Sie nannten ihn den \"Schattenmann\" und den \"Herrn der
Finsternis\", den \"Peiniger Kambodschas\" oder einfach \"Bruder
Nummer Eins\". Er schrieb eines der schrecklichsten Kapitel im
Geschichtsbuch dieses Jahrhunderts.
Pol Pot - sechs Buchstaben, die auch Jahrzehnte nach der Herrschaft des völkermordenden
Regimes seiner Roten Khmer nur nacktes Grauen wecken. Die Horrortaten blieben ungesühnt,
und der Täter ohne Reue. \"Millionen waren es nicht\", sagte er, zur Zahl seiner Opfer befragt.
Doch nach übereinstimmender Ansicht von Historikern haben etwa eine Million, vielleicht zwei
Millionen Menschen in den vier Jahren seiner Terrorherrschaft ihr Leben gelassen: Erschlagen
mit Hacken und Spaten, hingerichtet als \"bürgerliche Intellektuelle\", nur weil sie eine Brille
trugen, oder jämmerlich gestorben an den Folgen der Fronarbeit auf den \"Killing Fields\". Ein
gutes Viertel der Bevölkerung Kambodschas war ausgerottet, als vietnamesische Truppen
dem Regime am 7. Januar 1979 ein Ende machten.
Viele Geheimnisse
Ein kalter Machtpolitiker oder ein Monster? Irrsinn oder Kalkül? Oder Wahnsinn mit
Methode? Diese Fragen stellen sich angesichts der furchterregenden Karriere dieses Mannes.
Vermutlich am 19. Mai 1928 unter dem Namen Saloth Sar als Bauernsohn geboren, bleiben
viele Etappen seines Lebensweges im dunkeln.
Jugoslawischen Reportern, die 1975 als erste europäische Journalisten zu ihm gelassen
wurden, erzählte Pol Pot, er habe sechs Jahre in einer buddhistischen Pagode verbracht,
davon zwei Jahre als Priester. Später ging er mit einem Stipendium nach Paris, studierte
zeitweise Elektrotechnik, schloss sich der kommunistischen Widerstandsbewegung gegen die
französischen Kolonialherren an.
Priester, dann Lehrer
Zurück in Phnom Penh war Pol Pot Lehrer für Geographie und Geschichte. Sein rasanter
Aufstieg an die Spitze der KP wurde 1961 mit der Berufung zum Generalsekretär gekrönt;
sein Vorgänger fiel einer \"Säuberung\" zum Opfer. Von Mitte 1963 bis zum Einzug der Roten
Khmer in Phnom Penh im April 1975 lebte Pol Pot auf dem Land.
Hier enstand das Konzept vom \"neuen Menschen\", den es zu schaffen galt. Doch erst kam die
Vernichtung des alten. \"Gefährliche Kinder\" nannte der damalige Prinz Norodom Sihanuk die
Roten Khmer mit ihren schwarzen, pyjamaartigen Anzügen und den schwarzen Ballonmützen,
die sich im Dschungel auf den Guerillakrieg vorbereiteten.
Experiment zur Umerziehung
Das Kinderspiel wurde zum Horrorszenario. Die USA hatten sich aus Vietnam
zurückgezogen, der von amerikanischen Gnaden regierende General Lon Nol war nicht mehr
zu halten. Es schlug die Stunde Pol Pots. Kaum hatten die schwarzen Kämpfer die Hauptstadt
erobert, begann der Exodus der über zwei Millionen Einwohner, ein grauenhaftes Experiment
zur Umerziehung.
Geld und Privatbesitz wurden abgeschafft, 16 Stunden Feldarbeit bei einer Schale Reis liessen
Hunderttausende dahinsiechen. In wenigen Jahren war aus Kambodscha ein gigantischer
Friedhof geworden.
Der böse Nachbar Vietnam
Unbelehrbar bis zuletzt gab der schon todkranke, von eigenen Getreuen unter Hausarrest
gestellte Pol Pot im Sommer 1997 seine Version der kambodschanischen Tragödie zu
Protokoll. Auf dreiste Weise versucht er, die Geschichte umzuschreiben, den Völkermord der
Roten Khmer zu leugnen. \"Wir hatten keine Wahl\", beteuert der verbohrte alte Mann. Denn
schliesslich sei es um den Kampf gegen den Erzfeind Vietnam gegangen.
Mit seiner Fixierung auf den bösen Nachbarn erinnerte Pol Pot immerhin an eine gern
verdrängte Wahrheit: Nicht nur in China, auch im Westen hatte der Völkermörder viele
politische Freunde, jedenfalls Unterstützer, die glaubten, der Schlächter sei ihnen nützliches
Werkzeug im Kalten Krieg.
Auch als in den 80er Jahren Vietnam das Nachfolgeregime von Pol Pots
\"Steinzeitkommunisten\" stützte, war der Ex-Diktator den USA und den Vereinten Nationen
hochwillkommen.
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