Was ist Stille? Stille lässt sich meiner Meinung nach in eine "innere" und eine "äußere Stille" unterteilen. Die innere Stille ist abhängig vom sozialen Umfeld und dessen Einfluss auf eine Person, vom Selbstwertgefühl und der Ausgeglichenheit bzw. Harmonie, welche die Person empfindet. Außerdem kann sie durch Erregungen zum Beispiel nach intensivem Sport verhindert werden. Äußere Stille ist durch Schlafmittel, sonstige Medikamente und Drogen zu erreichen durch die Geräusche anders oder weniger wahrgenommen werden. Stille assoziiere ich nicht nur mit Geräuschlosigkeit sondern auch mit der Abwesenheit von Bewegungen oder dem Druck etwas zu tun.
Damit sich vollständige Stille einstellen kann, darf ebenfalls keine Beeinflussung durch grelle Farben oder einen Informationsüberfluss vorhanden sein. Das ist zumindest die sachliche Definition der Stille. Was heißt Stille aber für mich? Für mich ist Stille der Zustand, indem ich ungestört über Dinge nachdenken kann mit denen ich mich nicht aufgrund von Alltagspflichten oder Hausaufgaben beschäftigen muss, sondern die meine persönlichen Interessen betreffen. Im Alltag finde ich kaum Zeit mir über mein Leben und seinen Zweck oder den Sinn meiner Tätigkeiten Gedanken zu machen oder mich ausgiebig mit anderen zu unterhalten. Stille ist für mich also eine Zeit des Abschaltens, des Erholens und des Vergessens von Alltagsstress, Hektik und Leistungsdruck. Momente dieser Art erlebe ich leider nur noch wenn ich im Familienurlaub bin, jogge oder nachts Spazieren gehe und in den Sternenhimmel schaue.
Solche Momente der Stille sind bedeutend, weil ich in ihnen Kraft sammeln, Energie schöpfen und wieder zu mir finden kann. Jedoch werden diese Augenblicke ständig rarer. Immer seltener erwische ich mich dabei Stille zu genießen. Mir kommt die für mich wichtige Stille anscheinend immer mehr abhanden. Daher stellt sich mir die Frage, warum sie dennoch so bedeutend ist und wie etwas von derartiger Tragweite einfach verloren gehen kann. In dem 1988 in der Badischen Zeitung erschienenem Text "Der Verlust der Stille" von Stephan Clauss, setzt sich dieser mit dem Thema des Verlusts von Stille und der daraus resultierenden Gefahr auseinander.
Auf seinem Text aufbauend will ich die genannten Fragen untersuchen und zumindest teilweise zeigen welche Bedeutung der Stille zusteht und welche ihr zugewiesen wird. Stephan Clauss stellt in seinem Text diesbezüglich die Grundthese auf, dass die Stille verloren gehe und unsere Gesellschaft darunter leiden werde, wenn sie nichts daran ändere. Er wendet sich mit seinem Aufsatz in der Badischen Zeitung an viele Leser aus allen Bevölkerungsschichten. Im Text tritt Stephan Clauss als auktorialer Erzähler auf. Der Satzbau ist leicht verständlich und ermöglicht einen einfachen Zugang zum Text. Dazu trägt außerdem bei, dass Clauss seine Thesen meist erläutert und sie auf viele Beispiele stützt.
So besteht der 3. Absatz vollständig aus Beispielen, die sich auf die 2. These beziehen. Weiterhin werden seine gedanklichen Zusammenhänge durch die Absätze, in denen er fast immer eine These anbringt sehr gut deutlich. Seine erste These, die aussagt, dass "Stille lange Zeit Voraussetzung und Bestandteil menschlicher Kultur"(Z.6-7) gewesen sei, steht am Ende des ersten Absatzes.
Mit dieser These stellt er bereits zu Beginn seine Position klar. Stille ist für den Verfasser ein seltenes Gut, das Voraussetzung und Bestandteil unserer Kultur sei. Dass die Stille verloren geht und ihm dieser Umstand nicht egal ist, war für ihn, so vermute ich, der Grund diesen Text zu verfassen. Gleichzeitig behauptet Stephan Clauss, dass dieser Verlust nur teilweise bedauert wird. Die "Schweigsame, Unscheinbare"(Z. 4-5), wie der Verfasser sie in einer Hyperbel nennt, verschwindet laut ihm zum Teil sogar unbemerkt.
Stephan Clauss definiert die Stille gleich zu Beginn mit der durch einen Vergleich verdeutlichten Aussage, dass Stille nicht einfach nur die Abwesenheit von Lärm sei. Anschließend führt er die These an, dass unsere Gesellschaft ohne Stille arm, oberflächlich und unerträglich werde. Dadurch stellt er gleich zu Beginn klar, dass ihm die Stille sehr wichtig und ihr Verlust ein gesellschaftliches Problem sei, was eine Selbstreflexion beim Leser über den eigenen Standpunkt auslöst. Anschließend versucht der Verfasser zu zeigen, dass es in der Gegenwart kaum noch Möglichkeiten gibt sich dem Lärm zu entziehen. Seine Position, dass Lärm eine Zumutung ist, bekräftigt er mit der Metapher der "militärischen Tiefflüge" (Z.10) und der Musik in Supermärkten, U-Bahnen, Boutiquen und von Nachbarn am Sonntag auch Ruhetag genannt, die er als "akustische Umweltverschmutzung"(Z.
14) verurteilt. Hierbei grenzt er ein, dass er den vermeidlichen Lärm kritisiert, der die Inseln des Schweigens immer kleiner werden lasse. Musik gehört für mich aber ebenfalls zum Kulturgut und kann mir wie die Stille zur Entspannung dienen. Musik beeinflusst beim Einkauf zwar, aber dennoch kann sie ihn zu einem harmonischerem Erlebnis machen und andere störende Geräusche übertönen. Musik ist also nicht nur "Umweltverschmutzung"(Z.14).
Viel mehr stört mich visuelle Ablenkung durch Werbung oder Leuchtreklamen, deren Ausmaß zu einem Informationsüberfluss führt. Lärm ist unser ständiger Begleiter. Daher haben viele Menschen laut Stephan Clauss bereits Angst vor der Stille. Diese These erläutert er mit der Hyperbel, dass Jugendliche heutzutage unter Dauerbeschallung aufwüchsen, die sie gleichzeitig dazu nutzten um sich abzuschirmen. Als unterstützende Beispiele bringt er dazu einige Anglizismen ("Walkman", "heavy metal" und "Non-stop-Diskothek" in Z.22-24) und den Neologismus der "Traumwandler unter ihrer Tarnkappe"(Z.
22-23) an. Meiner Meinung nach ist dies die Möglichkeit heutiger Jugendlicher zum Stressabbau. Lärm bzw. Stille sind in diesem Punkt für mich lediglich eine Frage der Gewohnheit. Der Verfasser konstatiert außerdem, dass verbreitet Hörschäden aufträten und Lärm verwirrte und unruhige Reaktionen als Einruch in die betriebsame Normalität hervorrufe. Dem werde mit Lärm durch Lautsprecherboxen und Rasenmähern begegnet.
Insgesamt stellt er fest, dass in der Bevölkerung eine "Furcht vor der Abwesenheit von Aktivitäten" (Z.30-31) vorhanden sei. Dieser Position des Verfassers muss ich zustimmen. Diese Angst vor und bei dem Innehalten, der Untätigkeit, wie auch der Geräuschlosigkeit in unserer von Hektik und Leistungsdruck geprägten Zeit habe auch ich oft, so dass ich sicher nicht als Einzige häufig nach dem Motto "Zeit ist Geld" handele. Demzufolge unterstütze ich Clauss' These, dass Lärm das soziale Klima nachhaltig schädige und, wie statistisch vielfach belegt, krank mache. Durch sie wird der Argumentationsaufbau deutlich.
Der Verfasser nutzt die Möglichkeit die Gefühle des Lesers zu lenken. Er steigert die Relevanz seiner Argumente von belästigendem Lärm, über Angst bereitende Stille bis hin zum krank machenden Lärm stetig und versucht dadurch den Leser auf der Gefühlsebene anzusprechen und somit die Brisanz des Themas auf eine persönliche Ebene zu heben. Lärm führe außerdem zu Aggressivität und Abstumpfung, was häufig verdrängt werde oder wo die Flucht zu Beruhigungsmitteln, von Stephan Clauss mit dem Anglizismus "Tranquilizer"(Z.36) bezeichnet, als Flucht diene. Die Ausführungen des Verfassers könnte man nach meiner Auffassung wiederum um den visuellen Aspekt ergänzen. Abstumpfung wird zu hohem Maß auch visuell zum Beispiel durch Informationsüberfluss, hohe Informationsgeschwindigkeit und allgegenwärtige Werbung hervorgerufen.
Weiterhin spricht Stephan Clauss an, wie notwendig es ist sich auf die Kraft der Stille zurückzubesinnen, indem er die These aufstellt, dass ein Bewusstseinswandel im Rahmen der Rückbesinnung auf verlorene Werte notwendig sei. Mit der Aussage, dass "technische" und "politische Kosmetik" dabei ineffektiv sei, geht er auf andere Positionen ein. Meiner Ansicht nach sind sie aber dennoch ein Weg um unsere innere Stille wieder herzustellen, wenn auch nicht alleinige Lösung. Außerdem diene Lärm nur dazu, uns "Mut zu machen" im "Existenzkampf"(Z.42), Stille habe aber ein größeres Kraftpotential. Stille ist für den Verfasser ein wichtiger sozialer Aspekt, der die Grundlage für andere Werte bildet.
Ohne ihn würde unsere Gesellschaft oberflächlich werden. Ich glaube, dass die "Rückbesinnung auf verschüttete Werte"(Z.41) zwar möglich ist, wir Werte aber nicht einfach genau übernehmen können. Stille ist für den Verfasser also tragendes Element unseres zivilisierten Zusammenlebens und nicht nur ein "Luxusartikel"(Z.44). Ohne Stille verlernten wir das Zuhören, Wahrnehmen und Denken.
Daraus ergibt sich ihre Notwendigkeit für unsere Gesellschaft. Die Hyperbel, dass Stille nur noch mit "Schaumstoff in den Ohren möglich"(Z.49) sei, um zumindest einen Ersatz der Stille zu schaffen, verdeutlicht abschließend noch einmal sehr gut, dass wir ohne Stille einen Teil unserer Lebensqualität einbüßen würden. Das bereits erwähnte Abschirmen mit Musik gibt ebenfalls Zeit zum Nachdenken über sich selbst und zum Stressabbau. Wie festgestellt hat Stille eine geringe Bedeutung in unserer schnelllebigen Zeit, doch hat sie deswegen eine geringe Notwendigkeit? Wir machen uns mit Lärm Mut für unseren täglichen Existenzkampf. So drehe auch ich jeden morgen das Radio auf um gute Laune zu bekommen.
Das Nutzen der Musik zur Abgrenzung von unserer Umwelt und als Ersatz der Stille ist so als würden wir einen Kaffee nach einer viel zu kurzen Nacht trinken. Wir sind zwar wach, aber das Problem des Schlafmangels ist nicht gelöst. Genauso wie Schlaf zur Erholung notwendig ist und Kaffee nur über Müdigkeit hinwegtäuscht, so täuscht die Musik lediglich über den Mangel der Stille hinweg, welche wir so nötig brauchen. Die Stille ist aber noch nicht verloren. Wir haben uns selbst unsere künstlichen Stilleinseln im Urlaub und in Wellness-Centern geschaffen und nutzen die "heilsame und befreiende"(Z.45) Ruhe dort zur Erholung.
Technisches und industrielles Leistungsvermögen weisen unsere Gesellschaft als hochzivilisierte Kultur aus. Jedoch schirmen sich die Menschen gegen dadurch erzeugten Lärm zum Beispiel mit Walkmen ab. Die nicht bedachte Folge davon ist, dass sie sich auch untereinander abschirmen. Die Kommunikation der Menschen wird gestört und ein Teil von ihr geht als wichtige Grundlage unserer Gesellschaft mit der Stille verloren und löst dadurch die Gemeinschaft unserer Gesellschaft auf. In Klöstern, im antiken Griechenland und Rom nahm man sich Zeit miteinander zu reden und einander zuzuhören. Diese Form des zwischenmenschlichen Umgangs stärkte die Kulturen.
Viele Werte auf die wir heute zurückgreifen stammen aus dieser gern bedachten Vergangenheit. Im Laufe der Zeit lebten die Menschen auf immer dichterem Raum zusammen. Der Lärmpegel stieg vor allem während der Industrialisierung scheinbar explosionsartig an und die Stille ging, fast von heute auf morgen und nahezu unaufhaltsam, nach und nach verloren. Diese Grundlage, welche zur Entstehung unserer Kultur notwendig war, fehlt uns jetzt. Die Vorraussetzung für einen Bewusstseinswandel, wie er von Clauss gefordert wird und den ich ebenfalls unterstütze, ist meiner Meinung nach die Einstellung der äußeren Stille, das heißt u.a.
weniger Lärm und Aggressivität, damit die Grundlage und überhaupt erst die Möglichkeit des Findens der inneren Stille vorhanden ist und wir uns auf die Bedeutung der Stille besinnen können. Insgesamt muss ich feststellen, dass mir auch schon vorher bewusst war, wie sehr ich Stille brauche um mich zu erholen. Dennoch fällt es mir sehr schwer mehr Zeit zur Besinnung, zum Abschalten und für meine Mitmenschen zu finden. Der Text hat mir noch einmal deutlich gemacht, dass ich mich mit eigener Kraft kaum vom Leistungsdruck und der Hektik, die ich mir oft selbst bereite, befreien kann. Daher betrifft und beschäftigt das von Stephan Clauss aufgegriffene Problem des Verlusts von Stille und der daraus drohenden Gefahren mich sehr. Ich merke auch an meinen Eltern, dass sie sich kaum Zeit nehmen, Ruhe gönnen und immer etwas zu tun haben, selbst meine Großeltern nehmen sich kaum Ruhe sondern belasten sich sehr mit Hektik und Stress.
Trotzdem glaube ich nicht, dass die Stille vollkommen verloren gehen wird, da wir uns immer wieder unsere Inseln der Stille zum Beispiel beim Joggen oder mit einem Buch in der Badewanne schaffen. Außerdem haben sich die Wertprioritäten in letzter Zeit meiner Meinung nach für viele Menschen bereits zum Beispiel zur Familie und zum Glauben, zwei Quellen in denen man Ruhe und Kraft finden und schöpfen kann, gewandelt. Ich stimme Stephan Clauss dahingehend zu, dass wir unter dem Verlust der Stille leiden und sie ein unersetzbares Gut ist. Allerdings hat er den Begriff Stille meiner Ansicht nach zu einseitig betrachtet, so fehlen ihm visuelle Aspekte und die Rolle, die die Medien beim Verlust der Stille spielen. Außerdem finde ich, dass man der Musik auch noch einen Wert als Regenerationsquelle zugestehen muss, auch wenn sie die Stille, wie von Stephan Clauss gefordert, nicht ersetzen darf.
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