Ödön von Horváth, Uraufführung unter dem ¬Titel Liebe, Pflicht und Hoffnung: Wien, 13. 11. 1936, Theater für 49 am Schotten¬tor. - Der Untertitel Ein kleiner Totentanz in fünf Bildern, den Horváth selber seinem Drama so gegeben hat, bezeichnet genaueste die in seinem Spätwerk zunehmend an Bedeutung gewinnende Auseinandersetzung mit der Grenzsituation des Todes. Es ist zumeist der Tod des in Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit getriebenen Menschen in einer von abstrakten Prinzipien beherrschten un¬menschlichen Welt. In den fünf Bildern von Glaube, Liebe, Hoffnu¬ng schildert Horváth unter Verzicht auf alle ausschmückenden Details Station um Station den Leidensweg der mittellosen Elisabeth, die trotz ihrer tapferen Haltung am Unverständnis eines durch Paragraphen "geordneten" Staatswe¬sens zugrunde geht.
Aus Not will Elisabeth ihren Körper für einhun¬dertfünfzig Mark an ein Anatomisches Institut ver¬kaufen, um mit dem Erlös einen Wandergewerbeschein bezahlen zu können. Der Oberpräparator weist sie auf die gesetzlichen Bestimmungen hin, nach denen der Staat keine "lebendigen Toten" kauft. Der Präparator - beeindruckt, dass Elisabeths Vater ein Inspektor ist, aus dem er für sich einen Zollinspektor macht -, leiht Elisabeth die benötigte Summe. Als er durch Nachforschungen erfährt, dass Elisabeths Vater kein Zollinspektor, sondern "nur" ein Versicherungsinspektor ist, und Elisabeth sein Geld dafür verwendet hat, eine Geldstrafe zu bezahlen, die ihr für die unerlaubte Beschäftigung ohne Gewerbeschein auferlegt worden war, zeigt er sie als Betrügerin an. Elisabeth wird mit vierzehn Tagen Gefängnis ohne Bewährung bestraft. Nach ihrer Entlassung lernt sie auf dem Wohlfahrtsamt den Polizisten Alfons Klostermeyer kennen. Er verspricht ihr die Ehe, und sie zieht als seine Braut zu ihm. Bei einer Razzia der Polizei, die Elisabeth in Verdacht hat, als Prostituierte zu ar¬beiten, erfährt Alfons, dass sie vorbestraft ist. Vor¬geblich enttäuscht, dass ihm Elisabeth, die ihn nur schützen wollte, nicht die Wahrheit gesagt hat, tatsächlich, um seine Karriere nicht zu gefährden, ver¬lässt Alfons seine Braut. In ihrer Not und Verzweif¬lung geht Elisabeth ins Wasser, wird jedoch vor dem Ertrinken gerettet. Auf einer Polizeiwache, wo sie ihren ehemaligen Bräutigam wiedersieht, ver¬sucht man, das Leben des unterkühlten Mädchens zu retten. Während der "tollkühne Lebensretter" als Held gefeiert wird, stirbt Elisabeth. Alfons Klo¬stermeyer kann sich eine Mitschuld am Selbstmord Elisabeths nicht eingestehen. Ungerührt begeben sich alle Beteiligten zu einer vaterländischen Para¬de.
Horváth begann die Konzeption des Dramas, des¬sen Geschehen auf Tatsachen beruht, aufgrund einer Anregung des ihm bekannten Gerichtsrepor¬ters Lukas Kristl. Dessen Vorschlag war es, "ein Stück gegen die bürokratisch-verantwortungslose An¬wendung kleiner Paragraphen zu schreiben", wie es Horváth in der "Randbemerkung" zu Glaube, Liebe, Hoffnung notiert. Die von Kristl übermittelten Fakten verdichten sich in Horváths Drama zu einer Parabel, mit der der Autor "wiedermal den giganti¬schen Kampf zwischen Individuum und Gesellschaft" demonstriert. Im Fall der Elisabeth ist es der Kampf des auf sich gestellten Mädchens gegen eine unmenschliche Bürokratie und gegen die erbar¬mungslose Anwendung von Paragraphen. Das "re¬glementierte" Staatswesen hat für die Bitte Elisa¬beths, "es könnte doch auch ein bisschen weniger unge¬recht zugehen" kein Verständnis. Horváth erkennt in diesem Kampf "ein Formproblem der Bestialität, die bekanntlich weder gut noch böse ist". Der Zug des Reportagehaften, von dem das dramatische Ge¬schehen bestimmt wird, hat Horváth in der Kritik manchen Vorwurf eingebracht. Dagegen scheint das Drama gerade wegen der nur knapp skizzierten Szenen "in der Wertschätzung der Interpreten" (D. Hildebrandt) zu steigen. In kaum einem ande¬ren Werk Horváths dürfte die Kritik an der Gesell¬schaft seiner Zeit derart geschlossen zum Ausdruck kommen wie in diesem von der Alltagssphäre ge¬prägten Stück.
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