Wie kam Marco Polo nach China?
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Im europäischen Mittelalter ging ein Großteil des geographischen Wissens der Antike verloren oder wurde nicht beachtet. Zwar bezog man Gewürze, Seide und andere Waren aus China und Indien, aber nur über arabische Zwischenhändler, und niemand in Europa ahnte etwas von der chinesischen Hochkultur und ihren Leistungen. Doch der Ferne Osten brachte sich um 1240 selbst in Erinnerung. Um diese Zeit nämlich war das nomadische Reitervolk unter seinem Führer Dschingis-Khan erstarkt, hatte zunächst China erobert, drang unter Bautu-Khan bis nach Österreich vor und besiegte ein deutsch-polnisches Heer. Dann allerdings brachen innere Kämpfe um die höchste Macht im Reich aus, und ihr Vormarsch nach Westen stoppte.
Kublai-Khan, der Enkel Dschingis-Khans, wurde 1259 "Großkhan". Er war ein gebildeter, weltoffener Mann, verlegte die mongolische Hauptstadt nach Peking und regierte ein gewaltiges Reich, das fast ganz Asien umfaßte. Dort besuchten ihn um 1270 die beiden Kaufleute Nicolò und Maffeo Polo aus Venedig, die ersten Europäer in China. Er empfing sie mit allen Ehren, und sie erzählten von ihrer fernen Heimat und vom Christentum. Offenbar faszinierte ihre Geschichte Kublai-Khan, denn er bat sie, nach Europa zu reisen und dem Papst Grüße zu senden, er möge ihm christliche Gelehrte und heiliges Öl schicken. Sie führten den Auftrag aus und kehrten, in Begleitung zweier Mönche, die allerdings unterwegs aufgaben, durch Persien über das Pamirgebirge nach China zurück. Bei ihnen war Nicolòs 15jähriger Sohn Marco.
Das war der Auftakt zu einer der erregendsten Entdeckungsreisen aller Zeiten. Denn Marco Polo gewann sehr schnell das Vertrauen des mächtigen Herrschers und reiste in seinem Dienst durch alle Teile des Reiches, von der Mongolei bis Indien und Sumatra. Erst nach 24 Jahren kehrte er, von Heimweh getrieben, nach Venedig zurück.
Durch die Wüste Gobi
Als die Polos vom "Dach der Welt" hinabstiegen, kamen sie in ein Gebiet, das Nicolò und Maffeo bereits von ihrer ersten Reise nach Kathai kannten. Dabei handelte es sich um die Provinz Turkestan mit ihren fünf größten Städten Kaschgar, Khotan, Pen, Charchan und Lob. In Lob bereiteten sie sich auf eine der größten Strapazen der Reise nach Kathai vor: die Durchquerung der Wüste Gobi, einer der größten Wüsten der Erde. Selbst heutzutage, und das galt erst recht vor 700 Jahren, kennen nur wenige Europäer die Gefahren einer Wüstendurchquerung, und Marcos Bericht von der Reise durch die Wüste Gobi betont deren gewaltige Größe. "Diese Wüste ist so groß, daß man ein Jahr bräuchte, um von einem zum anderen Ende zu gelangen; und an ihrer schmalsten Stelle braucht man dazu noch einen Monat. Sie besteht gänzlich aus Bergen, Sand und Tälern. Es gibt dort nichts Eßbares."
Zum Glück war der Handelsweg durch die Wüste nach Kathai gut markiert, und zur Durchquerung von Lop bis Hsü-chou brauchte eine Karawane etwa 30 Tage. In Lop, dem Ausgangspunkt, notierte Marco: "Reisende, die sich zur Durchquerung der Wüste anschicken, gewähren sich und ihren Tieren eine Woche Erholung. Danach laden sie Vorräte für einen Monat für sich und ihre Tiere auf. Alsdann verlassen sie die Stadt und ziehen in die Wüste." Wer von der Karawane abkam, sah einem schleichenden Tod in der Wüste durch Sonnenstich und Verdursten ins Auge. Alle Reisenden wurden daher ermahnt, die "Vision" (Hitzeschleier und Fata Morgana) und "Geisterstimmen" (merkwürdige Töne, die der Wind beim Streichen über trockenen Flugsand verursachte), die oft leichtsinnige Reisende ins Verderben lockten, nicht zu beachten. Marco kannte die wirklichen Ursachen für diese Täuschungen nicht, wußte aber, daß sie gefährlich waren. Die Polos nahmen die Warnungen ernst, blieben dicht bei der Karawane und durchquerten sicher die Wüste Gobi.
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