In Lessings "Emilia Galotti" geht es um die kritische Auseinandersetzung mit dem zunehmenden Zerfall des Adels und der Dagegenstellung des tugendhaften Bürgertums. Die Handlung dreht sich um einen engen Kern an Darstellern, angeführt von dem Prinzen und Emilia galotti. Emilia ist eine Bürgerliche und der Prinz, wie der Name schon sagt ein hoher Adeliger. Der Prinz hat sich, wie er sagt, in die bürgerliche Emilia verliebt, muss aber feststellen, dass sie an dem Tag an dem das Stück spielt, einen Anderen heiraten will. Er muss schnell handeln und erteilt so den Auftrag eines Attentats auf Emilias Verlobten. Danach lässt er Emilia gegen ihren Willen auf sein Schloss bringen. Das stück endet mit Emilias durch die Hand ihres Vaters.
Szene II,6 spielt im Hause der Galottis, am Morgen der Hochzeit zwischen Emilia und Graf Appiani. An dieser Stelle tritt Emilia das erste Mal direkt in dem Stück auf und somit wird die Szene zu einer wichtigen Stelle im Verlauf des Dramas.
Emilia war am Morgen ihrer Hochzeit, wie jeden Tag, zum beten in der Kirche, wurde aber an diesem Tag von dem Prinzen dort abgefangen, da er versuchen wollte mit Emilia zu sprechen. Die Szene beginnt als Emilia fluchtartig in das Haus kommt und dort ihre Mutter antrifft. Es entwickelt sich ein Gespräch indem Emilia ihrer Mutter von den Vorfällen in der Kirche berichtet.
Emilias erster Auftritt bringt einen deutlichen Eindruck von ihrem Charakter mit sich. Als sie die Szene betritt wirkt sie, wie die Regieanweisungen sagen, ängstlich und verwirrt. Dies wird auch in ihrer Sprache deutlich, sie fragt nach ob er ihr gefolgt sei, ohne vorher zu nenne wen sie meint, dieses Zusammenhanglose reden setzt sich auch im weiteren Verlauf des Szenenanfangs fort. Obwohl ihre Mutter sie fragt was mit ihr sei verneint sie erst die Antwort und beginnt dann wieder ohne Zusammenhänge Fragen zu stellen. Zum Beispiel in Zeile 15 "Was hab ich hören müssen? Und wo hab ich es hören müssen?". Dies zeigt das sie zuerst versucht selber Antworten auf die Verwirrung zu finden, die das Treffen mit dem Prinzen ausgelöst hat. Als sie dies aber nicht schafft wirft sie sich schutzsuchend in die Arme ihrer Mutter und erzählt ihr die ganzen Vorkommnisse des Morgens in der Kirche. Dabei erwähnt sie aber erst nicht, dass es der Prinz war, der sie aufgehalten hat. Dies berichtet sie erst als ihre Mutter diesbezüglich nachfragt. Man erkennt eine gewisse Schwäche der Emilia, auch in ihrer Erzählung. Sie war nicht in der Lage über die Bemerkungen und die Anwesenheit des Prinzen hinweg zu gehen, ihn zu ignorieren oder anderweitig zu reagieren. Viel mehr ergriff sie regelrecht die Flucht. Diese Schwäche wird auch später in der Szene noch deutlicher. Emilia wollte dem Graf von dem Vorfall erzählen, teilt dies auch ihrer Mutter mit. Diese widerspricht aber dem Vorhaben ihrer Tochter vehement und versteht es geschickt sie davon zu überzeugen, dass es nicht gut wäre ihm das zu erzählen. Als Emilia sagte, dass sie vorhatte dem Grafen immer Alles zu erzählen bezeichnet Claudia dies mit "Schwachheit. Verliebte Schwachheit!" auf Seite 32 Zeile 20. Daraufhin gesteht sich Emilia ein, dass sie keinen Willen gegen den ihrer Mutter hätte und nimmt somit ihre Entscheidung hin. Sie versucht nur ganz leicht zu protestieren und ihre Meinung zu vertreten, und lässt sich viel zu schnell beeinflussen. Nachdem diese Entscheidung Claudias von Emilia übernommen worden war fühlt Diese sich ganz leicht und befreit. Dies zeigt wie sehr sie von den Entscheidungen und Weisungen ihrer Mutter abhängig ist und wie wenig selbstständig sie ist. Das geht so weit, dass sie sich selbst als albernes, furchtsames Ding bezeichnet, was Claudia dann auch bestärkt. Dadurch dass Emilia sich immer wieder direkt mit Namen, also mit "meine Mutter" an Claudia wendet wird noch einmal verdeutlich wie sehr sie ihre Aufmerksamkeit und Hilf für ihr Leben braucht. Auch kommt sie in dieser Szene gar nicht auf den Gedanken, dass ihre Mutter vielleicht falsch liegen könnte, für sie ist es selbstverständlich, dass Claudia das richtige tut und ihr rät. Alles in einem macht sie einen sehr unsicheren, von ihrer Mutter als Vertrauensperson abhängigen, unselbstständigen und naiven Eindruck.
Aus dem Gespräch von Mutter und Tochter lassen sich auch einige Rückschlüsse auf die Familienverhältnisse der Galotti schließen. Zuerst einmal ist, wie bereits dargelegt die sehr dominante Stellung der Mutter gegenüber ihrer Tochter deutlich. Der Eigenwille des Kindes in der Familie wird größtmöglich unterbunden, um bestmöglichste Fortschritte für die Familie zu erreichen, durch eine konsequente Erziehung in diesem Sinne wird der Drang zur Eigeninitiative des Kindes bald durch eine Art inneren Zwang der Pflichterfüllung ersetzt. Dies wird bei Emilia sehr deutlich, da sie ihre eigenen Bedürfnisse, also sich Appiani mitzuteilen, unterdrückt um ihn nicht zu beunruhigen und somit sein Wohlgefallen zu riskieren. An dieser Stelle wird auch die enorme Wichtigkeit des Mannes in der Familienhierarchie deutlich. Vor allem Claudias Verhalten gibt dem Zuschauer wichtige Eindrücke in das Verhältnis zwischen dem Familienvater und seiner Frau Beziehungsweise seiner Tochter. Claudia ist heilfroh, dass Emilias Vater nichts von den Vorfällen in der Kirche mitbekommen hat und somit nicht mit diesen Dingen belastet wurde. Das gleiche gilt auch für Appiani, auch er soll nichts davon erfahren um nicht in irgendeiner Weise überzureagieren. Hier sieht man also, dass die Frau dafür da ist vermeintliche Banalitäten von ihrem Mann fern zu halten um seinen Kopf frei zu halten für wichtigere Sachen.
Meiner Meinung nach ist diese Szene sehr wichtig für den folgenden Verlauf des Dramas. Der Auftritt des Prinzens in der Kirche, der durch Emilias Erzählungen indirekt dargestellt ist, wird später noch Bedeutung bekommen. Auch wird dem Zuschauer ein deutlicher Einblick in das Leben der bürgerlichen Darsteller des Dramas gegeben. Im vorherigen Aufzug war der Focus auf den Adel gerichtet und die Bürger wurden nur indirekt erwähnt. Im zweiten Aufzug, zu dem ja auch diese Szene gehört ist es genau Anders herum. Die handelnden Darsteller sind Bürger und der Adel wir jetzt aus ihrer Sicht indirekt geschildert, das gibt dem Zuschauer eine breite Palette von Darstellungsweisen uns Aspekte über die Protagonisten und die Verhältnissen der damaligen Zeit in den einzelnen Ständen.
Ich denke, dass die Person der Emilia sehr kindlich naiv, und der Familie untertänig dargestellt wird. Dadurch wird schon der spätere Tod vorbereitet. Wäre sie mehr zu sich selbst orientiert könnte man vermuten, dass sie den Tod durch die väterliche Hand nicht so hingenommen hätte. Durch die dargestellte Wichtigkeit der Familie, die über allem steht, ist der Tod aber ein logischer Schluss für die Geschehnisse des Tages.
Heute hätte ein Drama mit ähnlicher Handlung, aber in moderner Zeit sicherlich ein anderes Ende gefunden. Allein schon wegen den vollkommen anders gehandhabten Erziehungsmethoden und Familienstellungen im Leben von jungen Menschen.
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