Autoritäre Charakterbildung - Schuldgefühl- Opferbereitschaft
Der vorliegende Text von Max Horkheimer ist ein Ausschnitt aus Buch mit dem Titel "Autorität und Familie", das Max Horkheimer zusammen mit zwei anderen Autoren als "Forschungsberichte aus dem Institut für Sozialforschung" 1936 veröffentlichte.
Er beschreibt die Vorgänge, die nach Meinung des Autors dazu führen, dass ein Mensch Schuldgefühl und Opferbereitschaft entwickelt und kritisiert gleichzeitig die Ergebnisse dieser "Erziehung" als unpassend in solcher Form für die damalige/heutige Gesellschaft.
Zunächst erläutert er die Bedeutung der Erziehung in der Familie für einen einzelnen Menschen, und die negativen Konsequenzen die dieser starke Einfluss hat. Er führt Unselbstständigkeit, Minderwertigkeitsgefühle, und die "Zentrierung des ganzen Seelenlebens um die Begriffe von Ordnung und Unterordnung" als Produkt der familiären Beziehungen an, wobei er jedoch auch die "kulturellen Leistungen" eines Menschen von diesen abhängig sieht.
Die Begriffe von "Verdrängung und Sublimierung" hätten als "Ergebnisse des Konfliktes mit der gesellschaftlichen Realität" das Verständnis dieser Prozesse weitgehend gefördert (Z 6-8).
Das bedeutet: Die Familie eines Menschen hat einen enormen Einfluss auf sein späteres Leben und insbesondere sein Selbstverständnis, dass durch die üblichen familiären Strukturen von Unselbstständigkeit und Minderwertigkeitsgefühlen geprägt ist. Dieser starke Einfluss lässt sich dadurch erklären, dass der Mensch vor der gesellschaftlichen Realität flieht, in dem er versucht, sie zu verdrängen.
Weiterhin erläutert er genauen Bedingungen, die dazu führen, dass ein Mensch so einen Charakter annimmt, also einen von Unselbstständigkeit, Minderwertigkeits- und Schulgefühlen geprägten. Seiner Meinung nach ist es entscheidend, dass der Familienvater einen Druck auf die Kinder ausübt, unter dem sie lernen Misserfolge nicht bis zu ihren gesellschaftlichen Ursachen sondern nur auf sich selbst zurückzuführen (Z. 9-11) und diese "Fehler" bei sich selbst als Schuld oder mangelnde Begabung anzusehen.
Dadurch wachsen die Kinder zu Menschen heran, die übermäßig selbstkritisch sind und jeden Fehler bei sich suchen, wodurch sich die Energie, die sie in Kritik oder Veränderung an der Gesellschaft investieren könnten nur in sie selbst entlädt und dort sinnlos verklingt, höchstens zu noch größerer Unzufriedenheit mit sich selbst führt und immer wieder neue Selbstkritik provoziert, die an dieser Stelle zu nichts weiterem führt, weil sie nicht die letztendliche Ursache der Probleme, sondern nur eine spätere Konsequenz des eigentlichen Problems bekämpfen kann.
Max Horkheimer erklärt, in früheren Zeiten sei es entscheidend für das Wohl eines Menschen und dem der Menge, wie "tüchtig" sie waren, in der Gegenwart (also um 1936) sei die ständige Selbstkritik und die daraus resultierende Opferbereitschaft nur hinderlich, weil sie jede produktive Kritik an der Wirklichkeit vereitle.
Solange sei dieses Prinzip von Nachteil, bis es allgemein gültig sei und im Verständnis dazu führe, dass "alles Glück Ergebnis der gemeinsamen Arbeit sei".(Z 19/20)
Max Horkheimers Meinung nach ist also nur die Gemeinschaft der Menschen dazu in der Lage tatsächliches Glück für den einzelnen zu schaffen, in dem nämlich die Mitglieder dieser Gemeinschaft darauf hinarbeiten und nicht, in dem jeder einzelne für sich in voller Eigenverantwortung und vor allem voller Selbstkritik auf persönliches Glück hinarbeitet.
Er kritisiert auf jeden Fall die autoritäre Erziehungsrolle eines Vaters, der über die Kinder nahezu herrscht und sie unter Druck dazu erzieht, ein Selbstverständnis zu entwickeln, das ihnen später nur schadet. Dadurch, dass das Kind von Geburt an zu lernen hat, eine Autoritätsperson anzuerkennen und sich ihr unterzuordnen, entwickelt es fast automatisch das entsprechende Gefühl, minderwertig und unterlegen zu sein. Das Bedürfnis nach Ordnung und Unterordnung wird tief in seinem Bewusstsein verankert, so dass es sich immer wieder nach den Strukturen sehnt, die es früh erlernt hat.
Ein Fehler wird direkt bestraft, mit den einen oder anderen Mitteln und da eine Strafe nur gegen das Kind persönlich erfolgt, lernt es zu wissen, dass jeder Fehler bei ihm selbst liegt, in einer eher religiös geprägten Erziehung lastet es sich "Schuld" auf, in einer "naturalistischen" wird es bei sich mangelnde Begabung erkennen und beide Möglichkeiten laufen wiederum auf ein geringeres Selbstwertgefühl des Kindes hinaus.
Dass Menschen mit geringem Selbstwertgefühl schneller dazu bereit sind, sich für einen anderen oder eine größere Menge aufzuopfern ist nur logisch, da im eigenen Weltbild man selbst immer weniger wert sein wird, als die anderen, erst Recht als eine größere Menge.
Max Horkheimer wird heute im Internet von vielen sich selbst als "links" gerichtet bezeichneten Homepages zitiert oder als Autor angegeben, dessen Texte zu denen der Autoren dieser Seiten passen.
Ich denke, Max Horkheimer hatte teilweise Recht, eine stark autoritäre Erziehung eines Kindes, die es für jeden seiner Fehler absolut und unmissverständlich bestraft und die unter der Leitung eines unnahbaren Familienoberhauptes steht führt häufig zu einer ähnlich geprägten Denkweise, wie er es beschrieben hat. Allerdings sind heute die Einflüsse von außen stärker als früher, so dass ein Kind auch in der Schule, im Bekanntenkreis oder durch anderen Einflüsse eine der Familie entgegengesetzte Meinung entwickeln kann, wobei natürlich der Einfluss einer stark präsenten Familie der vergleichsweise intensivste ist.
Bezug zu Emilia Galotti:
Emilia Galotti wurde stark autoritär erzogen, sie empfand den Vater immer als stärkstes Mitglied der Familie dem sie und die Mutter sich unterzuordnen hatten, sowie sie sich zusätzlich auch noch ihrer Mutter zu unterwerfen hatte.
Durch die enge Beziehung zum Hof lernte sie früh weitere autoritäre Ordnungsformen kennen und auch dadurch, dass sie zu Hause Bedienstete hatte lernte sie Ordnung und Unterordnung als natürliche Dinge kennen.
Sie wurde stark religiös erzogen und nahezu jede Religion, gewiss aber die der damaligen Zeit in Italien, basiert auf einem Prinzip von Schuld und Unschuld, Sünde und Reinheit.
Sie sucht jederzeit die Schuld an allem möglichen bei sich, das stärkste Beispiel ist zunächst einmal die Flucht vor dem Prinzen in der Kapelle. Sie fühlte sich von ihm bedrängt, er verhielt sich ungehörig und setzte ihr nach, doch sie empfand nur sich selbst als frevelhaft, weil sie es nicht schaffte, taub zu werden bzw. den Schmeichelein des Prinzen keine weitere Beachtung zu schenken. Sie floh vor ihm und er verfolgte sie und sie bittet hinterher für ihr Verhalten um Vergebung.
Ihre große Opferbereitschaft zeigt sich wohl spätestens zum Ende des Buches, wenn sie bereit ist, zu sterben nur um den Prinzipien ihres Vaters zu genügen.
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