Roman von Max Frisch, erschienen 1954. - »Ich bin nicht Stiller« - mit diesem Satz beginnt Frischs erster bedeutender Roman. Aus dem darin enthaltenen Widerspruch entwickeln sich Handlung und Grundproblematik: der Kampf eines Menschen um seine Identität; das Werk entstand fast gleichzeitig mit dem Schauspiel Don Juan oder die Liebe zur Geometrie sowie mit dem Hörspiel Rip van Winkle. Ein Mann namens Jim Larkin White, angeblich Amerikaner, wird beim Grenzübertritt in die Schweiz festgenommen und verdächtigt, mit dem seit sieben Jahren verschollenen und in eine mysteriöse Agentenaffäre verwickelten Bildhauer Ludwig Anatol Stiller identisch zu sein. Seine Aufzeichnungen während der Untersuchungshaft - sie sollen seine Identität klären helfen - bilden den tagebuchartigen Hauptteil des Romans. Aus einzelnen Aussagen bildet sich allmählich eine Charakteristik des verschollenen Bildhauers: »Er will nicht er selbst sein . . . Er leidet an einer Minderwertigkeitsangst aus übertriebener Anforderung an sich selbst . Er entflieht der Wirklichkeit zumindest innerlich. Er scheitert als Bildhauer, und er versagt als Freiwilliger im Spanischen Bürgerkrieg. Seine Ehe mit Julika misslingt bei dem Versuch, Julika zu deuten und von ihr ein fertiges Bildnis anzufertigen. In der Hoffnung, ein neues Leben beginnen zu können, flieht Stiller nach Amerika. Er ergreift die Möglichkeit, noch einmal neu anzufangen und »kein anderes Leben zu suchen als dieses, das er nicht von sich werfen kann«. Nach seiner Rückkehr in die Heimat und während der Untersuchungshaft stellt sich diese Hoffnung jedoch als reine Illusion dar. Die Last der Beweise und ein gerichtlicher Beschluss zwingen »White« schließlich, seine
Identität mit dem Verschollenen zu akzeptieren, obwohl er innerlich ein Gewandelter ist. Im Nachwort, dem zweiten Teil des Romans, wird aus der Perspektive des Staatsanwalts Stillers weiterer Weg geschildert. Er zieht mit Julika in ein verlassenes Bauernhaus am Genfer See und arbeitet dort als einfacher Töpfer. Alles wiederholt sich nun. Noch einmal versucht er, Julika zu "erlösen", wieder scheitert er. Erst als es zu spät ist und Julika an einem Lungenleiden stirbt, ist er bereit, sich selbst anzunehmen. Stiller lebt fortan ein einsames Leben. Das Ringen um seine Identität spielt in seinem Roman die wichtigste Rolle. Er sehnt sich mit Hilfe seiner Identitätskrise nach einem anderen Ich und einem erfüllterem Leben.
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