Johann Wolfgang von, Dichter, * 28. 8. 1749 Frankfurt am Main, † 22. 3. 1832 Weimar. Nach einer vielseitigen Erziehung im elterlichen Patrizierhaus am Frankfurter Großen Hirschgraben studierte er Jura in Leipzig (1765–1768) und legte in Straßburg (1770/71) die Lizentiatenprüfung ab. In Leipzig entstanden sein rokokohaftes Schäferspiel “Die Laune des Verliebten” (gedruckt 1779), das anakreontische Liederbuch “Annette”, in denen sich seine Liebe zu Kätchen Schönkopf spiegelt, und die Oden (u. Briefe) an seinen Freund E. W. Behrisch. In Straßburg begeisterte er sich unter dem Einfluß J. G. Herders für Homer, Pindar, Shakespeare, für die gotische Baukunst und das Volkslied; er schrieb die Urfassungen des “Faust” und des “Götz von Berlichingen” sowie die Sesenheimer Lieder an Friederike Brion (“Willkommen und Abschied”, “Mailied”). In dieser Zeit wurde er zum führenden Dichter des “Sturm und Drang”.
Nach Frankfurt zurückgekehrt, war Goethe als Rechtsanwalt tätig und hatte freundschaftlichen Umgang mit Maxe (Maximiliane) Brentano, J. H. Jung-Stilling, J. M. R. Lenz, J. H. Merck; es waren entscheidende Jahre seines Reifens: Hier entstanden Gedichte wie “Wanderers Sturmlied”, “Prometheus”, “Mahomets Gesang”, die zweite Fassung des “Götz” (1773), die Dramen “Clavigo” (1774) und “Stella” (1776) u., nach einer Praktikantenzeit am Reichskammergericht in Wetzlar (1772), wo er von der Liebe zu Charlotte Buff (“Lotte”) erfaßt wurde, der Briefroman “Die Leiden des jungen Werthers” (1774), der ihm Weltruhm eintrug. Nur eine Episode blieb seine Verlobung mit Lili Schönemann. Förderlich für seine weitere Entwicklung wurden eine erste Reise in die Schweiz und der Umgang mit J. G. Herder, F. G. Klopstock, J. K. Lavater, F. H. Jacobi und den Grafen Stolberg.
1775 berief Karl August, der Herzog von Sachsen-Weimar, Goethe nach Weimar in seine Residenz. Hier wurde Goethe 1776 gegen den Widerstand der Beamtenschaft Geheimer Legationsrat, 1779 Geheimer Rat (d. h. Mitglied der Regierung), 1782 Präsident der Finanzkammer und vom Kaiser geadelt. Das neue Ideal des tätigen Menschen und die Beziehung zu Charlotte von Stein wandelten Goethe zum klassischen Dichter, der Klarheit der Form, Mäßigung der Leidenschaften und organische Selbstentfaltung anstrebte. Neben Gedichten wie “Grenzen der Menschheit”, “An den Mond”, “Wanderers Nachtlied” reiften jetzt die Schauspiele “Iphigenie” und “Tasso” und der Bildungsroman “Wilhelm Meisters Lehrjahre” (Urform “Wilhelm Meisters theatralische Sendung” 1785). Das bloße Naturerlebnis trat zurück gegenüber der naturwissenschaftlichen Forschung: 1784 entdeckte er den Zwischenkieferknochen, und allmählich bildete er seine Methode der morphologischen Betrachtung aus. – Die amtlichen Verpflichtungen beengten bald zu sehr den Dichter in ihm; so “floh” er 1786–1788 nach Italien. Hier wurden der “Egmont” beendet (1788), die Prosafassung der “Iphigenie” in Blankverse umgearbeitet (1787) und “Tasso” und die “Römischen Elegien” entworfen.
Wieder in Weimar, entwickelte Goethe das Hoftheater (1791–1817) zu einer Stätte vorbildlicher Bühnenkunst. 1788 lernte er Christiane Vulpius, seine spätere Frau, kennen (Zusammenleben seit 1788, Heirat 1806). Es entstanden die “Metamorphose der Pflanzen” 1790 und die ersten Arbeiten zur “Farbenlehre”. Eine zweite Reise nach Italien 1790 (“Venezianische Epigramme”), Reisen nach Frankreich 1792 (“Campagne in Frankreich” 1822) sowie das Erlebnis der Französischen Revolution brachten viel Unruhe. Erst die Bekanntschaft mit Schiller (1794), der damals an der Universität Jena lehrte, gab neuen Auftrieb. Als Mitarbeiter an Schillers Zeitschrift “Die Horen” und am “Musenalmanach” schrieb Goethe die “Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten” 1795, Balladen (“Der Zauberlehrling”, “Der Gott und die Bajadere”). In ihrem gehaltvollen Briefwechsel suchten die Freunde sich Klarheit über ihre geistige Position zu verschaffen. Während Schiller damals an seinen späten Dramen arbeitete, gab Goethe seinem Erziehungsroman “Wilhelm Meisters Lehrjahre” die Endfassung (1795/96); 1797 ließ er “Hermann und Dorothea” erscheinen, 1803 “Die natürliche Tochter”, den ersten Teil einer geplanten tragischen Trilogie, mit der er auf die Französische Revolution antworten wollte. Auch widmete er sich der bildenden Kunst (Zeitschrift “Propyläen” 1798–1800) und seiner “Farbenlehre” (1810). Das “Hauptgeschäft” aber war der “Faust”, dessen erster Teil 1806 beendet wurde. – Unter Schillers Tod (1805) litt Goethe sehr. Er galt als der “Olympier von Weimar”, zu dem man geradezu wallfahrtete, an dem die Jugend aber schon vorüberging. 1808 kam es zu einer Begegnung mit Napoléon, die von wechselseitiger Hochschätzung bestimmt war.
Dem alternden Goethe wurde mehrfach noch das Erlebnis der Liebe zuteil: Eine Neigung zu Minna Herzlieb, für die er “Sonette” (1815) schrieb, fand Niederschlag in der Gestalt Ottiliens in dem Roman “Die Wahlverwandtschaften” (1809); die Begegnung mit Marianne von Willemer (1814) trug Frucht im “West-östlichen Divan” (1819), dem großen lyrischen Spätwerk; und die Leidenschaft für die jugendliche Ulrike von Levetzow (Marienbad 1823) bewältigte Goethe in der schmerzlich entsagenden “Marienbader Elegie”.
Zu den Spätwerken gehört vor allem “Faust II” (1831), dies erst langsam der Nachwelt sich erschließende Universaldrama. Der “Meister”-Roman wurde in “Wilhelm Meisters Wanderjahre” (1821 und 1829) vollendet. Aus der eigenen Lebensrückschau gingen “Dichtung und Wahrheit” (1811–1814 und 1833), die “Italienische Reise” (1816/17) u. a. hervor. Außerdem mehrten sich die Schriften zur Literatur (“Shakespeare und kein Ende”), zur Kunst und Kunstgeschichte (“Winckelmann und sein Jahrhundert” 1805; “Kunst und Altertum” 1816–1832) sowie zur Naturwissenschaft (“Zur Morphologie” 1820 ff. u. a.). Zudem beschäftigte ihn die “Vollständige Ausgabe letzter Hand” in 40 Bänden, die er 1827–1831 mit Hilfe von J. P. Eckermann durchführte.
Als Goethe starb, war die Zeit der deutschen Klassik, die “Goethe-Zeit”, vorüber; immer mehr bestimmte die industrielle Revolution das Gesicht der Welt. Aber Werk und Gestalt Goethes haben jede Generation aufs neue angesprochen und zur Auseinandersetzung aufgefordert. Goethes sprachgewaltige Erlebnislyrik, seine organische Naturanschauung und seine leidende, rastlos strebende und kämpfende Menschlichkeit überstanden politische wie konfessionelle Anfeindungen und selbst übertriebenen Kult.
|