0. Vorwort
Da die Weimarer Zeit ein durch geschichtliche Ereignisse gebildeter Zeitraum ist, kann man sie zwar als Epoche bezeichnen, doch es gibt mehrere verschiedene literarische Strömungen, die in dieser Zeit ineinander übergehen. Der Expressionismus begann schon vor Beginn des ersten Weltkrieges und findet sein Ende etwa im Jahr 1922. Deshalb spielt er in der Literatur der Weimarer Republik nur eine untergeordnete Rolle. Dementsprechend kurz habe ich mich bei der Erörterung der allgemeinen Merkmale gefasst. Schon zu Beginn der Weimarer Republik hatte die Strömung der Neuen Sachlichkeit ihren Anfang und löste den Expressionismus als seine Gegenbewegung im Laufe mehrerer Jahre ab. Sie erstreckt sich über fast den gesamten Zeitraum und ist so mit der proletarisch-revolutionären Literatur eine der bedeutendsten Weimarer Stilrichtungen. Die proletarisch-revolutionäre Strömung mit ihrem kommunistischen Leitgedanken entwickelte sich annähernd parallel zu dieser. Noch bedeutend langsamer entwickelte sich die faschistische Literatur. Man kann die präfaschistische Literatur als eine Vorstufe der faschistischen Strömung zur Zeit der Weimarer Republik mit einigen spezifischen Eigenschaften ansehen. Mein Text-Beispiel, ein Auszug aus Hitlers "Mein Kampf", ist wahrscheinlich kein besonders typischer Text der präfaschistischen Literatur, doch das Werk an sich ist das bedeutendste präfaschistische Werk überhaupt und da es sich um ein heutzutage illegales Buch handelt ist es nicht möglich ohne Sondergenehmigung das gesamte Werk einzusehen, weshalb ich zwangsweise diesen Auszug interpretieren musste.
In die geschichtlichen Hintergründe habe ich bereits die Einflüsse auf die literarischen Entwicklungen sowie die Intentionen beziehungsweise Bestrebungen eingebettet und deshalb nicht noch einmal separat aufgeführt. Ebenso sind die Themen und Bestrebungen in die einzelnen Strömungen eingegliedert, da sie unter den verschiedenen Strömungen sehr differieren. Eine entscheidende Neuerung in der Literatur der Weimarer Republik war die Medienkonkurrenz. Diese habe ich separat dargestellt, weil sie unabhängig von der Strömung auf jegliche Literatur in dieser Zeit Einfluss hatte. Sie spielt vor allem in der weiteren Entwicklung der Literatur bis zur Gegenwart eine immer bedeutendere Rolle.
I. Einführung
Das Interesse an der Literatur im Zeitraum von 1918 bis 1932 - der Literatur der Weimarer Republik - ist in der jüngeren Vergangenheit stetig gewachsen. Man erhofft sich Antworten auf die Frage nach den Gründen des Untergangs dieses ersten Versuches einer Demokratie auf deutschem Boden. Sie soll vor allem Einblicke in die politischen Verhältnisse, die äußeren Lebensbedingungen sowie die weltanschauliche Position dieser Zeit geben. Noch vor einigen Jahren galt die Literatur der Weimarer Republik als weitgehend unerforscht. Dies hat einfache Gründe: nach dem Dritten Reich kam die Aufarbeitung der Literatur dieser Zeit nur zögernd in Gang. Einige Autoren der Zeit der Weimarer Republik zogen zwar verstärkt Aufmerksamkeit auf sich, die übrigen blieben jedoch so gut wie unberücksichtigt.
Die Literatur der Weimarer Republik begrenzt sich auf einen genau definierten Zeitraum. Dieser beginnt mit dem Ende des Ersten Weltkrieges 1918 und endet mit der Machtergreifung Adolf Hitlers im Jahr 1932. Trotz der Kürze dieser Epoche zeigte sich eine nie da gewesene Vielzahl an unterschiedlicher Literatur. Das, was Weimar ausmachte, hat auch wenig zu tun mit dem Mythos der Goldenen Zwanziger Jahre. Man hat nun erkannt, dass dieser Mythos vor allem einem Rechtfertigungsbedürfnis zu danken war, das die auf diese Zeit folgenden zwölf Jahre Nationalsozialismus am liebsten ungeschehen machen wollte und die notwendigen Anknüpfungspunkte für die Wiedergenesung des deutschen Geistes natürlicherweise am ehesten in den kulturellen Taten der Weimarer Ära fand. Das Besondere der Weimarer Zeit - politisch wie kulturell und sozial - liegt darin, dass sie eine Ära mit sehr vielen sich widersprechenden Eigenschaften war, dass sie nicht auf ein beherrschendes Charakteristikum eingeebnet werden kann, sondern ihre Stärke (in kultureller Hinsicht) und ihre Schwäche (in politischer Hinsicht) gerade in einer ungebändigten Vielfalt sich überkreuzender Eigenschaften lag. Die Kultur der Weimarer Republik war eine Schöpfung von Außenseitern, die von der Geschichte nur für einen kurzen Augenblick in den Mittelpunkt gerückt worden waren.
Die Autoren dieser Zeit fanden es selbst nicht besonders rühmenswert, Zeitgenosse dieser Epoche zu sein. Sie waren von erschreckendem Pessimismus geprägt. Was als die lebendige Frucht der zwanziger Jahre in die Literatur- und Kunstgeschichten unserer Tage eingegangen ist, das wurde von vielen sensiblen Zeitgenossen gerade nicht als produktiv, sondern als Ausdruck krisenhafter Zuspitzung, als Symptom des Zerfalls, als Verlust des Eigentlichen, des Maßes und der Mitte angesehen. Kein Zweifel also, dass die für die Weimarer Kultur so produktive Spannung der Extreme in vieler Hinsicht ein Kind der Sorge, der Angst, des Zynismus und der Verzweiflung war, nicht ein Produkt fröhlich schaffender liberaler Konkurrenz des Geistes.
II. Die geschichtlichen Hintergründe
1. Die Ursachen
Als der erste Weltkrieg ausbrach, "vergaßen" die Deutschen ihre gesellschaftlichen und politischen Probleme - sie waren erfüllt vom Nationalstolz. Selbst die Parteien stellten ihre Auseinandersetzungen zurück. Das beweist unter anderem die Genehmigung der Aufnahme von Kriegskrediten durch die eigentlich oppositionelle SPD. Doch als der Krieg sich immer länger hinzog, die Ernährungssituation immer schlechter wurde und sich an der Front eine "Patt-Situation" einstellte, wachte das Volk auf.
Im Juli 1917 brachen erste Streiks aus. Es wurde mit Hilfe der SPD versucht, eine Friedensresolution zu schaffen, welche jedoch von der Obersten Heeresleitung unterbunden wurde. Am 28. 10. 1918 verabschiedete der damalige Kanzler, Prinz Max von Baden, eine Verfassungsreform, welche die Macht des Kaisers weitgehend einschränkte. Das Militär unterstützte diese neue Regierung jedoch nicht. Das Flottenkommando befahl - ohne Wissen der Regierung - den Schiffen, nochmals auszurücken. Dadurch kam es zu dem sogenannten Kieler Matrosenaufstand, denn die Matrosen sahen diesen sinnlosen Einsatz kurz vor Ende des Krieges nicht ein.
Diese Revolution breitete sich schnell über ganz Deutschland aus, das kriegsmüde Volk forderte eine Beendigung des Krieges und das Abdanken des Kaisers. Dieser zögerte allerdings und so kam es am 3. November 1918 zum Ausbruch revolutionärer Bewegungen. Starken Einfluss dabei hatten die Linksradikalen mit Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg an ihrer Spitze. Diese planten die Errichtung einer auf Arbeiter- und Soldatenräte gestützten Diktatur des Proletariats.
Der Kaiser ließ sich jedoch nicht zu einem Rücktritt bewegen, so dass Max von Baden in eigener Verantwortung verkündete, dass Wilhelm abgedankt hätte und nach Holland ins Exil ginge. Das Amt des Kanzlers übertrug er Friedrich Ebert, dem Vorsitzenden der SPD.
Am 9. November gegen 1400 Uhr rief Phillip Scheidemann die Republik aus, zwei Stunden später verkündete Karl Liebknecht unabhängig von ihm in einer anderen Stadt die sozialistische Republik. Um den Arbeiter und Soldatenräten zuvorzukommen und die Bildung einer Räterepublik zu verhindern, bildete Ebert den Rat der Volksbeauftragten und setzte Wahlen zur Nationalversammlung an, welche am 19. Januar stattfanden.
Die SPD, das Zentrum sowie die Deutsche Demokratische Partei bildeten mit 76,1 Prozent der Wählerstimmen die Weimarer Koalition. Die erste Sitzung fand in Weimar statt, da man sich dem Druck der Straße in Berlin entziehen wollte. Daher bekam die Republik auch ihren Namen.
Während dieser Sitzung wurde Ebert zum Reichspräsidenten gewählt und Phillip Scheidemann mit der Bildung einer Regierung beauftragt, welche sofort mit den Verfassungsberatungen begann. Am 31. Juli 1919 war es soweit: Die Verfassung wurde von der Nationalversammlung bestätigt und am 11. August durch die Unterschrift des Reichspräsidenten wirksam. Sie enthielt alles, was Liberale und Demokraten seit je gefordert hatten: einen umfassenden Grundrechtskatalog, eine von der Reichstagsmehrheit abhängige parlamentarische Regierung und ein voll demokratisches allgemeines Wahlrecht auch für Frauen. Mit dem parlamentarischen System waren Elemente eines Präsidialsystems nach amerikanischem Muster verbunden. Der Reichspräsident wurde für sieben Jahre gewählt und war mit großen Vollmachten ausgestattet: Artikel 48, mit dem er - wenn die öffentliche Ordnung und Sicherheit nicht mehr gewährleistet waren - die Verfassung außer Kraft setzten konnte und mit Hilfe von Notverordnungen die Möglichkeit hatte, ohne Zustimmung des Reichstags zu regieren. Gerade das trat später ein, und das Fehlen jeder Kontrolle über die Entscheidungen des Präsidenten war einer der Faktoren, die die Weimarer Republik zugrunde richteten.
2. Politik und Gesellschaft in der Weimarer Republik
Die politische Szenerie der Weimarer Republik war durch einen ungewöhnlich breiten Fächer politischer Kräfte bestimmt. Fertig werden musste die deutsche Nation zunächst mit der Tatsache eines verlorenen Krieges, mit dem Umstand, dass gerade die politischen Gruppen, die in der vorausgegangenen kaiserlichen Ära zu geächteten Opposition gehört hatten, bei der ersten Wahl zur Bildung der Nationalversammlung Anfang 1919 die Mehrheit der Stimmen für sich gewinnen konnte und vor allem mit der Tatsache, dass die verhassten Sozialdemokraten, die man als die ärgsten Feinde des Vaterlandes verleumdet hatte, nun die stärkste Partei des Volkes geworden waren, das einer der ihren, Friedrich Ebert, zum neuen Staatsoberhaupt aufrückte, dass Regierungen gebildet wurden, in denen Kanzler und Minister Kreisen entstammten, denen im Kaiserreich jede aktive Mitgestaltung am politischen und sozialen Leben verwehrt geblieben war. Doch die demokratische Mehrheit der ursprünglichen Weimarer Koalition aus Mehrheitssozialdemokraten, dem katholischen Zentrum und den fortschrittlichen Liberalen geriet bereits 1920 in die Minderheit.
Mit politischen Gruppen, die ihren Staat entweder nicht recht mochten - ihn darum nur lau verteidigten und schützten - und mit oppositionellen Kräften, die ihn nicht nur verbal, sondern auch unter Einsatz von Mitteln der Gewalt, die zeitweilig Bürgerkriegsähnliche Zustände hervorriefen, bekämpften, war es in der Tat nicht leicht, einen Staat zu führen. Schon die kurze Lebensdauer der Regierungen machte es schwer, das Vertrauen des Volkes in die Effizienz und das politische Vermögen eines parlamentarischen Regierungssystems zu wecken. Die Politik schien zu einem absurden Spiel zwischen untereinander uneins gewordenen Kräften zu entarten, das letzten Endes allein den Akteuren selbst - nicht aber dem Staat und seinen Bürgern - Nutzen brachte. So machte sich in einem großen Teil der politischen Parteien und vor allem im Volke selbst ein wachsender Zweifel an der Lebensfähigkeit und Brauchbarkeit dieser Art von Demokratie breit. Eine falsche Vorstellung von der politischen Betätigungsfreiheit aller Gruppen lähmte darüber hinaus die Verteidigungsbereitschaft des Systems angesichts seiner immer akuter werdenden Krise und Bedrohung.
Die politische Krise der Weimarer Republik war eine Krise der Autorität. Die demokratischen Kräfte hatten nicht genügend Spielraum und Zeit durch eigene Erfolge Autorität zu gewinnen und Legitimität zu erringen. Die Gegner der Weimarer Republik - vor allem die von rechts - taten alles, um dem verhassten System zu schaden und es nicht Wurzeln schlagen zu lassen. Sie wurden darin vielfach durch den konservativen Beamten- und Justizapparat unterstützt.
3. Analogien in der Kultur
Der Vielfalt der politischen Gruppierungen stand die Vielfältigkeit, Widersprüchlichkeit der Artikulationen des geistigen und kulturellen Lebens in nichts nach, eher im Gegenteil. Auch hier gab es alles, was das 19. und 20. Jahrhundert an denkerischen und schöpferischen Möglichkeiten entfaltet hatte. Bestimmend für die Neuartigkeit der Weimarer Situation war auch in diesem Bereich, dass die beherrschende Wilhelminische Kultur ihren Führungsanspruch hatte preisgeben müssen. So gab es mythisches Philosophieren neben positivistischem Rationalismus, Marxismus neben Organizismus, juristischen Positivismus neben politisch orientierter Jurisprudenz und so weiter. Zweifellos war die Fülle, der Reichtum, die schöpferische Breite des geistigen Lebens der Weimarer Jahre ein Ausfluss der Vielfalt an Meinungen, Strömungen, Richtungen und Tendenzen. Es lässt sich zwar nachweisen, dass fast alle neuen Stilelemente in Literatur und Kunst schon vor Beginn der Weimarer Republik auftauchten, aber erst die Kriegszeit und die Republik konnten ihnen dank des freien Raums, den sie allen geistigen Bestrebungen gab, zu vollerer Entfaltung verhelfen. Die Lebendigkeit, der Reichtum und das überdurchschnittliche Niveau des kulturellen Lebens der Weimarer Republik erklären sich vornehmlich aus der Spannung, die aus unvereinbaren, vorübergehend gleichwohl produktiven Gegensätzen herrührt. Woran die Politik notwendig scheitern musste, weil man zum Regieren einer Nation die Zustimmung ihrer wichtigen politischen und sozialen Gruppen braucht.
4. Die Folgen
Zwar zeichnete sich Ende 1932 durch rigorose Sparmaßnahmen der Regierung ein allmähliches Ende der Wirtschaftskrise ab, aber die Situation war emotional so aufgeheizt, dass Parolen stärker als Argumente waren. Die Rechten sahen die gesamte Schuld in den Politikern, die sich den Forderungen der Siegermächte im Versailler Vertrag gebeugt hätten. Hindenburg ließ sich von seinen Beratern überreden und ernannte am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler. Er glaubte noch, dass Hitler durch seine konservativen Regierungspartner in Schach gehalten werden könne. Dies bewahrheitete sich nicht. Mit Hilfe des Ermächtigungsgesetzes löste Hitler alle demokratischen Parteien auf - die NSDAP wurde zur einzigen Staatspartei. Politische Gegner und "Nicht-Arier" wurden entlassen und sehr bald verfolgt.
Der politischen Gleichschaltung erfolgte die kulturelle. Am 10. Mai 1933 wurden öffentlich Bücher jener Autoren verbrannt, denen man "undeutschen Geist" vorwarf. Es waren gerade die Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die der deutschen Literatur internationales Ansehen verschafft hatten. Viele Künstler und Wissenschaftler emigrierten ins Ausland, um der Verfolgung zu entgehen.
III. Der Expressionismus nach dem I. Weltkrieg
Im Mittelpunkt der Literatur dieser Zeit stand die direkte Auseinandersetzung mit den Ergebnissen des Krieges, mit der Revolution, dem Beginn einer neuen Epoche der Weltgeschichte und dem sich in Deutschland wieder festigenden Kapitalismus. Es fand ein Prozess der Differenzierung statt, in dem das künstlerisch Neue sich in enger Abhängigkeit von geschichtlichen Entscheidungen herausbildet. In der Lyrik wurde versucht, das Individuum in seinem Verhältnis zum Ganzen der Menschheit und der Welt zu fassen. Sie zielte vielfach utopisch auf eine Weltwende und schien insofern darauf vorbereitet, die neue Wirklichkeit zu meistern. Die häufigsten Leitworte waren und blieben "Mensch" und "Gott".
Der Glaube - den viele Expressionisten hegten -, "dass aus den Trümmern durch den Willen aller sofort das Paradies erblühen müßte"1, war durch den Verlauf der deutschen Nachkriegszeit auf bittere Weise widerlegt worden. Mit dem Menschheitspathos und der Verbrüderungshoffnung verlor sich auch die bislang hymnische Redeweise. Nüchterne oder zumindest gedämpfte, elegische und von Resignation geprägte Aussagen dominierten. Die kritisch-realistischen Ansätze lagen jedoch mit der Neigung zu pessimistischer Verabsolutierung im Streit. Der radikale Zweifel der Dichter an echter Handlungsmöglichkeit des Menschen drängte seine Literatur in die Richtung des Absurden. Die Apostrophierung Gottes - welche die Autoren früher als Gelegenheit wahrnahmen, an den Menschen hohe Forderungen zu stellen - dient jetzt überwiegend als Mittel zur Verkleinerung des Menschen und zur entschiedenen Irrationalisierung alles Lebens. Der Bezug auf das Volk äußert sich nun mehr in der Hervorhebung des einzelnen einfachen Lebens.
Eine religiöse Grundhaltung vieler Schriftsteller hatte es in der vorrevolutionären Phase des Expressionismus gestattet, in der Beziehung des Ichs zur Umwelt tröstliche Möglichkeiten zu erkennen. Deshalb durchlebten sie weniger tief die Krise des spätbürgerlichen Individuums und verarbeiteten auf religiöser Grundlage den Verlust an Weltneuerungshoffnung leichter, wobei sie sich vom politischen Engagement entfernten. Andere dagegen sahen das eigene Ich schon seit 1912 von allen sinnvollen Bindungen weitgehend losgerissen. Das wirkte sich auch während des Krieges auf ihre politische Kritik und die Art ihrer Utopiebildung aus.
Else Lasker-Schüler: "Georg Trakl"
Das Gedicht "Georg Trakl" von Else Lasker-Schüler gehört zur Epoche des Expressionismus. Das kennzeichnende Merkmal ist seine Kürze. Es beinhaltet nur zwanzig Worte. Wie der Titel bereits verrät, ist die Person Georg Trakl der Schwerpunkt des Gedichtes. Georg Trakl war neben Else Lasker-Schüler und anderen Schriftstellern einer der bedeutendsten Dichter des Expressionismus. Im ersten Weltkrieg war er als Militärapotheker an der Front. Nach einigen erfolglosen Selbstmordversuchen starb er im November 1914 an einer Überdosis Kokain. Sein Tod war die Intention Lasker-Schülers ihm dieses und ein weiteres Gedicht - "Mein Lied (Meinem gefallenen, lieben Krieger Georg Trakl)" - zu widmen.
Es scheint, als hätte Else Lasker-Schüler in kürzester Form ihre gegenwärtigen Gedanken - die jenen Sachen, welche sie gerade sehr beschäftigen - aufgeschrieben. Das Gedicht besteht aus vier Zeilen, wobei sich jede zweite jeweils auf die vorangegangene bezieht. In dem ersten Vers wird die Grundsituation geklärt. Hier findet sich ein erstes allgemeines Merkmal dieser Literatur: die Beschäftigung mit dem ersten Weltkrieg und dessen Ergebnisse. Die zweite Zeile erläutert die Umstände des Todes. Das Fällen "von eigener Hand" ist eine Metapher für den Selbstmord - er brachte sich mit einer Überdosis Kokain um. Der darauffolgende Vers kann als Kritik an den Umständen dieser Zeit gedeutet werden. Ein weiteres Merkmal - die Position des Individuums in der Welt - wird dargestellt. In der letzten Zeile beschreibt Else Lasker-Schüler - als lyrisches Ich - ihre augenblickliche Situation: das Vermissen der Person Georg Trakl, womit auch die Ernüchterung, die Resignation und der kritische Realismus dieser Zeit zum Ausdruck kommen, was auch die sachlich-prägnante äußere Form zeigt.
Obwohl das Gedicht "Georg Trakl" von Else Lasker-Schüler nur sehr kurzgefasst ist, enthält es alle grundsätzlichen Merkmale des Expressionismus der Zeit nach dem ersten Weltkrieg. Es besticht durch seine Trefflichkeit und Bündigkeit im ganzen, sowie seine Objektivität, womit sich auch schon die Tendenz zur Neuen Sachlichkeit andeutet.
IV. Die Neue Sachlichkeit
Die literarische Strömung der Neuen Sachlichkeit fand ihren Anfang etwa 1920 - indem sie allmählich den Expressionismus als seine Gegenbewegung ablöste - und endete formal mit der Machtergreifung Hitlers. Es ist jedoch keinesfalls so, dass die Machtübernahme der Nationalsozialisten und ihre Kulturregelung ab 1933 eine prinzipiell neue Lage schafften.
Die Neue Sachlichkeit vollzieht einen radikalen Bruch mit dem im 19. Jahrhundert vorherrschenden Bild vom Menschen als Gefühlswesen und Individuum. Aber nicht immer bedeutete die Neue Sachlichkeit einen wirklichen Bruch mit der Tradition des Irrationalismus. Kästners Fabian zum Beispiel ist zwar vom Thema her "sachlich" (die wirtschaftliche, politische und "moralische" Krise wird durchleuchtet), aber in dem Maße, wie der Autor die Katastrophe als unabwendbar, dem rationalen Zugriff entzogen darstellt, steht auch dieser Roman, trotz seiner sozialkritischen Aussage, in einer Entwicklung, die dem bürgerlichen Irrationalismus verpflichtet ist. Die "Sachlichkeit", die Abwendung vom Emotionalen und von der realitätsfeindlichen Tradition des Ästhetizismus, führte zu einer facettenreichen, ja widersprüchlichen Darstellung der Sache, der Wirklichkeit. Denn die Vorstellung von "Wirklichkeit", der man sich nun erneut zuwandte, hatte in den letzten Jahren eine so weitgehende Veränderung erfahren (durch Freuds Psychoanalyse, Einsteins Relativitätstheorie, durch die vom bloßen "Sein" ausgehende Existenzialphilosophie sowie durch die Verbreitung marxistischer Anschauungen), dass sich Literatur, die sich mit ihr auseinandersetzen wollte, notgedrungener Weise durch besondere Vielfältigkeit, je nach Standpunkt und Zielsetzung des Autors, auszeichnete. Die neue, vielschichtige Auffassung von Wirklichkeit zeigte sich wohl am unmittelbarsten in Döblins Berlin Alexanderplatz.
Die Autoren der Neuen Sachlichkeit entwerfen "sachliche" Typen, die zwar Gefühle haben, aber sie kaum artikulieren dürfen. So entstehen Romane, Erzählungen, Dramen und Gedichte, in denen die Wirklichkeit nüchtern und objektiv dargestellt werden - sie werden nicht dadurch verfälscht, dass sie gleichsam durch das fühlende Herz eines individuellen Helden wahrgenommen werden. Der Wald wird als Wald dargestellt und nicht als Auslöser innerer Erlebnisse (z. B. Liebe oder Selbsterkenntnis).
Die Literaten fühlen sich an ihre Zeit gebunden und beschreiben sie in ihren Texten. Es geht ihnen um die Darstellung der wirtschaftlich-sozialen Realität und der Befindlichkeit einer ganzen Generation.
Sie schreiben über die Nachwirkungen des Ersten Weltkrieges (Zweig, Roth), über die Industrie der Weimarer Republik (Jung, Reger), über "die Angestellten" (Kracauer, Keun, Fallada, Kästner, Fleißer) und ihre Lebensweise. Sie bejahen das mechanische Zeitalter, den technischen Fortschritt und zeigen Menschen, die mit der fortschreitenden Industrialisierung in Einklang leben - oder an ihr zerbrechen.
Die Sprache der Neuen Sachlichkeit ist eine Alltagssprache, leicht verständlich und für jeden zugänglich. Es ist eine Sprache, die dem Verstehen der dargestellten (literarischen) Wirklichkeit nicht im Wege steht. Die Werke zielen auf Massenwirksamkeit und bieten den Menschen in der Weimarer Republik längst überfällige Leitbilder für ein Leben in der modernen Massen- und Mediengesellschaft.
In der Weimarer Republik hatte zum ersten mal in der deutschen Geschichte eine Regierungsform die Mehrheit einer literarischen Öffentlichkeit auf ihrer Seite. Es war eine kritische Sympathie, denn man befürchtete, dass die allzu große Kompromissbereitschaft der Regierung gegenüber dem konservativen Militär und dem nationalistischen Rechtsblock den demokratischen Prozess behindern oder gar vereiteln könnte.
Bei der Strömung der Neuen Sachlichkeit, aber auch bei anderen Gruppierungen - zum Beispiel den nationalliberal, konservativ oder christlich Denkenden -, stellt man in der ersten Hälfte der 20er Jahre eine schrittweise Aussöhnung mit westlich-parlamentarischen Vorstellungen fest, die es ermöglichten, dass sie als "Vernunftrepublikaner" (Friedrich Meinecke) die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen, die der Sturz der wilhelminischen Monarchie bewirkt hatte, akzeptieren und die Republik als einen Schritt zu einer Gesellschaftsverfassung hin begriffen, wie sie der sozialen und politischen Situation im hochindustrialisierten Zeitalter angemessen war. Dass der Weg zu einer Bejahung der demokratischen Prinzipien bisweilen eher gewaltsam verlief und die Veränderung der Denkpositionen aufgesetzt blieb, lässt sich besonders deutlich an Max Webers (1864-1920) Spätschriften ablesen. Wie Hofmannsthal und Borchardt suchte Weber im Blick auf das 19. Jahrhundert nach Lösungsmöglichkeiten für die aktuellen Gesellschaftsprobleme, doch war er aufgrund seiner analytischen Fähigkeiten als Soziologe und Kulturphilosoph für eine solche Aufgabe deutlich besser ausgestattet als die Künstler des "alten" Konservatismus. In der Deutschen Demokratischen Partei setzte er sich für eine Begrenzung der Parlaments- und Parteienmacht und auch für Elemente einer plebiszitären Präsidialherrschaft ein.
Auch Ernst Troeltsch (1865-1923) warnte in seinem Vortragszyklus Der Historismus und seine Überwindung (geschrieben 1920, veröffentlicht 1924) vor einem Ausweichen in unzeitgemäße Totalitätsvorstellungen: "Es liegt zunächst doch klar zutage, dass in jenen sehnsüchtigen Verherrlichungen des uns fehlenden Gemeingeistes viel sentimentale Phantastik und Schwäche des Willens, viel Rückwärts- und Vorwärtsromantik enthalten ist." Was er unter dem Leitbegriff "Kultursynthese" vorschlug, war der Versuch, den Widerstreit von christlichem Normaldenken und der Einsicht in die durch den historischen Wandel bedingte Relativierung des Normativen zu überwinden. In der konkreten Nachkriegssituation bedeutete dies die Bereitschaft, sich zur Republik zu bekennen (wie dies Troeltsch bereits im Dezember 1918 in seinem Aufsatz Die Deutsche Demokratie unternahm) und zugleich die nachdrückliche Forderung nach Anerkennung überzeitlicher ethischer Normen im Staat.
Vernunftrepublikanisch dachte auch Troeltsch' Freund Friedlich Meinecke (1862-1954): "Wir wurden Demokraten, weil wir uns klar machte, dass auf keinem anderen Wege die nationale Volksgemeinschaft und zugleich die lebensfähigen aristokratischen Werte unserer Geschichte würden erhalten werden können" (aus Meineckes Einleitung zu den Spektator-Briefen). Darin war indirekt sein politisches Programm enthalten: Stärkung der Exekutive und Bewahrung des im Kaiserreich Bewehrten vor einem vorschnellen Aussondern. Im vernunftrepublikanischen Denken war das Akzeptieren der sich zunehmend verfestigenden Verhältnisse nicht zu übersehen. Insofern stellte es den kulturphilosophischen Ausgangspunkt seiner Einstellung dar. Der Begriff "Neue Sachlichkeit" war 1925 von Gustav Friedrich Hartlaub für eine Kunstausstellung "realistischer" junger Maler in Mannheim verwendet worden und setzte sich allgemein durch zur Bezeichnung der Rückkehr zur Nüchternheit nach dem expressionistischen Sturm. Eine Reduktion der Neuen Sachlichkeit auf eine ernüchterte Gegenbewegung zum emphatischen Expressionismus greift jedoch zu kurz. Die unter dem Begriff "Neue Sachlichkeit" zusammengefassten Tendenzen hatten durchaus verschiedene Begründungen. Die sozialistischen Künstler verstanden darunter etwas anderes als die bürgerliche Mitte. Für die Marxisten war es mehr als nur eine wirklichkeitsnahe Beschreiben; es sollte gleichzeitig auch ein Aufdecken der bestimmenden Gesellschaftsprozesse sein. Gemeinsam war aber allen Richtungen eine gewisse Nüchternheit in der Bestandsaufnahme der Fakten.
Die nicht zu übersehenden bejahenden Züge einer Theorie der Neuen Sachlichkeit, die den Kulturbetrieb der 20er Jahre positiv als Ausdruck zunehmender gesellschaftlicher Stabilisierung begriff und sich zugleich den aus Amerika kommenden Tendenzen in der Wirtschaft (industrielle Rationalisierung und Kommerzialisierung) anpasste, sollte jedoch nicht vergessen lassen, dass die Tendenzen, die Kunst zu funktionalisieren und dabei freie Form- und Sprachexperimente des Expressionismus in eine prorepublikanische Kunst einzubinden, in den späteren 20er Jahren besonders wirksam waren.
Ein zentrales Problem in den Künsten seit der Mitte der 20er Jahre, das in der Realismus-Debatte und auch in den speziellen Realismusvorstellungen einzelner Schriftsteller (beispielsweise im "Neuen Naturalismus" bei Döblin oder im "erweiterten Realismus" bei Broch) immer wieder aufgegriffen wurde, war die Frage, wie man zugleich der Aufgabe als Künstler in der Massendemokratie und doch auch den Anspruch, die erfahrene komplexe Wirklichkeit in einer angemessenen, historisch richtigen Darstellung zu verarbeiten, erfüllen konnte. Massenwirksamkeit ohne harmonisierende Allgemeinheit, Einsatz für die Republik ohne kritiklose Stabilisierung des "Amerikanismus" in Wirtschaft und Gesellschaft - diese Aufgabe beschäftigte jene Künstler, die die philosophischen, wissenschaftlichen und politischen Tendenzen in der Weimarer Republik genau beobachteten. Sie mussten freilich lernen, dass die dafür am besten geeigneten, von der bildungsbürgerlichen Tradition unbelasteten Vermittlungsformen (Film, Presse und Rundfunk) sich ihren Zielen weitgehend verschlossen, sodass sie weiterhin auf traditionelle Möglichkeiten (Buch und Theater) verwiesen blieben. Trotzdem übernahmen die neuen Medien Hörfunk und Tonfilm unweigerlich eine wichtige Aufgabe in der Literaturvermittlung neben Buchdruck und Journalismus und veränderten langfristig das Rezeptionsverhalten.
Peter Huchel: "Späte Zeit"
Das Gedicht "Späte Zeit" von Peter Huchel gehört zur Literatur der Weimarer Republik und ist ein typisches Gedicht der Neuen Sachlichkeit. Peter Huchel wurde 1903 geboren und erlebte somit den ersten Weltkrieg zwar sehr bewusst aber nicht an der Front. Nach dem Krieg beteiligte er sich am Kapp-Putsch (ein rechtsextremistischer gescheiterter Putschversuch gegen die Weimarer Republik) und wurde dabei verwundet. Daraufhin änderte er seine politische Haltung grundsätzlich und wandte sich vom Rechtsextremismus ab. Die meisten seiner Werke sind sehr Landschafts- und Naturbezogen, doch die Natur wird nicht romantisch dargestellt.
Peter Huchel untergliederte dieses Gedicht in vier Strophen. Die erste besteht aus vier Versen, die zweite aus drei und die letzten beiden aus je zwei Versen. In jeder Strophe wird eine beobachtete Erscheinung in der Natur angeführt. Alle Erscheinungen werden darauffolgend mit dem Krieg in Verbindung gebracht. Pro Strophe wird eine in der Natur beobachtete Begebenheit genannt und mit einer im Krieg vorkommenden assoziiert.
Die trockene Gefühllosigkeit kommt sehr deutlich zum Ausdruck. Es werden keine Gedanken oder Empfindungen des lyrischen Ichs genau geschildert, sie werden aber auch nicht außer Acht gelassen. Zumindest werden die Assoziationen zu den wahrgenommenen Tatsachen kurz genannt. Hiermit kommt auch die differenzielle Realitäts-Wahrnehmung, mit der sich die Literatur der Neuen Sachlichkeit besonders intensiv auseinander setzt, zum Ausdruck.
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