In Italien, wo er sich wie er selbst sagt zum ersten-und einzigenmal wirklich zu Hause fühlte, beeindruckte ihn vor allem die Antike; Kunst und Architektur der Renaissance und des Barock beachtete er kaum. Als antikisch empfand er auch seine römische Geliebte, die er später in seinen Römischen Elegien als »Faustina« besang die Begegnung mit ihr soll das erste wirklich erotische Ereignis im Leben des Enddreißigers gewesen sein. Das ist so unwahrscheinlich nicht: Die Zeit der Empfindsamkeit, in der Goethe erwachsen wurde, war eine Zeit der großen Worte über Seelenliebe bei gleichzeitiger Vergötterung der weiblichen Tugend. Wieland, der in seinen Romanen sehr freizügig Erotik und antikes Hetärentum gepriesen hatte, wurde bereits als \'unzüchtig\' abgelehnt. Es war eine Zeit unerbittlicher Prüderie, zumindest in der bürgerlichen Welt, aus der Goethe ja stammte. In der römischen »Faustina« fand Goethe wohl erstmals eine Beziehung, in der Sinnliches und Seelisches sich harmonisch vereinten. Eine Harmonie, die auch für seine neue, \'klassische\' Ästhetik wegweisend sein sollte.
Goethe zeichnete in Italien viel und pflegte intensiven Umgang mit den dort lebenden deutschen Malern, vor allem mit Johann Heinrich Wilhelm Tischbein und mit der zu ihrer Zeit hochberühmten Angelika Kauffmann. Naturwissenschaft und Literatur vergaß er dabei allerdings nicht: In Palermo glaubte er, die Ur-Pflanze entdeckt zu haben, und zwischendurch schrieb er die Neufassung seiner Iphigenie in Jamben, vollendete den Egmont und arbeitete am Tasso, in welchem er seinem Erlebnis mit Charlotte von Stein literarischen Ausdruck gab. Auch begann er, von dem damals in Rom lebenden Karl Philipp Moritz beraten, sich im antiken Versmaß des Hexameters zu üben.
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