1. Vorwort
Als ich begann, mich für Hermann Hesses Werke zu begeistern, war ich genau in der Altersstufe, deren typische Probleme er behandelt. Vielleicht habe ich damals noch nicht alle seine Aussagen verstanden, vielleicht nicht zwischen allen Zeilen einen Hinweis entdeckt. Dennoch hatte er schon immer einen gewisse Wirkung auf mich. Nicht alle Werke habe ich in dieser Zeit auch wirklich zu Ende gelesen, um so mehr freue ich mich, diese Bücher mit Hilfe von Sekundärliteratur im Rahmen meiner Facharbeit heute aufzuarbeiten.
Insbesondere Hesses Selbstdarstellung möchte ich veranschaulichen. Folgende Werke will ich dabei zu Hilfe nehmen:
· Unterm Rad - der Kampf mit der schulischen Autorität im Ansehen der Gesellschaft
· Narziß und Goldmund - der Dualismus von Kunst und bürgerlichem Leben
· Demian - Die Selbstfindung
2. Biographie
Am 2. Juli 1877 wird Hermann Hesse in Calw/Württemberg als Sohn des aus Estland stammenden Missionars und späteren Leiters des Calwer Verlagsverein Johannes Hesse (1847-1916) und Marie Gundert (1842-1902) geboren. 1881 zieht Hesse mit seinen Eltern nach Basel, wo sein Vater die Schweizer Staatsangehörigkeit erwirbt. Nach der Rückkehr nach Calw 1883 besucht er das Reallyzeum und die Lateinschule in Göppingen, wo er 1890 das Württembergische Landesexamen ablegt, um die Theologenlaufbahn einzuschlagen. 1891 tritt Hesse in das evangelische Klosterseminar Maulbronn ein. 1892 läuft er jedoch bereits fort, weil er "entweder Dichter oder gar nichts" werden will. Nach einem Selbstmordversuch und anschließend kurzem Aufenthalt in der Nervenheilanstalt Stetten im Remstal besteht er 1893 das Einjährig-Freiwilligen-Examen am Gymnasium in Cannstatt. Ende dieses Jahres bricht Hermann Hesse die Ausbildung an dieser Schule ab, um eine Buchhändlerlehre zu beginnen. Diese gibt er aber bereits drei Tage später wieder auf. Es folgt eine Zahl von verschiedenen Lehren in den unterschiedlichsten Branchen. 1896 publiziert er seinen erste Gedichtesammlung Das deutsche Dichterheim. Die erste Buchpublikation Romantische Lieder erscheint im Oktober 1898. Den großen Durchbruch erlebt Hesse, als 1904 Peter Camenzind erscheint. In diesem Jahr heiratet er auch Maria Bernoulli und zieht nach Gaienhofen am Bodensee. Die Heirat bleibt bis 1919 bestehen. Hesse erleidet einen Nervenzusammenbruch wegen dem Tod seines Vaters (1916) und wegen der fortschreitenden Schizophrenie seiner Frau. Er begibt sich in die psychotherapeutische Behandlung ves C. G. Jung-Schülers J. B. Lang. 1917 legt sich Hermann Hesse das Pseudonym Emil Sincalir zu, da ihm nahegelgt wird, seine zeitkritische Publizistik zu unterlassen. Hesse heiratet noch zwei weitere Male. In der Zeit von 1939-1945 werden viele Werke Hermann Hesses in Deutschland verboten. 1946 erhält er den Nobel-Preis für Literatur. Neben zahlreichen weiteren Auszeichnungen wird ihm 1947 die Würde des Ehrendoktors verliehen und er wird zum Ehrenbürger von Calw ernannt. Am 9. August 1962 stirbt Hermann Hesse an Gehirnschlag in Montagnola.
Folgende Werke Hermann Hesses zähle ich zu den wichtigsten:
1904
Peter Camenzind
1906
Unterm Rad
1910
Gertrud
1914
Roßhalde
1915
Knulp
1919
Demian
1920
Klingsors letzter Sommer
1922
Siddhartha
1927
Der Steppenwolf
1930
Narziß und Goldmund
1943
Das Glasperlenspiel
3. Die weltweite Wirkung seiner Werke
Hermann Hesses Werk ist in nahezu jeden Winkel der Erde vorgedrungen. Es wurde in 55 Sprachen, unter anderem in fünfzehn indische Sprachen, übersetzt. Hermann Hesses Leserschaft ist breit gefächert. Viele literarisch Bewanderte schätzen an Hesses Werken die inhaltliche und sprachliche Qualität seiner Dichtungen, Essays und Briefe. Bedrängten, Zukurzgekommenen und Versagenden erscheinen seine Werke sehr hilfreich. Dabei ist es gleichgültig, unter welchem gesellschaftlichen System sie leben und zu welcher sozialen Schicht sie gehören. Die einen finden in Hesses Dichtungen Ausdruck und Bestätigung eigenen Denkens, andere sehen in ihm einen Ratgeber und Seelsorger.
Für manche wurde Hesse rasch zum Idol. Er war "in": Musikgruppen, Clubs, Restaurants oder Gästezimmer tragen seinen Namen oder den einer Hauptfigur seiner Werke. Viele aber entdeckten erst spät den literarischen Rang seiner Dichtungen, spürten, wie zeitlos sie sind, zeitlos trotz aktuellster Gegenwartsbezüge. Im Ausland wurde man auf Hermann Hesse erst aufmerksam, als er den Nobel-Preis erhalten hatte. Eine Ausnahme ist Japan, wo Hesse bereits viele Jahre früher einer der beliebtesten europäischen Autoren war und dies bis heute geblieben ist.
Hermann Hesse war sich in der Einschätzung seines Werkes auch in kritischen Zeiten sicher:
"Ich habe noch nie daran gezweifelt, daß ein gewisser Teil dieses Werkes unentbehrlich ist und diese Zeit überdauern, d. h. später wieder sein Darsein in der Welt finden und rechtfertigen werde." [i]
Hermann Hesse wird - vor allem von jungen Menschen - auch heute noch immer wieder neu entdeckt.
4. Seine Werke
Die drei ausgewählten Romane Demian, Unterm Rad und Narziß und Goldmund enthalten viele autobiographische Züge. Für mich erwecken die Werke den Eindruck, als würde Hesse sie in der Absicht verfaßt haben, seine eigenen Erlebnisse aufzuarbeiten. Vielleicht war gerade das Verfassen dieser Stücke für ihn eine gewisse Abrechnung mit der Gesellschaft, die seine Jugend so stark geprägt hatte. Die Gegensätze Geist-Leben, Kunst-Intellekt stellen die Schwerpunkte der Themen dar. Die handelnden Hauptfiguren sind zumeist Jugendliche, deren Entwicklung beschrieben wird. Allein diese Tatsache spricht - aus meiner Sicht - viele Jugendliche an. Der Konflikt um die Anpassung an die, durch die Gesellschaft bestimmten Normen, ist von besonderer Bedeutung. Ich glaube, die meisten Jugendlichen werden im Laufe ihrer Entwicklung mit derartigen Auseinandersetzungen konfrontiert. Wahrscheinlich ist für sie auch die Frage der Unvereinbarkeit von ihrer Vorstellung von Kunst, ihren Gefühlen und Gedanken mit der gesellschaftlichen Norm von Wichtigkeit. Der Querschnitt durch die drei Romane, die ich im Folgenden behandeln will, soll einen Einblick in den Zusammenhang zwischen Hermann Hesses Einstellung zum Leben und den Charakteren, durch die er in seinen Romanen spricht, geben.
4.1. Demian
4.1.1. Entstehungsgeschichte
Wie kaum ein anderes Werk Hesses hat dieses Buch eine Geschichte. Die Schülergeschichte in der Art eines Entwicklungsromans ist geprägt von den Ängsten und Nöten des Autors in dieser Zeit. Neben beruflichen Problemen kommen auch persönliche Sorgen hinzu: Der Tod seines Vaters, die gefährliche Erkrankung seines jüngsten Sohnes Martin und die zunehmende seelische Erkrankung seiner Frau, die für sie einen Aufenthalt in Heilanstalten erforderlich macht. Diese "Bessesenheit durch Leiden" [ii] erzwang eine große Wandlung seines Lebens. Der Versuch, sein psychisches Tief zu überwinden gelingt ihm mit Hilfe Doktor Langs in Luzern. Die wesentliche Frucht dieser Krise war Demian. In wenigen Monaten war das Werk niedergeschrieben. Diesen Neubeginn markiert Hesse mit einem neuen Autorennamen. Er sendet das Romanmanuskript der Ich-Erzählung unter dem Namen Emil Sinclair mit seiner Empfehlung sogleich an den Verlag S. Fischer und teilt in seinem Begleitschreiben mit, daß es sich um die Arbeit eines jungen, kranken Schweizer handle. Ein halbes Jahr später erscheint die erste Auflage von 3.300 Stück. "Emil Sinclair" erhält den mit 800 Reichsmark dotierten Fontanepreis für talentierte Nachwuchsautoren. In Hesses Zeitschrift "Vivos voco" bekennt er sich als wahrer Autor. Die vierte Auflage des Demian erscheint erstamls unter dem Verfassernamen Hermann Hesse.
4.1.2. Inhaltsangabe
Früh schon geht dem 10jährigen Lateinschüler Emil Sinclair die Ahnung davon auf, daß neben der heilen Welt des Elternhauses auch eine rauhe, kalte besteht. Er ist auf dem Weg zu sich selbst und löst sich von den unglaubhaft gewordenen Normen, wie Religion und Moral und vom Elternhaus. Der Junge sucht die Berührung mit der ihm fremden Welt und gerät durch harmlose Prahlereien in die Abhängigkeit von Franz Kromer. Getrieben zu kleinen Lügen und Diebereien sieht er seine heile Kinderwelt zusammenbrechen. Gerettet aus diesen Qualen wird er durch einen Mitschüler namens Max Demian, der gerade in seine Schule eingetreten ist. Er ist ein selbstdenkender und freier Mensch, der ihn von Franz Kromer schon bald befreit. Von dieser Abhängigkeit gelöst, flüchtet Sinclair in seine Kinderwelt zurück und geht somit Demian aus dem Weg. Die Kindheit ist jedoch bald vorbei, und er steht in einer fremden Welt. In der neuen Schule ist er ein Sonderling, gilt als Zyniker und ist innerlich voll Trauer.
Durch die Begegnung mit einem Mädchen findet er zu sich zurück. Als er versucht, sie ständig zu malen, bemerkt er, daß das Bild Max Demian gleicht. Voller Sehnsucht schickt er Demian eine von ihm gemalte Zeichnung. "Abraxas"[1] lautet die Antwort, die ihm eines Tages in die Hände fällt. Ein junger Orgelspieler, Pistorius, weit ihn näher in das Wissen um Abraxas ein. Die Achtung vor sich selbst zu bewahren sei diese Religion. Der Orgelspieler, der ihm seine Träume deutet, erzählt ihm von diesem mystischen Gott, der Menschliches und Tierisches, Gutes und Böses, Göttliches und Teuflisches in sich vereint. Doch bald löst sich Sinclair von den Interessen seines Freundes Pistorius und versucht, seinen eigenen Weg zu finden. Er trifft auf Demian, der ihn schon erwartet in dem Bewußtsein, daß sich Sinclair ihm nähern werde.
In Frau Eva, Demians Mutter, erkennt er seine Traumgeliebte, die ihm einen neue Art des Lebens zeigt. Er verbringt ein paar schöne Monate, die jedoch mit dem Ausbruch des Krieges ihr Ende nehmen. Er wird weggerissen von Frau Eva und seinem besten Freund. Noch einmal sieht Sinclair Demian als Schwerverwundeten und empfängt von ihm den Kuß von Frau Eva, seiner Mutter.
4.1.3. Der Weg zu sich selbst
Die Geschichte von Emil Sinclairs Jugend knüpft strukturell an einen Bildungsroman an, in dem die Handlung aus dem Konflikt zwischen Helden und Umwelt besteht. In diesem Roman findet diese Polarisierung nur in der Psyche des Helden statt. Bei der Begegnung mit Franz Kromer gerät er zwar in eine Abhängikeit, gleichzeitig jedoch bekommt er das Gefühl der Unabhängigkeit gegenüber dem Elternhaus. In ähnlicher Weise mischen sich Angst und Bewunderung in seinem Umgang mit Max Demian. Durch ihn erfährt er zum ersten Mal die Umwertung allegemein akzeptierter Normen. Die Szene mit Kain und Abel hat mich in dieser Hinsicht vor allem beeindruckt. Eine Meinung, die sich seit der Niederschrift der Bibel in der Gesellschaft manifestiert hat, wird auf einmal in Frage gestellt. Eine Denkensweise, die mir gefällt und mich zum Denken anregte.
"'Und dann glaubst du, daß auch das mit dem Totschlag gar nicht war ist?' fragte ich ergriffen. 'Oh doch! Sicher ist das wahr. Der Starke hatte einen Schwachen erschlagen. Ob es wirklich sein Bruder war, daran kann man ja zweifeln. Es ist nicht wichtig, schließlich sind alle Menschen Brüder.'" [iii]
Die Absicht des Autors war es seinen "Weg nach Innen" zu finden, der ihn zur Konfrontation mit seinen Kindheitskonflikten führte. Der "Weg zu sich selbst" führt zur Entgrenzung des Ich und zum Aufbau eines neuen Selbst. Druch die Erfahrung der "zwei Welten", der hellen Alltagswelt und der dunklen Welt der Abenteuer entfremdet er sich selber. Dies führt zu einem Doppelleben, in dem einmal die "heile" Welt und einmal die "Schattenwelt" dominiert. Die vorher vertraute Realität wird unheimlich, denn sie konfrontiert ihn mit verdrängten Impulsen seiner Psyche.
Durch die Begegnung mit anderen Menschen kommt er seinem Ziel, zu sich selbst zu finden, immer näher. Hier zeigt sich ganz deutlich die Parallele zu Hesses Leben, der diesen Roman schreibt, um sich selbst zu finden und sich seines eigenen Ichs klar zu werden.
Demian, der ihn von Anfang an führt, verkörpert das Ideal der allseitigen entfalteten Persönlichkeit. Sinclairs Weg führt zur Verschmelzung mit seinem Vorbild. Vorerst ist Sinclair durch Demians Radikalität überfordert und wendet sich von ihm ab. Nach einiger Zeit öffnet er sich den Gedanken Demians und sieht sie als eigenen innere Möglichkeiten. Durch Pistorius, der wesentliche Züge Dr. Langs trägt, gelingt es Sinclair, seine Welt zu ordnen und zu beherrschen.
Die Polarität spiegelt sich auch in den wichtigsten Einflußfiguren. Demian und Frau Eva tragen zugleich männliche und weibliche Züge und weisen so auf die Fähigkeit zur Überwindung der Gegensätze. Auch der Gott Abraxas ist die Verschmelzung extremer Gegensätze, wie Mann und Weib, Wonne und Grauen. Mit der Zeit gewinnt Sinclair die Erkenntnis der eigenen Gegensätze und überwindet die Polaritäten. Sein endgültiges Ziel in der Entwicklung findet Sinclair in der symbolischen Vereinigung mit Demian:
"Aber wenn ich manchmal den Schlüssel finde und ganz in mich selbst hinuntersteige da wo im dunkeln Spiegel die Schicksalsbilder in mir schlummern, dann brauche ich mich nur über den schwarzen Spiegel zu neigen und sehe mein eigenes Bild, das nun ganz Ihm gleich Ihm, meinem Freund und Führer" [iv]
Das Thema, das mich sehr anspricht ist der Kampf um die Individualisierung, um das Entstehen einer Persönlichkeit. Es besteht überall das Streben die Menschheit gleichförmig zu machen und ihre Natur zu unterdrücken. Dagegen wehrt sich Sinclair und es entstehen die Demian-Erlebnisse. Viele Jugendliche, wie auch ich, können sich mit dem Roman identifizieren. Leider hat nicht jeder so einen Führer wie Sinclair, der einem hilft zu sich selbst zu finden. Ich glaube aber, daß das Buch etwas dazu beitragen kann, sich so gegen die Welt zu wehren, daß die eigenen Ideale und Träume nicht verloren gehen.
4.2. Narziß und Goldmund
4.2.1. Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte
Im Jahre 1930 schenkte Hermann Hesse das Manuskript der eben erschienenen Erzählung "Narziß und Goldmund" seinem Freund Hans C. Bodmer mit den folgenden Begleitworten:
"Ich habe zu diesem Werk, das mich mehr gekostet hat als alle andern zusammen, eine besondere Liebe, und bin darum froh, daß diese Handschrift nicht irgendwo in einem Speicher von den Mäusen gefressen wird, sondern in gute Hände kommt" [v]
Nicht alle Leser teilten diese "besondere Liebe". Kritiker äußerten sich sehr mißfällig und der Text wurde als "kitschig" bezeichnet. Man behauptete, daß Hermann Hesses Ideen schülerhaft und von langweiliger Korrektheit seien. Dennoch gehört dieser Roman zu den erfolgreichsten Titeln vor dem zweiten Weltkrieg. Bis 1940 wurden 64.000 Exemplare verkauft.
Ein weiterer Vorwurf lautete, der Roman sei eine Flucht vor der Wirklichkeit in die Idylle. Wer aber die Idylle in dem Roman kritisiert, läßt die Schattenseiten in Goldmunds Leben außer acht, indem nicht selten von Hunger, Kälte und Gewalttaten die Rede ist. Die Schilderung der Pest, denen der Roman ganze zwei Kapitel widmet, sind Gegenwartsbezüge, die deutlich an den Krieg und die Not erinnern.
Das Werk enthält unverkennbare Züge eines Bildungsromans in dem der Held durch alle möglichen Einflüsse zur Reife gebracht wird.
4.2.2. Inhaltsangabe
Die Handlung spielt in einem Kloster namens Mariabronn, wo junge Menschen zu einem geistlichen Beruf herangebildet werden. Einer der begabtesten Schüler ist Narziß, der sich zum Klosterleben berufen fühlt. Goldmund, der von seinem Vater in die Klosterschule gebracht wird, fühlt sich zu Narziß hingezogen, und sie werden Freunde. Goldmund bewundert sein Vorbild und möchte wie er, Mönch werden. Mit Hilfe von Narziß erkennt er aber. daß er nicht zum Gelehrtentum, sondern zu einem freien, ungebundenen und kunstbewegten Leben bestimmt ist.
Goldmund verläßt das Kloster und beginnt ein unruhiges Vagabundenleben. Er verzaubert die Frauen, läßt sich von ihnen bezaubern und nach ein paar unbürgerlichen Abenteuern wird er sich seiner künstlerischen Begabung bewußt. Er sieht eines Tages eine aus Stein gehauene Figur, die ihn beeindruckt und beschließt Lehrling eines Bildhauers zu werden. Nachdem er vier Jahre an einem Kunstwerk gearbeitet hat und es endlich die Anerkennung seines Meisters findet, beschließt er weiterzuziehen.
Auf seiner Wanderschaft trifft er auf Lene, die seine Geliebte wird. Mit einem Dritten, der sich ihnen anschließt, kommen sie in Gegenden, in denen die Pest wütet. Lene und Goldmunds Vater kommen ums Leben und er beschließt in die Stadt seines Bildhauer-Meisters zurückzukehren. Er muß erfahren, daß sein Lehrer gestorben ist, bleibt aber dennoch in der Stadt.
Agnes, die Frau des Statthalters, verliebt sich in Goldmund, und sie verbringen eine Nacht miteinander. Erwischt von ihrem Ehemann, wird Goldmund zum Tode verurteilt und in letzter Minute begnadigt. Sein Retter trägt die Ordenstracht des Klosters Mariabronn, und Goldmund erkennt den Mann: es ist Narziß. Er wird von Narziß, der inzwischen Abt geworden war, mit ins Kloster genommen. Er richtet sich einen Werkstatt ein und arbeitet als Künstler. Nach einiger Zeit packt Goldmund seine Wanderslust, und er gesteht Narziß seine Reisepläne.
Am Ende des Sommers kommt Goldmund wieder, um viele Jahre gealtert, hoffnungslos krank. Er nimmt dankbar die Freundschaft und Liebe an, die Narziß stets für ihn bewahrt hat und stirbt in seinen Armen.
4.2.3. Zwei Welten
Eine Besonderheit des Romans ist das Thema der "neurotischen Verdrängung" [vi]. Hesse war mit den tiefenpsychologischen Methoden vertraut, und läßt Goldmund in das Kloster Mariabronn, einem getreuen Abbild seiner eigenen Klosterschule Maulbronn, bringen. Während er sich in Verkennung seiner Natur auf ein Leben im Kloster vorbereitet, steht ein Psychoanalytiker in Gestalt des Novizen[2] Narziß bereit, der alsbald erkennt, daß sein Freund unter dem Einfluß des Vaters, seine nach bürgerlichen Moralanschauungen sündhafte Mutter, nur "vergessen" hat. In geschickt geführten Gesprächen führt er seinen Freund zur Erkenntnis dieser Verdrängung. Das Bild der vergessenen, verdrängten Mutter erschüttert ihn so sehr, und er kommt in eine Krise. Nachdem er seinen Schock überwunden hat und seine wahre mütterliche Anlage akzeptiert, begibt er sich auf Wanderschaft. Er verabschiedet sich von Narziß:
"Ich sagte dir schon: ein Ziel habe ich nicht. Auch jene Frau, die so sehr lieb mit mir war, ist nicht mein Ziel. Ich gehe zu ihr, aber ich gehe nicht ihretwegen. Ich gehe, weil ich muß, weil es mich ruft." [vii]
Die kleine Psychoanalyse führt die Thematik der "Polarität des väterlichen und mütterlichern Prinzips" [viii] ein. Die vielen Geliebten Goldmunds gehören zur mütterlichen Welt, die schön und grauslich zugleich sind. Am Ende ist Goldmund alt und müde. Seine Flamme der Liebe und Kunst ist erloschen und die Mädchen, die er einst geliebt hat, sind vergessen. Er ist nicht nur Vagabund und Frauenheld, diese Erfahrungen sind eigentlich nur Vorwände, die ihn für die Kunst bereitmachen. Er fertigt unter anderm die Figur des Jünger Johannes, der die Züge Narzissens trägt und eine Mutter Gottes nach dem Vorbild einer seiner Geliebten. In dieser Kunst versöhnen sich die Gegensätze, und es zeigen sich die widersprüchlichen Erlebnisse Goldmunds als Notwendigkeit. Diese Kunstwerke erschöpfen sich nicht nur in der Nachahmung der Dinge und Personen, sondern sind auch Symbole, Spiegelungen einer ewigen Welt. Dieser Platonismus[3] zwingt sich vor allem in der "großen Mutter", in der Urmutter Eva, die bereits im Demian eine vorrangige Rolle spielt. Sie ist eine Synthese zwischen der längst entschwundenen, leiblichen Mutter und der mythischen Gestalt, die ihm ständig vorschwebt, die Grundidee seines eigenen Lebens.
Narziß, der Gegensatz zu Goldmund, der Asketh[4], versucht den Sinn des Lebens durch den Intellekt zu ergründen. Wieder einmal erscheint in der deutschen Literatur der "Geist als Widersacher der Seele" [ix]. Doch es ist Hesses tief empfundenes Anliegen diese Gegensätz zu versöhnen. Am Beginn des Romans ist Narziß der Überlegene, der durch seinen kritischen Geist die Fehlentwicklung seinens Freundes erkennt. Am Ende bringt Goldmund die Weisheit der Lebenserfahrung in das karge Leben des Freundes und stellt somit das Gleichgewicht wieder her. In den Gesprächen der Freunde wird sogar einen gedankliche Annäherung angestrebt.
Mehr als die Hälfte des Romans widmet sich Goldmund. Im Rest ist Narziß zwar gegenwärtig, aber sein Reden und Denken geschiet nur im Hinblick auf den Freund. Dadurch bekommt dieser ein deutliches Übergewicht, das schon durch die Komplexität seiner Problematik gegeben ist. Das angestrebte Gleichgewicht wird letztlich zerstört, als Hesse Goldmund sagen läßt:
"Aber wie willst denn du einmal sterben, Narziß, wenn du doch keine Mutter hast?" [x]
Hier triumphiert letztlich Goldmunds Prinzip.
Ein weiterer Gegensatz, den Hesse gar nicht erst auszugleichen versucht, ist der zwischen der bürgerlichen Existenz und dem Außenseitertum, verkörpert in den beiden Hauptgestalten. Die bürgerliche Alltagswelt fehlt nicht in diesem Roman, sie spielt aber eine negative Rolle. Der Leser weiß, daß Goldmund nicht geschaffen ist für das bürgerliche Leben, aber auch eine Idealfigur ein übersteigertes Prinzip ist. Die Fragen zur Alternative des bürgerlichen Lebens bleiben in dem Roman unbeantwortet.
4.3. Unterm Rad
4.3.1. Entstehungsgeschichte
Die Schule ist die einzige moderne Kulturfrage, die ich ernst nehme und die mich gelegentlich aufregt. An mir hat die Schule viel kaputtgemacht, und ich kenne wenige bedeutende Persönlichkeiten, denen es nicht ähnlich ging. Gelernt habe ich dort Latein und Lügen [...]. [xi]
Die Erzählung Unterm Rad hat in der Forschung vergleichsweise wenig Beachtung gefunden und sich bei der Hesse - Leserschaft nie einer ähnlichen Beliebtheit erfreut als so manch anderes Werke des Autors. Dies mag zum Teil daran liegen, daß Hesse sich in diesem Text weltanschaulicher Botschaften zu enthalten scheint. Unterm Rad wirkt auf den ersten Blick zeitbezogener als andere Werke Hesses. Wenn man die Erzählung heute liest, kann sie passagenweise wie ein historisches Dokument zur Erziehungspolitik einer vergangenen Epoche gesehen werden.
Wie auch die anderen Werke von Hermann Hesse enthält auch dieser starke autobiographische Züge.
4.3.2. Inhaltsangabe
Hans Giebenrath, die Hauptfigur dieses Romans, gilt als äußerst begabtes Kind und wird so als einziger Schüler der Stadt zum "Landexamen" geschickt. Die abgelegte Prüfung berechtigt ihn, das Tübinger Seminar auf Staatskosten zu besuchen, um dann eine Karriere als Lehrer oder Pfarrer anzustreben. Nach besonders gründlicher Vorbereitung und unter dem großem Druck seines Vaters und seiner Lehrer besteht er die Prüfung als Zweitbester. Nach diesem bestandenen Examen darf sich Hans wieder seinem Hobby widmen und angelt den ganzen Tag. Seine Ferien werden aber schon bald durch Übungsstunden ersetzt und der Ehrgeiz von Hans wird immer größer. Bald verbringt er seine ganze Freizeit nur mit Lernen und wird anschließend von seinem Vater nach Maulbronn in ein Kloster gebracht. Hans wohnt hier gemeinsam mit ein paar anderen Schülern in der Stube "Hellas". Der sonderbarste "Hellas"-Bewohner war Emil Lucius, ein Geizkragen und Egoist. Langsam werden viele Freundschaften geschlossen, aber auch Antipathien, welche oft in wilden Faustkämpfen enden. Nur Hans bleibt lange alleine, schließt jedoch dann mit Hermann Heilner, einem Dichter und Schöngeist aus dem Waldviertel, Bekanntschaft. Dieser gibt Hans zu verstehen, daß er das Kloster als Gefängnis und wirklichkeitsfremd betrachtet. Hans wird so mit einem vollkommen neuen Weltbild konfrontiert, dem er sehr verwundert gegenübersteht. Diese Freundschaft zwischen dem Leichtsinnigen und Gewissenhaften erschöpft Hans sehr, sie lähmt ihn sogar.
Nach einiger Zeit kommt es zwischen Lucius und Hermann Heilner zu einer heftigen Auseinandersetzung. Hermann kann das unbegabte Geigenspiel des Lucius nicht ertragen und macht seinem Ärger darüber Luft, indem er gegen Lucius handgreiflich wird.
"Du könntest jetzt aufhören, schimpfte Heilner. Es gibt auch noch andere Leute, die üben wollen. Deine Kratzerei ist ohnehin eine Landplage." [xii]
Dieser Wutausbruch wird von den Lehrern mit 8 Stunden Karzer bestraft. Nach diesem Vorfall wird Hermann von seinen Mitbewohnern, insbesondere auch von Hans, als Außenseiter behandelt. Obgleich Hans und Hermann nun nicht mehr miteinander sprechen, begegnen sie sich in ihrem tiefsten Innern mit enormer Enttäuschung. Durch den Tod eines Zimmerkameraden kommen sie sich wieder näher und schließen abermals Freundschaft. Hermann wird von den Professoren sehr streng behandelt, um seinen rebellischen Gedanken, die in diesem System keinen Platz haben, vorzubeugen. Hans erkennt die Sinnlosigkeit dieses Schulsystems und seine Leistungen sinken. Seine Lehrer sehen die Ursache des Abfalls der Leistungen jedoch in Hans Umgang mit Hermann und verbieten ihm daher diesen. Hans konzentriert in einem letzten Aufbäumen seine Anstrengungen, um den Anschluß nicht zu verlieren.
"Von da an plagte er sich aufs neue mit der Arbeit. Es war allerdings nicht mehr das frühere flotte Vorwärtskommen, sondern mehr ein mühseliges Mitlaufen, um wenigstens nicht zu weit zurückzubleiben" [xiii]
Als er merkt, daß seine Bemühungen, sich selbst zu motivieren, in Ermangelung der notwendigen Kraft scheitern, verlieren sich seine Gedanken in Träumereien. Mit dem Absinken seines Erfolgs verliert Hans auch den Respekt der Kameraden. Die Lehrer beschließen, Hans wieder nach Hause zu schicken. Hier bemerkt Hans, daß er den in ihn gesetzten Erwartungen nicht gerecht werden kann und denkt in seiner Not bereits an Selbstmord. Er versucht unter Zuhilfenahme von Erinnerungen an Personen und Plätze seines Geburtsortes zu sich selbst zu finden. Er scheitert und muß erkennen, daß die Zeit seiner "schönen Jugend" vorbei ist. Im Laufe der Zeit verliebt er sich in ein Mädchen, das jedoch schon bald ohne Abschied abreist. Er beginnt eine Mechanikerlehre um auf neue Gedanken zu kommen. Dabei lernt er Konrad kennen, der ihn auf eine Feier einlädt. Die anderen Gäste verstehen es, Feste mit Alkohol zu feiern, und Hans versucht ein letztes Mal, sich krampfhaft anzupassen. Am nächsten Tag wird Hans tot in einem Bach aufgefunden. Am Tag seines Begräbnisses wird Hans zur Berühmtheit. Viele Leute kommen, um diesen intelligenten Jungen zu betrauern. Lediglich Flaig, einer seiner Kindheitsfreunde, erkennt die Lehrer als wahren Grund für Hans Tod.
4.3.3. Interpretation
Hans, der mit Wissen traktiert wird, übernimmt das ihm auferlegte Leistungsdenken und wird von einem übertrieben Ehrgeiz besessen. Er sieht auf seine Mitschüler herab, was ihm unmöglich macht, echte Freundschaft zuschließen. Von August distanziert er sich, als er eine Lehre anfängt, und an Hermann, der von den Lehrern als Paria[5] abgestempelt wird, begeht er Verrat, indem er ihn ignoriert. Er unterliegt dem Kampf zwischen Freundespflicht und Ehrgeiz. Er ist im ständigen Konflikt zwischen dem "Erwachsenwerden" und den Kindheitsfreuden, denen er doch nicht ganz entsagen will.
In seiner Verzweiflung wendet er sich der Natur, besonders dem Wasser zu. Da sein Zerfallsprozeß zu weit vorgeschritten ist, bedeutet das Symbol Wasser nicht "aufgehen" in diesem Element sondern Untergang und Tod.
"Ekel, Scham und Leid waren von ihm genommen, auf seinen dunkel dahintribenden, schmächtigen Körper, schaute die kalte, blauliche Herbstnacht herab, mit seinen Händen und Haaren und erblaßten Lippen spielte das schwarze Wasser." [xiv]
Wie in fast allen Werken Hesses wird auch in diesem der Prozeß der eigenen Identitätssuche dargestellt. Mit dem Tod Giebenraths und Goldmunds hat der Autor eine Phase seines Lebens noch einmal erlebt und hinter sich gebracht.
Heilner, der ebenfalls ein Außenseiter ist, flüchtet auch in die Natur und begegnet Hans. Er sieht auf die anderen herab, da er ihre Unfreiheit erkennt. Mit Hilfe seiner Phantasie und der Literatur kann er sich im Gegensatz zu Hans eine eigene Wirklichkeit schaffen. Vorerst versucht Hans in zwei Welten zu leben und seine schulischen Pflichten der Freundschaft wegen nicht zu vernachlässigen. Schließlich verliert er jede Orientierung und erleidet einen physischen Zusammenbruch. Er kann sich nicht wie Heilner vom Seminar befreien - er wird befreit. Die Flucht ins Künstlertum bleibt ihm versperrt. Wieder zu Hause erkennt er seine Isolation und auch den Raubbau, den man an ihm und seiner Kindheit betrieben hat. Er sucht alle Plätze auf, da er sich in hoffnungsfrohe Zeiten flüchten will.
In den beiden letzten Kapiteln wird er mit der Liebe und seiner Mechanikerlehre konfrontiert. Beidem ist er nicht gewachsen. Er versucht noch einmal verzweifelt, sich in die Gemeinschaft zu integrieren, es überfordert ihn allerdings, und er stirbt.
Das Buch "Unterm Rad" erfreut sich großer Beliebtheit, nicht zuletzt wegen der Zeitbezogenheit. Es kann passagenweise wie ein historisches Dokument zur Erziehungspolitik einer vergangenen Epoche angesehen werden.
Der Autor auf eigene Erlebnisse zurück; er stattet jedoch zwei Figuren, nämlich nicht nur Hans Giebenrath, sondern auch dessen Freund Hermann Heilner mit autobiographischen Zügen aus. Im Februar 1890 wurde der damals 12jährige Hesse von seinen Eltern aus Calw nach Göppingen gebracht, wo er auf der dortigen Lateinschule auf das sogenannte "Landexamen" vorbereitet werden sollte. Wie auch Hans, schaffte Hesse das Landexamen und wurde in das Seminar Maulbronn aufgenommen. Hesse wußte zunächst seinen Eltern in seinen Briefen nichts negatives zu berichten. Der Unterricht machte ihm Freude und er hatte keinerlei Lernprobleme. Beide, Heilner, wie auch Hesse, entliefen dem Seminar ohne Winterkleidung und ohne einen Pfennig in der Tasche. Auch die Bestrafung, als sie aufgefunden werden ist die gleiche: 8 Stunden Karzer. Hesse wird als Aussätziger behandelt und im Mai 1892 offiziell zur Wiederherstellung seiner Gesundheit beurlaubt. Die Beurlaubung dient aber in Wirklichkeit - wie auch in "Unterm Rad" - dazu, einen Seminaristen, der dem Leistungsdruck nicht standhält, unauffällig aus der Anstalt zu entfernen. Mit dem Austritt trat für ihn eine Zeit der Depression ein, und er litt an einer schweren Nervenkrise, in der er auch einen Selbstmordversuch unternahm.
Durch diese Gemeinsamkeiten von Hesses Leben und jenem seiner Romanfiguren wird die starke emotionelle Bindung des Autors mit seinen Werken offenbar. So betrachtet wird Unterm Rad zu einer ironischen Abrechnung mit der Schule. Hesse weist nach, daß das was Heilner und Hans persönlich widerfährt, auf Mißstände des Erziehungs- und Schulwesens im allgemeinen zurückzuführen ist.
"Wie ein Urwald gelichtet, gereinigt und gewaltsam eingeschränkt werden muß, so muß die Schule den natürlichen Menschen zerbrechen, besiegen und gewaltsam einschränken. Ihre Aufgabe ist es, ihn nach obrigkeitlicherseits gebilligten Grundsätzen zu einem nützlichen Gliede der Gesellschaft zu machen und die Eigenschaften in ihm zu wecken, deren völlige Ausbildung alsdann die sorgfältige Erziehung in der Kaserne krönend beendet" [xv]
Der Vater, Josef Giebenrath, entspricht dem gängigen Klischee des deutschen Klein- oder Spießbürgertums. Er hat keine individuellen Züge, und hätte mit jedem Nachbarn Name und Wohnung tauschen können, ohne daß eine Veränderung eingetreten wäre.
Hans und Hermann verkörpern die gegensätzlichen Komponenten einer Persönlichkeit. Mit dem Tod von Hans läßt Hesse auch den bürgerlichen Teil seiner eigenen Persönlichkeit zurück. Die Zukunft gehört der von Hermann repräsentierten Komponente. Die Rettung ist, wie auch bereits in Narziß und Goldmund dargestellt, nur durch die Kunst gegeben.
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