Die Judenbuche
In einem westfälischen Dorf kommt Friedrich Mergel als Sohn eines Halbmeiers 1738 zur Welt. Der Vater ist ein Trinker, dessen erste Frau ihn nach einer Woche verlassen hat, und so wächst Friedrich in verwahrlosten Verhältnissen auf, denn Margreth, seine Mutter, hat sich gegen Mergels Art nicht durchsetzen können. In Friedrichs neuntem Lebensjahr wird sein Vater tot im nahegelegenen Brederholz aufgefunden. Von da an beginnt der stille, verschlossene Friedrich sich unter dem Einfluß seines Onkels Simon Semmler zu einem der Anführer der Dorfjugend zu entwickeln, da er an Kraft, Tapferkeit und Rauflust die meisten überbietet. Er beginnt eine Freundschaft mit dem unehelichen Johannes Niemand, der - fast ein Doppelgänger - zu seinem ständigen Begleiter wird, aber einen stillen, Friedrichs früherem Wesen ähnelnden Charakter hat.
Als eine berüchtigte Bande von Holzfrevlern in der Gegend ihr Unwesen treibt, wird der Oberförster Brandis mit einer Axt erschlagen. Friedrich wird verdächtigt, da er kurz vorher eine Auseinandersetzung mit Brandis hatte, kann aber seine Unschuld beweisen. Der Mord bleibt ungeklärt. Vier Jahre später wird Friedrich vom Juden Aaron in der Öffentlichkeit an zehn Taler, die er ihm noch schuldig sei, erinnert. Friedrich fühlt sich gedemütigt. Als der Jude im Brederholz erschlagen wird, verschwindet zunächst Friedrich und wenige Tage darauf Johannes Niemand. Die Juden aus der Gegend kaufen die Buche, unter der Aaron gefunden wurde, und hauen als Inschrift ein: »Wenn du dich diesem Orte nahest, so wird es dir ergehen, wie du mir getan hast.« Friedrich kann der Mord durch seine Abwesenheit nicht nachgewiesen werden, später bringt das Geständnis eines anderen Juden kurz vor dem Freitod Zweifel in die Angelegenheit. 28 Jahre später kommt ein Fremder ins Dorf. Es ist Johannes Niemand, der aus der Türkei zurückkehrt, wo er 26 Jahre in Sklaverei gelebt hat. Friedrich verlor er im Krieg aus den Augen. Er wird im Dorf aufgenommen und verdient mit Löffelschnitzen sein Brot; eines Tages findet man ihn erhängt an der Judenbuche. Als er hinabgetragen wird, erkennt ihn der Gutsherr an einer Narbe als Friedrich Merge
Kommentar
Erstmal ist die Judenbuche eine spannende Geschichte, die auch jetzt noch angenehm zu lesen ist. Manches wirkt schon etwas sehr romantisch, wie die Beschreibung der Gegend. Und an manchen Stellen kommen Ansichten der Droste zum Vorschein, die wohl etwas angestaubt sind. Aber die eigentliche Geschichte ist in klarer Sprache gut erzählt, anschaulich, mit Dialogen und dramatisch zugespitzt.
Obwohl die Geschichte im Stile einer Chronik ganz klar erzählt wird, bleibt die ganze Geschichte absichtsvoll verdunkelt und rätselhaft. Man kann annehmen, dass die Hauptperson, die sich zum Schluss erhängt, auch wie in der historischen Vorlage der Mörder des Juden ist. Das würde auch am meisten Sinn machen. Aber ganz sicher kann man nicht sein. Da gibt es das Geständnis des Lumpenmoises. Da ist auch die nicht absolut sichere Identifizierung des erhängten Selbstmörders. Andere Rätsel, die nicht ganz aufgelöst werden sind: Der Mord am Förster Brandis, die mögliche Täterschaft des Simon Semmler, die zwielichtigen Geschäfte des Simon Semmler, die Herkunft des Johannes Niemand, das Motiv der Margreth zur Heirat mit dem Hermann Mergel. Überall gibt es Andeutungen, die eine bestimmte Sichtweise nahelegen, aber dann wird immer wieder bewußt ein Körnchen Zweifel gesäht. Die Droste macht ein Spiel mit Sein und Schein.
Wichtig erscheint auch die Doppelgängerfigur Johannes Niemand. Er wirkt wie ein anderes Ich des Friedrich Mergel. Am Anfang verwechselt Friedrichs Mutter sogar den Johannes mit ihrem Sohn. Wenn Friedrich hochmütig ist, erscheint in Johannes der gegenteilige Charakterzug. Die Hauptperson der Novelle ist eigentlich die Symbiose der beiden Figuren Friedrich und Johannes.
Bei einem Kriminalfall wäre zu erwarten, dass das formale Recht, das durch eine Staatsgewalt ausgeübt wird, eine wichtige Rolle spielt. Das ist aber hier nicht der Fall, die Autoritäten sind schwach und können die Kriminalfälle nicht aufklären und sühnen. Dieses äußere Recht ist am Schauplatz der Novelle schon lange gestört. Der Gutsbesitzer, der die erste Instanz der Gerichtsbarkeit bildete, handelte nach seiner redlichen Einsicht. Die bäuerliche Bevölkerung handelte nach Gewohnheitsrecht. Zum Schluß wird der Mord an Aaron dann doch durch den Selbstmord des Niemand-Mergel gesühnt. Es mag sein, dass den Täter dabei sein schlechtes Gewissen trieb. Aber die Droste will uns wohl sagen, dass nach einem ernsthaften Rechtsbruch, das Recht sich doch Wirksamkeit verschafft, wie auch immer, auch wenn die Gerichte dazu nicht in der Lage sind.
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