Jörn Pfennig - Gesprächstherapie >
Als ich dich plötzlich
weniger liebte -
ich weiß nicht warum -
da durfte ich es dir sagen
du hast mich verstanden
und meine Liebe wurde größer.
Zum Autor
Jörn Pfennig wurde am 24. Juni 1944 geboren und lebt und arbeitet in Burghausen/Bayern. Seine Jugendzeit verbrachte er in Thübingen, später ging er nach München, um das Studium der Germanistik und der Theaterwissenschaften zu absolvieren. Er textet und komponiert seit 1965, in der Zeit von 1974 - 78 betätigte er sich als freier Mitarbeiter beim Fernsehen. Jörn Pfennig sieht sich als freier Schriftsteller und Jazzmusiker, seine Arbeitsgebiete sind Gedichte, Erzählungen, Romane; er "verdichtet" seine subjektiven Erfahrungen von Liebe in eher sachliche, mitunter auch provozierende lyrische Texte.
Jörn Pfennig ist - mit einer Gesamtauflage von fast einer Million Büchern - nicht nur ein äußerst erfolgreicher Lyriker, sondern auch Musiker und Komponist. In seinem Trio wahndreieck hat er beide Neigungen vereint und agiert als Klarinettist und als Sprecher seiner Gedichte. Seine Kompositionen sind atmosphärisch und rhythmisch auf die Texte abgestimmt und schaffen zwischen den einzelnen Gedichten musikalische Freiräume, in denen der Zuhörer die Worte in sich nachwirken lassen kann. Mit pointierten Texten und eingängiger Musik ein kulinarisches Gegenangebot zur üblichen Trockenlesung zu machen, das ist das Konzept von wahndreieck.
Bisher sind zahlreiche Gedichte und ein Fernsehfilm (1971) von Jörn Pfennig erschienen: Spuren im Schnee, Fernsehfilm (1971). Hand aufs Hirn, Gedichte (Heyne). Keine Angst dich zu verlieren, Gedichte (Heyne). Grundlos zärtlich, Gedichte (1979, Schneekluth/Goldmann TB/Heyne). Immer für dich/nie für dich immer, Gedichte (Heyne). Liebeslänglich, Gedichte (Heyne).
Zum Werk
Im Gedicht "Gesprächstherapie" erzählt ein lyrisches Ich, das höchstwahrscheinlich (wie schon bei C.R. von Greiffenberg) die Stimme des Autors selbst ist, davon, seinen Partner plötzlich weniger und, durch dessen Verständnis, aber dafür nach einem "klärenden" Gespräch wiederum mehr geliebt zu haben. Dadurch, dass das lyrische Ich seinem Partner, oder in diesem Fall Jörn Pfennig seiner Partnerin, sagen konnte, was in ihm vorging und der Partner dies vor allen Dingen mit Verständnis auffasste, wurde das Gespräch zu einer Art Therapie für die Liebe: Das Verständnis, das der Partner dem lyrischen Ich entgegenbrachte, als es ihm (dem Partner) gestand, weniger Liebe zu ihm zu empfinden, war quasi eine Erneuerungskur für die Gefühle der Person, um die es in "Gesprächstherapie" geht - Reden als Therapie, nicht nur gebräuchlich bei Psychologen, auch in Partnerschaften können Gespräche viel bewirken. Man könnte dies auch als Kernaussage, neben der Tatsache, dass dieses Gedicht auch gleichzeitig eine Liebeserklärung ist, auffassen. Das lyrische Ich hat keine Erklärung für die Entdeckung, auf einmal seinen Partner weniger zu lieben. Die Beziehung scheint sehr gut, harmonisch und vertraut zu sein, denn der "Sprecher" kann seine Gefühle bzw. Gedanken seinem Partner anvertrauen, und dieser weiß, dass dies kein Grund ist, die Beziehung aufzugeben. Hier spielt mehr mit als "nur" Liebe und eventuelles Zusammenleben, es ist eine tiefe Bindung, zu der beide bereit sind und in der das Gegenüber respektiert und so angenommen wird, wie es ist.
Jörn Pfennig schreibt "da durfte ich es dir sagen" - dieser Vers verdeutlicht die Harmonie, die zwischen beiden herrscht; es heißt nicht " da sagte ich es dir", was einseitiger, nur auf die Gefühle/Gedanken des "Sprechers" bezogen wäre. "du hast mich verstanden / und meine Liebe wurde größer" : diese beiden Verse drücken die tiefe Dankbarkeit aus, die das lyrische Ich bzw. der Sprecher seinem Partner gegenüber empfindet, denn dieser zeigt Verständnis und Kommunikationsbereitschaft - vor allem deswegen, weil sich das lyrische Ich so fair verhalten hat, dem Gegenüber seine Gefühle mitzuteilen, ihm zu sagen, dass seine Liebe weniger geworden sei. Und der Akt des Verzeihens bindet das lyrische Ich noch fester an sein Gegenüber, die Tatsache, dass der Partner Verständnis zeigt, lässt es (d. lyrische Ich) erkennen, wie wertvoll diese Bindung, diese Partnerschaft für beide ist. Dies führt wiederum zu einer Steigerung des Liebesgefühls. "Gesprächstherapie" ist ein Gedicht ohne bestimmtes Reimschema, es besteht aus 6 Versen, die gleichzeitig einen einzigen Satz bilden. Jörn Pfennig verwendet eine Parenthese als Stilmittel ( - ich weiß nicht warum - ), die die Ratlosigkeit, die das lyrische Ich ob der Tatsache, dass es plötzlich weniger Liebe für seinen Partner empfindet, noch verdeutlicht. Die Offenheit, mit der der Sprecher das Thema behandelt, passt sehr gut in unsere heutige Zeit. Wurden im z.B. zur Zeit des Barock Themen wie Liebe und Gefühl nur zurückhaltend und unter ganz anderen Betrachtungsweisen angesprochen, bringen Autoren wie Jörn Pfennig heutzutage offen und direkt ihre Gedanken dazu zu Papier ("Neue Subjektivität").
Zur Epoche
In der Liebeslyrik der Gegenwart ist das lyrische Ich bereit, in verständlicher Sprache über seine Gefühle offen zu sprechen ("Neue Subjektivität"). Diese Gefühle haben aber nichts mit "romantisch" (im Sinne von antirealistisch gemein, sie zeigen sich vielmehr wirklichkeitsnah und drücken auch Angst und Zweifel an der eigenen Liebesfähigkeit und der des Partners aus, die dadurch keineswegs selten entstehende Resignation wird ohne Beschönigung, mit neuer Offenheit, zu Papier gebracht.
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