In kaum einem anderen Roman werden die Narben, die eine Diktatur in der Seele und im Leben eines Menschen hinterläßt so prägnant und gleichsam gefühlvoll geschildert. Noch Jahre nach der grausamen Folter durch das uruguayische Militär führt Sara ein leidvolles Leben und versucht die verlorenen Jahre nachzuholen, denn auslöschen kann sie sie weder aus ihrem Verstand noch aus ihrem Herzen. In stetem Zweifel um den Verbleib ihres Sohnes Simón ist sie dazu verdammt, sich auf eine langwierige Suche zu begeben, die am Ende doch erfolglos bleiben wird. Die Revolution, das Gefängnis, und vor allem die Trauer haben die Verbindung zwischen Simón und seiner Mutter verwaschen. Der Sohn will seine Mutter nicht einmal mehr kennenlernen. Sara bemüht sich verzweifelt, eine Freundschaft zu den Adoptiveltern zu knüpfen, die jedoch befürchten, die leibliche Mutter wolle ihnen ihren Sohn mit allen Mitteln entreißen. Wörtlich schreibt sie in einem Brief: "[.] Wir dürfen uns nie als Feinde betrachten, als Opfer und Täter. Für das, was wir jetzt durchmachen, sind andere verantwortlich, und diese Anderen stehen tatsächlich auf der anderen Seite." Hackl macht uns durch die Schicksale vieler Betroffenen deutlich, daß unsere Freiheit, unser Glück von den Machthabern abhängen. Anhand des Buches erkennen wir, daß die Freiheit unser wertvollstes Gut ist. Gewaltlosigkeit, Frieden und innere Ruhe, sowie Demokratie sind in keinem Land eine Selbstverständlichkeit. Noch vor einem Jahrzehnt wurde in unserem Nachbarland, der DDR, gemordet und gefoltert und auf dem Kosovo, in Palestina oder in Algerien herrscht noch heute die Angst. Erich Hackl deutet an, daß wir uns glücklich schätzen können, in einem friedlichen Staat zu leben und nicht Opfer politischen Terrors zu sein. Nach der Lektüre deses Buches erscheinen uns politische Streitgespräche in unseren Landen wie z.B. um einen Lauschangriff oder um eine Rentenreform als Lappalien. Sie sind unbedeutend, verglichen mit Saras Pein, ihren Nöten und ihren Sorgen.
Hackl macht aber am Beispiel Saras auch deutlich, daß man Vergangenes manchmal vergessen muß, um wieder zu einer frohen Lebenseinstellung zu gelangen. Sie setzt sich noch Jahre nach ihrer Entlassung aus dem Zuchthaus mit der Entführung auseinander, denkt anfangs jeden Tag nach, was sie hätte besser machen können. Sie braucht lange Zeit, um festzustellen, daß man der Vergangenheit nicht ewig nachtrauern kann, da das Leben weitergeht. Zum Schluß erfahren wir von ihr: "Zur eigenen Vergangenheit stehen, aber das Recht beanspruchen, mit ihr fertig zu werden. Nicht alles wegwerfen, nicht alles weitertragen." Das sei nun auch Saras Weg.
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