Heinrich von Kleist (1777-1811)
Bernd Heinrich Wilhelm von Kleist wird am 18. Oktober 1777 als Sohn des Hauptmanns Friedrich von Kleist in Frankfurt an der Oder geboren. Er stammt aus einer alten preußischen Familie und tritt nach dem frühen Tod seines Vaters (Kleist ist 11 Jahre) im Alter von fünfzehn Jahren in das Potsdamer Garderegiment ein; dies mehr aus Familientradition, als aus Begeisterung für den Soldatenberuf. Fünf Jahre später stirbt seine Mutter. Er nimmt an dem Feldzug gegen Frankreich 1793 teil und scheidet bereits 1799 als Leutnant aus der Armee aus.
Von da an wird sein Leben ein qualvolles, ruheloses Wandern, da ihm jegliche berufliche Eingliederung in die Gesellschaft mißlingt. Schon seit frühester Jugend quält ihn der Gedanke nach dem Sinn des Lebens. Mit Hilfe der Wissenschaft meint er, müsse man einem Gesetz auf den Grund kommen können, nach dem die Welt organisiert sei. Er studiert Jura und Philosophie und verlobt sich mit der Generalstochter Wilhelmine von Zenge, die er mit seinen pedantischen Erziehungsversuchen quält. (Vorübergehend hat er eine Stellung als diplomatischer Beamter in Berlin)
Durch das Studium der Philosophie Immanuel Kants in tiefe Unruhe gestürzt, unternimmt er, gemeinsam mit seiner Schwester eine Reise nach Paris, um seine Studien dort fortzusetzen. Anschließend fährt er in die Schweiz und möchte ein kleines Bauerngut übernehmen (aus Begeisterung für die Lehren Rousseaus). Seine Verlobte zeigt wenig Verständnis für das Leben einer Bäuerin und löst die Verlobung. So scheitert dieser Versuch, seinem Leben einen Sinn zu geben.
Allmählich setzt sich in ihm der Glaube an sein dichterisches Vermögen durch, obwohl er ursprünglich die Wissenschaft als seine Lebensaufgabe angesehen hat. Er schreibt seine ersten Dramen. Nach einem längeren Besuch bei Christoph Martin Wieland in Weimar und einem abermaligen Aufenthalt in Paris erhält er 1805 in Königsberg eine Anstellung als Hilfsbeamter, besucht Vorlesungen an der Universität und hat Zutritt zu den besten Familien der Stadt.
1807 wird er der Spionage verdächtigt und gerät in französische Gefangenschaft. Nach seiner Freilassung läßt er sich zwei Jahre in Dresden nieder. Er gibt die Zeitschrift "Phöbus" heraus und bringt Fragmente aus seinen Dramen und Novellen.
Der einstige Anhänger Rousseaus wird zum erbitterten Napoleongegner und Fürsprecher eines deutschen Nationalismus ("Hermannschlacht"). Sein Weg führt ihn nach Wien, wo dieses patriotische Stück aufgeführt werden sollte, aber die Besetzung Wiens durch die Franzosen nach der Schlacht bei Wagram macht die Aufführung unmöglich. Verbittert über den Sieg Napoleons flieht er über Prag nach Berlin, wo er 1809-1910 die "Berliner Abendblätter", eine politische Zeitschrift, herausgibt. Diese geht jedoch nach drei Monaten ein, und er gerät in wirtschaftliche Not. Dies, seine Enttäuschung über den Zusammenbruch Österreichs und die fehlende Anerkennung seiner Dichtung treiben ihn in den Tod, und er erschießt sich und seine unheilbar kranke Geliebte Henriette Vogel am 21. November 1811 am Wannsee in Berlin.
Werke:
Dramen:
"Die Familie Schroffenstein" (1802)
"Amphitryon" (1805)
"Der zerbrochene Krug" (1806)
"Die Hermannschlacht" (1808)
"Das Käthchen von Heilbronn" (1808)
"Penthesilea" (1808)
"Robert Guiskard, Herzog der Normänner" (1808)
"Prinz Friedrich von Homburg" (1810)
Novellen:
"Michael Kohlhaas" (1806)
"Die Marquise von O..." (1808)
"Die Verlobung in St. Domingo" (1811)
Erzählungen:
"Das Erdbeben in Chili" (1807)
"Anekdote aus dem letzten preußischen Kriege" (1810)
"Das Bettelweib von Locarno" (1810)
"Der Findling" (1811)
Seine Lebens- und Kunstanschauung, den Streit zwischen Instinkt und Bewußtsein, Gefühl und Wirklichkeit, beschreibt Kleists Studie \"Über das Marionettentheater\" (1810)
Heinrich von Kleist vereint in seinem Werk Realistisches und Romantisch-Märchenhaftes, Tragik und Humor. Er hat keine Aufführung seiner Dramen erlebt. Erst nach dem Ersten Weltkrieg wird er als einer der genialsten Dramatiker der Weltliteratur und als der größte Dichter Preußens erkannt.
2. Inhaltsangabe
Die Marquise von O..., eine verwitwete Dame, gibt durch ein Zeitungsinserat bekannt, dass sie ohne ihr Wissen in andere Umstände gekommen und aus Familienrücksichten entschlossen sei, den Vater des Kindes zu heiraten. Obwohl sich die Marquise keines Fehlers bewußt ist, wird sie von ihren Eltern verstoßen. Sie zieht sich mit ihren Kindern auf ihren Landsitz zurück. Da sie Angst davor hat, dass ihr ungeborenes Kind in der bürgerlichen Gesellschaft nicht akzeptiert werden würde, wendet sie sich mit ihrer Anzeige an die Öffentlichkeit.
Als sich in der nächsten Ausgabe der Zeitung eine Antwort, die den Besuch des gesuchten Unbekannten ankündigt, befindet, erkennen die Eltern, dass sie ihrer Tochter Unrecht getan haben, und holen sie zurück. Die Marquise und ihre Eltern sind sich einig darüber, dass sie um des Kindes willen den zu erwartenden Mann heiraten solle, sofern es die soziale Stellung des Mannes erlaube. Als zum angegebenen Zeitpunkt der Graf F..., ein russischer Offizier, ins Zimmer tritt, grenzt die Überraschung der Marquise und ihrer Eltern an Bestürzung und totale Verwirrung. Der Graf von F... hatte die Marquise einige Monate zuvor bei einem kriegerischen Übergriff aus den Händen "viehischer Mordknechte" gerettet, und ihr dann später Heiratsanträge gemacht.
Die Marquise ist außer sich, als sie sieht, wer sie geschwängert hat, sie nennt denn Grafen einen Teufel, und sie versichert mehrmals, dass sie ihn nicht heiraten könne. Ihr Vater ist jedoch der Ansicht, dass sie ihr Wort halten müsse, und deshalb trifft er die nötigen Vorbereitungen für die Hochzeit. In einem Heiratsvertrag muß der Graf auf alle Rechte eines Gemahls verzichten. Nach der Trauung zieht sich der Graf sogleich zurück.
Erst zur Taufe des Kindes wird er zum erstenmal wieder eingeladen. Da der Graf die Marquise und sein Kind großzügig beschenkt, kommt es zu häufigeren Einladungen, und schließlich zu einem neuen Heiratsantrag des Grafen, der von der Marquise auch angenommen wird. Auf die Frage, warum die Marquise den Grafen damals gleich einem Teufel verabscheut habe, antwortete die Marquise, auf ihre Rettung durch den Grafen anspielend, "(...) er würde ihr damals nicht wie ein Teufel erschienen sein, wenn er ihr nicht, bei seiner ersten Erscheinung, wie ein Engel vorgekommen wäre."
|