Bedecke deinen Himmel, Zeus,
Mit Wolkendunst
Und übe, Knaben gleich,
Der Disteln köpft,
An Eichen dich und Bergeshöhn!
Musst mir meine Erde
Doch lassen stehn,
Und meine Hütte,
Die du nicht gebaut,
Und meinen Herd,
Um dessen Glut
Du mich beneidest.
Ich kenne nichts Ärmer's
Unter der Sonn' als euch Götter.
Ihr nähret kümmerlich
Von Opfersteuern
Und Gebetshauch
Eure Majestät
Und darbtet, wären
Nicht Kinder und Bettler
Hoffnungsvolle Toren.
Da ich ein Kind war,
Nicht wusste, wo aus, wo ein,
Kehrte mein verirrtes Aug'
Zur Sonne, als wenn drüber wär'
Ein Ohr, zu hören meine Klage,
Ein Herz wie meins,
Sich des Bedrängten zu erbarmen.
Wer half mir wider
Der Titanen Übermut?
Wer rettete vom Tode mich,
Von Sklaverei?
Hast du's nicht alles selbst vollendet,
Heilig glühend Herz?
Und glühtest, jung und gut,
Betrogen, Rettungsdank
Dem Schlafenden da droben?
Ich dich ehren? Wofür?
Hast du die Schmerzen gelindert
Je des Beladenen?
Hast du die Tränen gestillet
Je des Geängsteten?
Hat nicht mich zum Manne geschmiedet
Die allmächtige Zeit
Und das ewige Schicksal,
Meine Herrn und deine?
Wähntest du etwa,
Ich sollte das Leben hassen,
In Wüsten fliehn,
Weil nicht alle Knabenmorgen-
Blütenträume reiften?
Hier sitz ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Zu leiden, zu weinen,
Genießen und zu freuen sich,
Und dein nicht zu achten,
Wie ich.
Erläuterungen
"glühend Herz" (V.34)
Das Herz als Zentrum der Gefühle steht hier für glühende Leidenschaft, es ist Ursprung von Prometheus' Handeln.
Zeus beneidet Prometheus nicht nur um die Glut eines Ofens, sondern auch um die Glut seines Herzens, die Prometheus wie das Feuer (siehe Erläuterung Prometheus) an die Menschen weitergibt (siehe auch Erläuterung V. 52-53).
Abhängigkeit der Götter (V.15F)
Die Götter existieren nur durch den Glauben der Menschen. Sie sind damit von ihnen abhängig und führen das Leben von Bettlern.
Untätigkeit der Götter (V.39F)
Prometheus beschreibt die Bedingungen, unter denen die Menschen auf der Erde leben müssen und wirft den Göttern vor, an dieser Situation nichts zu ändern (siehe auch Erläuterung zur Theodizeefrage).
Dritte Strophe (V.22F)
Der Gedanke der zweiten Strophe wird hier verdeutlicht, da Prometheus seine eigene Kindheit mit Naivität und hilflosem Gottvertrauen gleichstellt (siehe auch Erläuterung zum Gebrauch des Konjunktivs und Erläuterung zur zweiten Strophe).
Strophe 6
Prometheus sieht sich nur den Mächten der Zeit und des Schicksals unterworfen, nicht dem Willen der Götter. In seiner Ohnmacht diesen Kräftene gegenüber setzt er sich mit den Göttern gleich und streitet damit ihre Allmacht ab.
[X] Strophe 7
Prometheus flieht nicht vor dem Leiden, sondern akzeptiert es als Bestandteil irdischen Lebens. Allerdings sieht er sich nur den Gewalten der Zeit und des Schicksals unterworfen (vergl. Strophe 6).
Vers 52
Erneut wird die räumliche Trennung aufgegriffen (siehe auch Antithese). Außerdem Zeitsprung ins Präsens.
Die Schöpfungskraft (V.52F)
"Formen" steht hier eher für geistige als physische Formung. Grundvoraussetzung hierfür ist das "heilig glühend Herz". Der Schöpfungsakt durch Prometheus betont seine Selbstständigkeit, Macht und schaffende Aktivität.
Formelle Umrahmung (V.1+58)
"Bedecke deinen Himmel, Zeus" (V.1)
"Wie ich" (V. 58).
Während Vers 1 noch auf einen tätigen Zeus verweist, schließt das Gedicht mit dem Bezug auf Prometheus. So wird aus dem Bezug von Form und Inhalt deutlich, dass Prometheus Zeus in seiner Machtposition ablöst.
Hyperbel (V.34)
Starke Übertreibung, hier aus religiösem Wortfeld.
Verwendung des Imperativs (V.1F)
"Bedecke" (V.1),
Hier ein klarer Befehl an den Göttervater Zeus, der die Machtverhältnisse umzukehren scheint.
"Und übe an Eichen dich"
Bezug auf die Blitze, die als Waffe des Zeus gelten. Das Verb "üben" stellt aber die Macht des Zeus in Frage (siehe auch "Knaben gleich"). Die Zeus' Macht wird hier auf für Prometheus unwesentliche Bereiche beschränkt (siehe auch "Musst mir... doch lassen stehn").
[X] Pantheismus (V.1-5)
Gott wird in allem wiedergefunden (Natur, Mensch). Das ist eine typische Gottesdarstellung der Empfindsamkeit (siehe auch Goethe, Die Leiden des jungen Werther). Hier wird dieser Vorstellung widersprochen, da der Wirkungsbereich des Gottes nur auf einige Bereiche der Natur bezogen wird, die allerdings den Lebens- und Schaffensbereich des Prometheus nicht berühren (siehe auch Erläuterung zur Antithese und zum Gebrauch des Imperativs).
Erläuterung zur \"Theodizeefrage\"
Das Erdbeben von Lissabon (1755) forderte ca. 60.000 Tote, die Erschütterungen waren bis England zu spüren. Es löste eine philosophische und literarische Diskussion darüber aus, warum Gott das Leiden und Sterben Unschuldiger zulässt. So beschäftigen sich z.B. Voltaire, Leibnitz und Heinrich von Kleist (Das Erbeben von Chili) mit dieser Frage.
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