In der ersten Phase des deutschen bürgerlichen Trauerspiels erscheint der Privatmensch in seiner mitmenschlichen Beziehung. Er ist an seine Gemeinschaft gebunden, bemüht um Tugend, gefühlsfreudig und empfindsam.
Im 18. Jh. war das Bürgertum Hauptträger der Empfindsamkeit. Das ist kein Widerspruch dazu, daß die bürgerliche Gesinnung aufklärerisch und rationalistisch war, denn spätestens seit den vierziger Jahren standen Aufklärung und Empfindsamkeit nicht gegeneinander. Die Gemeinsamkeit ist die Autonomie des Ich. Das Gefühl der Empfindsamkeit ist ja nicht Leidenschaft, sondern eine maßvolle Rührung, die auch eine Idee der Aufklärung ist.
Die Gründe für diese Empfindsamkeit des Bürgertums liegt in der zerklüfteten politischen Situation, die keinen Nationalgeist aufkommen ließ. So war es eigentlich funktionslos und suchte Selbstbetätigung und Selbstbewußtsein auf moralisch-privatem Gebiet. Der Bürger verstand sich vor allem als Mensch und als standesloses Gefühlswesen. Da Standesunterschiede als belanglos dargestellt und die Darsteller aus Adel und Bürgertum gemischt waren, eroberte die Geistigkeit des Bürgertums auch andere Stände. Das Bürgertum suchte Gleichheit zu erlangen, indem es seine Moral als überlegen darstellte.
So ist der Standesunterschied anfangs kein Thema und Motiv in den Stücken, sowohl Adelige als auch Bürger sind gut und böse. Dies ändert sich erst nach 1770, z.B. bei "Emilia Galotti" (1772) und "Kabale und Liebe" (1784).
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