Jeder Künstler, der das Thema der Judenvernichtung im Dritten Reich aufnimmt, steht unter dem Zwang, dem Grauen "ästhetisch" gerecht zu werden und geht damit die Gefahr ein, geschichtliches Grauen zu beschönigen. Adorno formuliert deshalb 1951 seine vieldiskutierte These: "[...] nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, [...]." Entgegnungen, die darauf hinweisen, daß nach 1945 Kultur und Literatur in durchaus produktiver Weise weitergegangen seien, stützen sich oft auf ein "scheinheiliges Geschichtsbild purer Nützlichkeit" - eben diese Art der Vergangenheitsbewältigung nennt Adorno "barbarisch". Es gibt gegenüber der Position Adornos aber auch durchaus berechtigte Einwände, etwa von H. M. Enzensberger (1959): "Der Philosoph Theodor W. Adorno hat einen Satz ausgesprochen, der zu den härtesten Urteilen gehört, die über unsere Zeit gefällt werden können: Nach Auschwitz sei es nicht mehr möglich, ein Gedicht zu schreiben. Wenn wir weiterleben wollen, muß dieser Satz widerlegt werden." Adorno entschließt sich daraufhin zu einer gewissen Einschränkung seines Urteils (1962); später (1966) schreibt er sogar: "Das perennierende Leiden hat soviel Recht auf Ausdruck wie der Gemarterte zu brüllen; darum mag falsch gewesen sein, nach Auschwitz ließe kein Gedicht mehr sich schreiben."
Er weist aber auf die Gefahren hin, die in der Darstellung des Leidens, im "ästhetischen Stilisationsprinzip" des "unausdenklichen Schicksals" liegen, weil auch jene Kunstwerke potentiell "Sinn" und "Genuß" für den Betrachter enthalten, die sich vermeintlich engagieren - und "damit allein schon widerfährt den Opfern Unrecht" . Gedichte nach Auschwitz - und hier stimmt seine Position mit der Celans überein - hält er für möglich, wenn sie dem Leiden Ausdruck verleihen und der Vergangenheit gedenken. Deshalb kommt er auch zu dem Schluß, daß heute "keine heitere Kunst mehr vorgestellt werden kann." Insgesamt sind die Thesen Adornos "Ausdruck einer negativ-dialektischen Denkbewegung zwischen der Möglichkeit und Unmöglichkeit von Kunst nach Auschwitz: keine positive Synthese wird angestrebt, die Situation der Kunst bleibt für ihn paradox" , weil sie zwar "der Aporie anheimfällt" , aber dennoch notwendig bleibt, um dem Grauen Ausdruck zu verleihen.
1995 wird erstmals eine Notiz Celans veröffentlicht, die sich direkt auf das Diktum Adornos von 1951 bezieht und in der Celan eine ironische Haltung gegenüber diesem Satz einnimmt:
"Kein Gedicht nach Auschwitz (Adorno): was wird hier als Vorstellung von ,Gedicht' unterstellt? Der Dünkel dessen, der sich untersteht hypothetisch-spekulativerweise Auschwitz aus der Nachtigallen- oder Singdrossel-Perspektive zu betrachten oder zu berichten [...]."
Daß Celan dem Verdikt Adornos dennoch sehr nahe steht, belegt das Gedicht "Ein Blatt", in dem er auf Brechts Gedicht "An die Nachgeborenen" antwortet ("Was sind das für Zeiten, wo / Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!" ):
"EIN BLATT, baumlos,
für Bertolt Brecht:
Was sind das für Zeiten,
wo ein Gespräch
beinah ein Verbrechen ist,
weil es soviel Gesagtes
mit einschließt?" (GWII, 385)
Allein der Zugriff auf Wörter - in jeglicher Verwendung von Sprache - schließt demnach den Mißbrauch zwangsläufig ein. Adorno, der plante, einen ausführlicheren Essay über Celan zu verfassen, schrieb über dessen Dichtung, sie sei "durchdrungen von der Scham der Kunst angesichts des wie der Erfahrung so der Sublimierung sich entziehenden Leids. Celan Gedichte wollen das äußerste Entsetzen durch Verschweigen sagen. Ihr Wahrheitsgehalt selbst wird ein Negatives."
|