tatsache, daß die Kernmotive und Hauptprobleme in seinen Werken wiederholen und trotzdem ein so großen Anklang finden, verdeutlicht, daß Hesse über zentrale und doch über individuelle Probleme der Menschheit schreibt. Ziel ist es nun diese Motive darzulegen. Zunächst liegt es auf der Hand, sich mit den beiden Titelfiguren und ihrer Antinomien zu befassen. Allein die Namensgebung der ersten Hauptcharakters ist höchst auffällig, der Name Narziß kommt aus dem Griechischen.
Eine griechische Sage erzählt von einem schönen Jüngling, der sich vor lauter Selbstverliebtheit verzehrte, an seiner Stelle wuchs eine Narzisse aus dem Boden, daher wird in der Psychologie das Phänomen der Selbstliebe als Narzismus bezeichnet. Narziß wirkt im Roman zwar narzißtisch veranlagt, hat aber trotzdem Platz für die Liebe zu Goldmund. Somit kann man behaupten, daß sich einige Ähnlichkeiten zu der Sage nicht leugnen lassen. Narziß wird als Personifizierung der Renaissance dargestellt, er verkörpert die antiken griechischen Tugenden bis zur Perfektion. Schönheit, Eleganz, ritterliches Benehmen sind Attribute, die ihm zustehen. Ferner wird er noch als stiller Denker zitiert.
(S.9 ff) Goldmund hingegen wird nicht als minderhübsch bezeichnet, er ist jedoch offener und weniger feinfühlig als Narziß und insgesamt schlichter gestrickt. Narziß selbst erkennt schon zu Beginn des Romans die Bedeutung der unkonventionellen Freundschaft zueinander. Zu den prägendsten Worte von Narziß über Goldmund gehört: " Nein, ich bin nicht deinesgleichen (S.38, Kapitel3)." "Wir kommen uns auf keinem Wege näher, es ist nicht unsere Aufgabe uns näherzukommen (S.
46 Kapitel 4)." "...sondern uns einander zu erkennen(S.46 Kapitel 4).
" "Unsere Freundschaft dient nur, zu zeigen wie ungleich (wir uns sind)(S.38, Kapitel3)..." Doch vor allen Dingen: "..
. zu erkennen was er ist, des anderen Gegenstück und Ergänzung(S.46 Kapitel 4)." Die Metapher welche Narziß benutzt verdeutlicht die Situation, "Wir zwei sind wie Sonne und Mond, wie Land und Meer (S.46 Kapitel 4)." Hesse führt hier an, daß ein Extrema das Gegenstück benötigt, um zu sich zu definieren und eine Erweiterung für sich zu finden.
"...und zu ehren und zu lernen, was er (der Andere ist), des anderen Gegenstück und Ergänzung(S.46 Kapitel 4)." An dieser Passage wird meines Erachtens der Kerngedanke Hesses ausgedrückt.
Er beschreibt durch Narziß Worte, daß man beide Hälften eines Extrema braucht um etwas zu erkennen, sich ein Bild von etwas machen zu können und sich zu erweitern, somit ist die Toleranz ein wichtiger Punkt in Hesses Erzählung. Wenn man sich jetzt darauf einläßt Narziß und Goldmund als "zwei Seelen in einer Brust" zu betrachten, so kann man zu dem Schluß kommen, daß beide die gleiche Wertigkeit haben. Denn Narziß und Goldmund scheinen gleich zufrieden mit dem, was sie machen. Im Gegensatz zu der (ich nenne es jetzt mal) Triebseite des Menschen ist jedoch die Vernunftsseite letztendlich die, die gerade von ihrem Wesen her unterlegen ist. Das ist gerade im Schlußdialog deutlich herausgearbeitet, während die Vernunft wacht, läßt sich die Seite des Triebes gehen. Aber auch die Triebseite schafft es nicht allein, die große Erfüllung zu erlangen, die Verbindung zwischen ihr und der Vernunft: die Synthese auf einer anderen Ebene (Urmuttergestaltung).
So gesehen kann man auch begreifen, warum sich beide Seiten anziehen und zu vereinbaren suchen, ohne sich jedoch erreichen zu können. Der Punkt, daß Hesse nun in erster Linie Goldmund beschreibt, könnte bedeuten, daß in ihm eine Unausgeglichenheit gibt, die er zu herauszufinden und zu erklären versucht. Verglichen mit der Biographie Hesses läßt sich feststellen, daß auch Hesse oft auf der Suche nach dem Einklang von Trieb und Vernunft war. Dies fällt bereits bei seinen ständigen Schulwechseln auf, und gipfelt beim Verlassen seiner Familie. Ein völlig anderer Punkt ist der, daß, wenn wir davon ausgehen, daß der Roman die Toleranz der Andersartigkeit vermittelt, die logische Konsequenz der damaligen Herrscher (Beginn der Nazizeit) sein mußte, dieses Werk mit Vorsicht zu betrachten und es zu verbieten. Denn die Ideale der nationalsozialistischen Bewegung war nicht gerade die Akzeptanz von Anderen.
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