Der innere Monolog entwickelt sich parallel zu den psychoanalytischen Methoden in der Medizin zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Mit Sigmund Freud teilt Arthur Schnitzler sein
Interesse für psychische Erkrankungen und beschäftigt sich somit mit der Psychoanalyse. So zählen die Hypnose, Traumdeutung und der Konflikt mit sich selbst und der Außenwelt zu den beliebtesten Themen seiner Werke. Selbst Arzt, versucht er die psychoanalytische Methode auch in seinen literarischen Werken anzuwenden, was ihm vor allem mit der Form des inneren Monologes gelungen ist. Nach Schnitzlers Meinung mußte im Unbewußten "jeder Arzt, jeder Dichter, jeder Staatsmann, jeder Menschenkenner Psychoanalytiker sein" .
Arthur Schnitzler zeigt in "Fräulein Else" das Leben eines jungen Mädchens in ihrer Zwangslage und charakterisiert sie durch die Darstellungsform des inneren Monologes zugleich.
Zu Beginn ist es einmal sehr wichtig die Problemsituation der Romanfigur kennenzulernen. Um so wichtiger ist dann für die Interpretation die Beachtung der Lebensumstände, in denen sich der Protagonist gerade befindet. Der Zeitpunkt, an dem der Bewußtseinsstrom der Monologfigur eintritt, ist bereits signifikant. Die Erzählung setzt ein, als sich Else gegen Abend nach einem Tennisspiel ins Hotel begibt, um den angekündigten Expressbrief ihrer Mutter abzuholen. Aus diesem erfährt sie, daß ihr Vater Schulden begleichen müsse und Else nun um die Geldsumme bei Herrn von Dorsday bitten solle.
Nachdem sie den Brief ihrer Mutter gelesen hat, hat sie natürlich innere Kämpfe auszutragen, die uns Schnitzler in der Form eines inneren Monologes wiedergibt. Dies sind Kämpfe zwischen der Else, die in Realität existiert und jener, die man im Augenblick von ihr zu sein verlangt. Da sie von ihren Eltern erzogen wurde, Vater und Mutter zu ehren und lieben, möchte sie ja ihren Vater helfen, aber sie kann die Erniedrigung ihrer Person nicht ertragen. Ihre Verzweiflung steckt vor allem im folgenden Abschnitt:
"Nein niemals verkaufe ich mich. Niemals.... Er hat sich doch denken können, daß der Herr
von Dorsday nicht für nichts und wieder nichts.- Sonst hätte er doch telegraphieren oder selbst
herreisen können. Aber so war es bequemer und sicherer, nicht wahr, Papa? Wenn man eine so
hübsche Tochter hat, wozu braucht man ins Zuchthaus spazieren? Und die Mama, dumm wie sie
ist, setzt sich hin und schreibt den Brief. Der Papa hat sich nicht getraut. Da hätte ich es ja gleich
merken müssen. Aber es soll euch nicht glücken. Nein, du hast zu sicher auf meine kindliche
Zärtlichkeit spekuliert, Papa, zu sicher darauf gerechnet, ....
Als "anständiges Mädchen aus gutem Haus" kennt sie die moralischen Gebote und weiß über die Regeln, die ihr die Gesellschaft vorschreibt, Bescheid. Sie spielt die Rolle, die von ihr verlangt wird und erfüllt die Erwartungen ihrer Familie. Ihrem Stand gemäß grüßt sie und verneigt sich vor den Verwandten. Doch unter der Bedingung, sich in ihrer Nacktheit dem Herrn von Dorsday zu zeigen, kann sie ihre vom gesellschaftlichen Ruin bedrohten Familie nicht mehr retten. Sie läßt es mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren, ihren Körper, durch den sie eigentlich ihre Identität erfährt, um einen Wert von 30000 Gulden anzubieten. So gerät sie in innere Konflikte, die sie nicht mehr länger ertragen kann.
In ihrer Zwangslage vereinsamt das Subjekt in der Novelle immer mehr und mehr.
Deshalb ergibt sich ja wohl keine bessere Darstellungsform als die des inneren Monologes. Denn "Konflikte, die dennoch entstehen, können daher nur solche des Bewußtsein sein; sie aufzulösen, obliegt ausschließlich dem einzelnen Subjekt" . In ihrer Vereinsamung führt sie nur mehr Selbstgespräche, die Dialoge zur Außenwelt verschwinden immer mehr.
Es kommt also zur Diskrepanz zwischen äußerem Schein und innerem Sein, zwischen ihren Wünschen und den Wertvorstellungen der Familie und der Gesellschaft.
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