Die gesellschaftliche Stellung von Frauen im 19. Jahrhundert In den Romanen ,Madame Bovary' von Gustave Flaubert und ,Tess von den d'Urbervilles' von Thomas Hardy werden die Schicksale von zwei Frauen beschrieben. Beide Romane enden mit dem Tod der Romanheldin. Ich habe das Thema gewählt, da beide Romane zu einer Zeit spielen, in der die Frau wenig Einfluss auf ihr Leben hatte. Zwischen dem Geschehen beider Romane liegt ein ungefährer Zeitraum von 50 Jahren. Die Handlung spielt in verschiedenen Ländern in verschiedenen Gesellschaftsschichten.
In diesem Aufsatz werde ich den Unterschied im Leben beider Frauen herausarbeiten. Der Roman ,Madame Bovary' spielt zum Anfang des 19ten Jahrhunderts in der Provinz Frankreichs in mittlerer Gesellschaftsschicht. ,Tess von den d'Urbervilles' ist ein Roman, der Ende des 19ten Jahrhunderts in der Provinz Englands in unterster Gesellschaftsschicht spielt. Nun stellt sich die Frage, ob das Leben von Emma und Tess Schicksal war, oder ob die beiden Frauen Einfluss auf die Geschehnisse nehmen konnten. Um dies zu beantworten, werde ich die einzelne Lebensabschnitten der Frauen vergleichen: Die Jugendzeit Emma wächst in einer nicht sehr familiären Umgebung auf. Als sie 13 Jahre alt ist, wird sie von ihren Eltern ins Kloster geschickt.
Dort wird sie nicht nur gottesfürchtig, sondern auch weltfremd erzogen. Der von ihr als extrem langweilig empfundene Lebensalltag veranlasst sie, verschiedene Liebesromane zu lesen. Wie in ihren Büchern beschrieben, glaubt sie an eine prunkvolle und glückliche Zukunft. Diese Hoffnung auf ein besseres Leben beeinflusst fortan ihre Handlung. (S. 213: ,Wie glücklich war sie damals gewesen! Wie frei! Wie voller Hoffnung! Wie überreich an Illusionen!') Tess wächst in sehr viel ärmeren Verhältnissen auf.
Sie muss schon früh mit der Schule aufhören, um ihre Familie zu unterstützen. Als ihr Vater zufällig erfährt, dass er adliger Abstammung sei, vernachlässigt er seine Arbeit. Tess versucht, seine Pflichten zu übernehmen, tötet dabei jedoch bei einen tragischen Unfall das einzige Pferd der Familie. Es kann wohl gesagt werden, dass beide Frauen keinen großen Einfluss auf ihre Jugend hatten. Beide wurden durch ihre Klassenzugehörigkeit in eine unglückliche Situation gedrängt. Die Bildung, die Emma durch ihre Gesellschaftsschicht erwerben musste, dient ihr zur derzeitigen Befriedigung.
Für sie ist die Flucht in eine Traumwelt die einzige Möglichkeit, der Langenweile zu entgehen. Tess hingegen muss schon in jungen Jahren ums Überleben kämpfen. Würde sie ihrer Familie nicht helfen, würde sie diese vielleicht zum Verhungern verurteilen. Dem Wunsch nach Bildung, mehr über die Welt zu erfahren, kann sie dabei nicht nachgehen. Die Beziehungspartner Mit dem Auftritt des Landarztes Charles Bovary glaubt Emma, ihre Traumwelt verwirklichen zu können. Sie heiratet ihn, merkt jedoch recht schnell, dass ihre Gefühle für ihn eher oberflächlich sind, und dass die Monotonie seines Lebens ihren Erwartungen nicht entsprechen kann.
(S. 43: ,Vor der Hochzeit hatte sie geglaubt, sie liebe ihn; aber als das Glück, das aus dieser Liebe hätte entspringen sollen, ausblieb, dachte sie, sie müsse sich getäuscht haben. Und Emma suchte zu begreifen, was man denn eigentlich im Leben unter den Ausdrücken Glückseligkeit, Leidenschaft und Trunkenheit verstehe, die ihr in den Büchern so schön erschienen waren.') Mit dem Wunsch nach mehr Leidenschaft geht Emma zwei Affären ein, erfährt jedoch nicht das erhoffte Glück. Emma hat in dieser Beziehung nur sehr wenig Einfluss auf das Geschehen. Erneut es ist die Gesellschaft, die ihr nicht erlaubt, eine Heirat mit Charles abzulehnen.
Ihre Bücher haben ihr zudem unrealistische Vorstellungen vom Leben vermittelt. Die Monotonie von Charles' Leben und das indirekte Verbot, tiefere soziale Kontakte zu haben, machen Emma depressiv. Trotz der beiden Affären, hat sie keine Möglichkeit, die Leere ihres Lebens zu füllen. Bei ihren verschiedenen ,Begegnungen' merkt sie auch nicht, dass sie von den Männern ausgenutzt wird. Charles hat sie geheiratet, um etwas ,Schönes' zu besitzen, mit dem er angeben kann und dabei sein eigenes Image verbessert. (S.
52: ,Charles bekam allmählich mehr Selbstachtung, weil er eine solche Frau besaß...') Rodolphe nutzt Emma lediglich als Sexualobjekt, wie er schon viele Frauen zuvor benutzt hat und Lheureux nutzt Emmas Unerfahrenheit in Finanzen aus, um Geld zu verdienen, ohne dabei an Emma zu denken, die er in unsagbare Schulden stürzt. Zwar hätte sie mit Charles über ihre Probleme reden können, vertraut ihm aber als scheinbarer Auslöser ihres schlechten Lebens nicht. Tess bittet aufs Drängeln ihrer Mutter und aufgrund von Schuldgefühlen ihren vermeintlichen adligen Verwandten Alec um finanzielle Hilfe.
Dieser stellt sie als Arbeitskraft für die Hühnerhaltung ein. Bereits am Anfang ist Alec Tess gegenüber sexuell aufdringlich, was Tess jedoch stets abwehrt. Dennoch wird die unerfahrene Tess eines Nachts von ihm vergewaltigt. Fortan lebt Tess mit Schuldgefühlen, weil sie laut öffentlicher Moral zu den ,unreinen' Frauen zählt. Als sie Jahre später Angel ihr Jawort gibt, probiert immer wieder, ihm von der Vergewaltigung und dem daraus entstandenen Kind zu erzählen, kommt aber erst nach der Hochzeit dazu. (S.
129: ,... kam sie sich wie eine Verkörperung der Schuld vor, die in das Gefilde der Unschuld eindringt.') Als Resultat wird sie von ihm verlassen. Wegen finanzieller Nöte kehrt sie viel später zu Alec zurück, tötet ihn aber, als Angel wiederkommt.
Mit Alecs Tod fühlt sich Tess das erste Mal seit der Vergewaltigung von allen Schuldgefühlen erlöst. Kurz darauf wird sie von der Polizei festgenommen und hingerichtet. Ob Tess mehr Entscheidungsfreiheit als Emma besitzt, ist fraglich. Theoretisch gesehen muss sie zwar nicht zu Alec gehen, wird aber von der Mutter unter starken psychischen Druck gesetzt. Auch die Vergewaltigung ist nicht ihre Schuld, da sie, - wegen anderem auch durch ihrer Gesellschaftsschicht-, zu diesem Zeitpunkt noch nicht aufgeklärt ist. Die Heirat mit Angel später hingegen und ihr Geständnis sind ihre freien Entscheidungen.
Auch hätte sie durch Betteln verhindern können, das er sie verlässt, doch ihr Gewissen verbietet es ihr. Dass sie später erneut zu Alec geht, tut sie es ihrer Familie zu Liebe. Diesmal wird sie zwar nicht von ihrer Mutter unter Druck gesetzt, jedoch hält Alec ihr ihre hoffnungslose Lage und die schlimme Situation der Familie immer wieder vor, bis er schließlich ihren Willen bricht. Durch den Mord, den sie später an ihm begeht, verschuldet sie zwar ihren eigenen Tod, kann aber endlich frei sein. Die Mutterrolle Mit der Geburt ihrer Tochter erlebt Emma eine Enttäuschung, da sie sich immer nach einem Sohn gesehnt hat. (S.
109: ,Sie wünschte sich einen Jungen,... und dieser Gedanke, ein männliches Wesen als Kind zu haben, war wie eine erhoffte Rache für alles, was das Dasein ihr schuldig geblieben war. Ein Mann ist doch wenigstens sein freier Herr; ihm stehen alle Leidenschaften und alle Lande offen; er kann die Hindernisse überwinden und nach dem entlegensten Glückseligkeiten trachten. Eine Frau dagegen ist immerfort gehindert.
Zugleich träge und geschmeidig hat sie die Nachgiebigkeit des Körpers und die Abhängigkeit vom Gesetz gegen sich. Wie der durch eine Schnur festgehaltene Schleier ihres Hutes flattert ihr Wille bei jedem Windhauch; immerfort stellt sich eine Begehrung ein und reißt sie fort, gebietet eine Schicklichkeitsregel ihr Einhalt.') Die eingeschränkte Handlungsfreiheit der Frau wird Emma bewusster. Dies hat zur Folge, das sie nicht im Stande ist, das Mädchen zu lieben, es sogar als hässlich beschimpft und durch ein Wegstoßen mit dem Ellenbogen verletzt. Zudem wird ihr die Mutterrolle durch ihre Gesellschaftsschicht entsagt, da sie das Kind an eine Amme geben muss. Tess' Sohn ist das Ergebnis der Vergewaltigung.
Dennoch tut sie alles für ihn in den wenigen Monaten, in denen er lebt. Sie riskiert durch eine eigenmächtige Taufe sogar eine Verbannung in die Hölle nach ihrem Tod. Emma hätte mit der Geburt ihrer Tochter die Chance gehabt, die Langeweile zu verdrängen und die Leere in ihrem eigenen Leben zu füllen. Jedoch ist sie in ihren eigenen Depressionen derart gefangen, dass sie für die Tochter keine Muttergefühle aufbringen kann. Tess hat das Kind durch äußere Gewalteinflüsse bekommen, und nicht durch freien Willen. Dennoch schenkt sie ihm all ihre Liebe.
Das Materielle Emma versucht durch kostspielige Einkäufe für sich selbst und andere ihren Mädchentraum von einem vornehmen Leben zu verwirklichen, verschafft sich indessen sogar die Vollmacht über die häuslichen Finanzen. Jedoch lebt sie über ihre Verhältnisse hinaus. Sie baut sich eine Wunschwelt auf, die im extremen Gegensatz zur Realität steht. Diese Wunschwelt verstärkt ihre Depression und ist erneut auf die Bücher zurückzuführen, aber auch auf die Isolation, in der sie ihr Leben lang leben muss. Deswegen ist sie nur geringfügig dafür zu verantworten. Für Tess hingegen ist Geld nur in dem Maße wichtig, nämlich um ihre Familie zu ernähren.
Tess lebt in ärmlichen Verhältnissen, in denen sie auf ein gewisses Einkommen angewiesen ist. Das kann sie nicht beeinflussen und es treibt sie schließlich in ihr Unglück. Tess Durbeyfields und Emma Bovarys Leben haben beide einen dramatischen Verlauf und enden tödlich. Es kann wohl gesagt werden, dass Tess mehr Einfluss auf ihr Leben hat als Emma. Sie besitzt eine größere, individuelle Entscheidungsfreiheit. Trotz des psychischen Drucks ihrer Mutter kann sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen und entscheiden, ob und wo sie hingehen will und wen sie heiraten möchte.
Tess ist wahrheitsliebend und echt. Emma hingegen hat keine Wahl. Ihre einsame Jugendzeit zwingt sie, sich in die Scheinwelt der Bücher zu flüchten, und sich deren Romantik hinzugeben. Dabei verliert sie jeglichen Bezug zur Wirklichkeit. Sie ist durch ihre Vorstellungen geprägt, und so könnte auch kein Mann in ihrem Leben ihren romantischen Erwartungen entsprechen. Zwar liebt Emma Leon Depuis, genießt auch seine Aufmerksamkeit, darf aber auf Grund der gesellschaftlichen Normen sich nicht von Charles scheiden lassen und kann somit auch keine Beziehung mit Leon eingehen.
Emma ist im gesellschaftlichen System gefangen, dessen Erwartungen sie entsprechen will, bei dem jedoch ihre eigenen Bedürfnisse außerhalb liegen. Mit ihrem Wunsch über die Verhältnisse zu leben, schafft sie sich selbst immer öfter Niederlagen, mit denen sie selbst nicht mehr klar kommt, und schließlich den Selbstmord als letzten Ausweg wählt. Nicht nur ihre Männer sind in Wahrheit anders, sondern auch sie selbst. Tess hat zwar einen größeren Entscheidungseinfluss in ihren Kreisen, hat jedoch durch ihre Gutgläubigkeit und Moralität nur wenig Einfluss auf die Situation. Beide Frauen sind hier Opfer der Gesellschaftsnormen. Tess erhält auf Grund ihrer finanziellen Verhältnisse und verschiedener Schicksalsschläge nie die Chance, eine glückliche Ehefrau zu werden.
Emma ist ein noch schwerwiegenderes Opfer, da sie in der Öffentlichkeit zu einem passiven Dasein verurteilt ist. Ihr Protest zeigt sich darin, dass sie eine zeitlang nur Männerkleidung trägt, um Gleichberechtigung zu erwirken. (S.82: Emma...
lief jetzt tagelang unangekleidet herum, trug graue Baumwollstrümpfe...') Emma kann zwar nicht ihre physische Situation beeinflussen, jedoch ihre psychische, die sich durch ihre Wunschwelt aber verschlimmert. 1492 Wörter
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