4.4.1 Grundzügebr /
Der pyramidale Bau des Dramas nach Gustav Freytag
1. Akt Exposition
Ziel dieses Aktes besteht darin, den Zuschauer in Ort, Zeit und Atmosphäre einzuführen. Die Hauptpersonen werden weitestgehend direkt, oder indirekt vorgestellt. Der Konflikt wird in diesem Akt schon vorausgedeutet.
2. Akt Steigende Handlung mit erregendem Moment
Die Handlung kommt ins Rollen und es zeichnen sich Intrigen ab, Interessen werden deutlich vertreten und die Handlung wird in eine bestimmte Richtung gelenkt.
3. Akt Höhepunkt
Die Entwicklung des Konflikts erreicht ihren Höhepunkt. Das bedeutet, dass der/die Held/in in einer meisst Gewissensfrage steht und die Entscheidung die dort gefällt wird über den Verlauf des Dramas entscheidet.
4. Akt Fallende Handlung mit retardierendem Moment
In diesem Abschnitt erscheint es so, als würde das Schicksal sich nochmals wenden und das Drama anders ausgehen, als zuvor erwartet.
5. Akt Schluss
Der Schluss bringt die Lösung des Konflikts und meisst auch den Tot des Helden. Jedoch wird der körperliche Tot meisst begleitet durch einen inneren Sieg.
4.4.2 Die Rezeption der klassischen Aufführung der Iphigenie auf Tauris
Intention Goethes
Goethe arbeitete zügig an seinem Werk, wie auch in der Entstehungsgeschichte der Iphigenie schon ausgeführt. Er wollte etwas bringen, "das nicht ganz mit Glanzleinwand-Lumpen gekleidet sei. Er wollte also kein anspruchsloses Modestück, sondern er wollte "einigen guten Menschen Freude [.] machen und einige Hände Salz in\'s Publicum [.] werfen\" .
Dies bedeutete nicht, daß er hätte provozieren wollen, aber er wollte eine Alternative zu den bisher häufig aufgeführten "Sonntagsstücken\". Bei der Uraufführung am 6.4.1779 sollte sein Freund Knebel mitwirken. Er selbst übernahm die Rolle des Orest. Die Uraufführung fand im kleinen Kreis der Weimarer Hofgesellschaft statt. Nur die Rolle der Iphigenie von einer Berufsschauspielerin (Corona Schröter) besetzt, die anderen von Mitgliedern des Hofs.
So war es denn auch nicht verwunderlich, dass das Stück allein schon wegen seiner illustren Besetzung in dieser Gesellschaft sehr gut ankam: Es war ein gebildetes, sozusagen "empfindsames\" Publikum.
Goethe wollte das Drama zunächst offenbar gar nicht drucken lassen, denn er wußte, daß das Publikum der Uraufführung keinen repräsentativen Querschnitt eines durchschnittlichen Theaterpublikums darstellte. Goethe war sich sehr wohl bewußt, dass das Drama woanders als bei der Weimarer Hofgesellschaft schwerlich ankommen würde.
Er wollte die "Iphigenie\" nicht, "wie sie jetzo ist, mehrmals abschreiben lassen und unter die Leute geben\" und sagte, sie sei noch "viel zu nachlässig geschrieben".
Goethe beabsichtigte mit dem Stück "Interesse\" wecken und "Empfindungen\" hervorrufen, war aber Realist genug, um die Grenzen der Kunst zu sehen:
"Man tut unrecht an dem Empfindens und Erkennens Vermögen der Menschen zu zweifeln, da kann man ihnen viel zu trauen, nur auf ihre Handlungen muß man nicht hoffen.\"
Diese Notiz Goethes vom 8. April 1779 in seinem Tagebuch zeigt die zentrale Problematik der Iphigenie-Rezeption. Nur noch schmerzlicher bewußt wurde ihm diese Tatsache, denn auch die überarbeitete, letzte Fassung des Dramas fand zwar mitunter begeisterte Zustimmung, aber auch nur wieder in Dichterkreisen.
Trotzdem erlaubt er es Schiller im Jahre 1802, die "Iphigenie\" zu bearbeiten und zu inszenieren. Doch seine Vorbehalte gegen den Text in bezug auf dessen Akzeptanz beim Publikum sind klar erkennbar. Er hält das Stück für "verteufelt human\", für zu human für Weimar, wodurch es eben zum "Wagestück\" wird, dessen Wirkungen "incalculabel\" sind.
Goethe beabsichtigte ein "deutsches Theater\" mit empfindsamen Schauspielern und einem aufgeschlossenen, ja aufgeklärten Publikum zu etablieren.
In einem Gespräch mit Eckermann vom 29.1.1826 heißt es dazu:
"Ich habe am Theater nur so lange ein wahrhaftes Interessegehabt, als ich dabei praktisch einwirken konnte. Es war meine Freude, die Anstalt auf eine höhere Stufe zu bringen.\"
Reaktionen auf Goethes Drama
Von dem gehobenen Bürgertum bzw. der bürgerlichen Intelligenz der Weimarer Hofgesellschaft gab es, neben zahlreichen begeisterten Stimmen zu dem Drama, auch durchaus negative. Man hatte wohl vom Dichter des "Werther" und des "Götz\" einfach etwas anderes erwartet.
Dieses Kunstwerk - losgelöst von der gesellschaftlichen Wirklichkeit - war den zeitgenössischen Rezipienten, deren allgemeine Vorstellungen über Literatur an der bürgerlich aufklärerischen Institutionalisierung gebildet sind, nicht leicht zugänglich.
So blieb von all diesen Idealen Goethes Ernüchterung und schließlich auch Resignation:
"Ich hatte wirklich einmal den Wahn, als sei es möglich, ein deutsches
Theater zu bilden. [.] Allein es regte sich nicht und rührte sich nicht und blieb alles wie zuvor."
Auch bereits damals waren die Theater finanziell davon abhängig, den Publikumsgeschmack zu treffen. Wie hätte sich auch etwas Grundlegendes ändern sollen?
Während der 26 Jahre, in denen Goethe die Leitung des Weimarer Theaters hatte, wurden ca.118 Stücke von Iffland und Kotzebue gegeben, aber nur 37 von Goethe und Schiller. Kein Wunder, wenn Goethe darüber klagt, daß das Publikum fehlte, "dergleichen mit Empfindung zu hören und aufzunehmen\". Nun war dies aber kein persönliches Problem Goethes, sondern ein eher politisches und gesellschaftliches Phänomen. Das zeitgenössische deutsche Publikum war den Ansprüchen seiner berühmtesten Dichter nicht gewachsen - was schon Lessing fast 60 Jahre früher beklagt hatte:
"Über den gutherzigen Einfall, den Deutschen ein Nationaltheater zu
verschaffen, da wir Deutsche noch keine Nation sind! Ich rede nicht von der politischen Verfassung, sondern bloß von dem sittlichen Charakter. Fast sollte man sagen, dieser sei: keinen eigenen haben zu wollen.\"
Man kann daraus schlussfolgern, es sei Goethe und seinen berühmten Zeitgenossen nicht gelungen, mit ihrer Dichtkunst deren eigentlichen Adressaten zu erreichen. Damit würde man jedoch die konkreten Möglichkeiten verkennen, die Schiller und Goethe hatten, überhaupt etwas Grundlegendes zu verändern. Zu berücksichtigen ist ebenso die Veränderungen im gesellschaftlichen Bewusstsein zwischen damals und heute.
Insgesamt hat das formale und inhaltliche Getrenntsein von der damaligen gesellschaftlichen Realität der Rezeption der Weimarer Klassik - und besonders des Dramas Iphigenie als Prototyp dieser Richtung - v. a. in der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhundert als Erbauungsliteratur für Mußestunden Vorschub geleistet, um dem Bürger zu bedienen, der das Wahre-Gute-Schöne zur Erholung am Feierabend pflegt.
Dass hier in gleichsam hermetischem Kunstraum ein Modell für höheres Menschentum geschaffen wurde, und zwar nicht ausschließlich zur Unterhaltung, sondern durchaus zur Nachahmung empfohlen, wurde letztlich nicht verstanden. Auch mit einem Goethekopf aus Gips im Salon - haben sich weite Kreise des Bürgertums im zwanzigsten Jahrhundert in zwei Weltkriegen mit Begeisterung Mord und Totschlag hingegeben.
Es ist bemerkenswert, wie sehr dieser Prozeß der Besinnung der "Klassiker\", hier also der Vertreter der Weimarer Klassik, auf die Antike gleicht. Man stellte der eigenen Wirklichkeit ein Ideal der Wahrheit und der Humanität gegenüber und besann sich angesichts einer immer komplexer werdenden Welt auf Dinge wie Regelmaß, Klarheit, gebundene Rede usw. Der gesellschaftlichen Unordnung wurde die dichterische Ordnung kontrastiv gegenübergestellt. Und diese Sätze gelten für die Produktion wie für die Rezeption der Weimarer Klassik gleichermaßen. Genau hier ist denn auch der Punkt, wo Goethe und Schiller noch immer überaus aktuell und aktualisierbar sind.
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