Thema Nummer 4: Früher, das waren noch Zeiten!
"Ja, ja, früher das waren noch Zeiten". Es gibt fast keine Personen, die in ihrer Jugend diesen Satz nicht gehört hat. Sei dies von den Eltern, den Grosseltern oder sonstigen Verwandten. Als ich den Titel gelesen habe, war ich froh, dass er nicht "Früher, da war alles besser!" gelautet hat. Denn ich persönlich finde diese globale Aussage absolut stumpfsinnig und unfair. Früher war vieles anders, das ist unbestritten und darüber muss man sicherlich nicht streiten; doch ob wirklich alles besser war, möchte ich doch in Frage stellen.
Um über den Inhalt dieser Aussage fair und sachlich diskutieren zu können, ist es wichtig die Begriffe früher und heute genau zu definieren. Ich gehe im Folgenden einmal davon aus, dass mit früher die nähere Vergangenheit, also etwa die Zeit von 1930-1970 gemeint ist. Und unter dem Begriff heute würde ich etwa die letzten zehn, fünfzehn Jahre fassen. Nachdem wir den formalen Teil erledigt haben, können wir uns nun über den Inhalt dieser brisanten Aussage einige Gedanken machen.
Ein Grund weshalb viele, in erster Linie ältere Menschen zu dieser Aussage neigen hat sicherlich mit der Art und Weise wie und vor allem an was sich Menschen erinnern, zu tun. Meiner Meinung nach hat der Mensch die Gewohnheit sich lieber an die schönen und positiven Dinge des Lebens zu erinnern, als an die traurigen Erlebnisse. Oder kennen Sie jemanden, der lieber über den Tod seines Bruders als über die Geburt seiner Tochter spricht? Unerfreuliche persönliche und geschichtliche Ereignisse lassen wir lieber ruhen, als unnötig alte Narben aufzubrechen.
Im weiteren glaube ich, dass man gegenüber Ereignissen die man selbst miterlebt hat, oder die einem vielleicht sogar nachhaltig geprägt haben eine weitaus weniger kritische Haltung hat, als von denen man nur durch Berichte erfährt. Das ist verständlich, denn Selbstkritik ist und war noch die Stärke des menschlichen Egos. Ich glaube, dass der Blickwinkel entscheidend ist und dieser ist natürlich immer subjektiv. Man kann gar nicht erwarten, dass ein Direktbetroffener eine Sache gleich sieht wie ein Aussenstehender. Hier wäre sicherlich wie bei vielen Dingen im Leben, ein wenig Toleranz für die Sichtweise des Andern nicht schlecht.
Wie ich eingangs schon kurz angetönt habe, war vieles früher anders. Die Welt drehte sich noch ein wenige langsamer, der gesamte Lebensrhythmus war gemächlicher. Es wäre jetzt aber falsch, wenn die heutige Generation denken würde, dass früher das Leben einfach gewesen wäre. Dies stimmt sicherlich nicht. Der entscheidende Punkt ist das andere gesellschaftliche Wertsystem. Es zählten andere moralische und gesellschaftliche Werte als heute. Früher zählten Begriffe wie Treue, Loyalität, wirtschaftliche Moral (wenn es so etwas überhaupt je gab) um nur einige aufzuzählen. Im Gegensatz zu heute, wo eher Schlagworte wie Shareholder-Value, Globalisierung und Rationalisierung im Vordergrund stehen. Das Problem vieler ältere Leute ist, das sie ihr altes Wertsystem eins zu eins in die heutige Zeit transferieren ohne ihre veralteten Grundwerte zu hinterfragen. Sie wollen nicht einsehen oder haben Mühe, dass sich die Welt verändert hat. Und so klammern sie sich verständlicherweise an ihre alten Werte. Es wäre aber falsch, die Schuld an diesem "Werteproblem" nur den älteren Menschen zu geben. Genauso stur wie die Alten an ihren Werten festhalten, tut dies die heutige Generation. Sie hat zum Teil erhebliche Mühe sich gedanklich in die früheren Zeiten zu versetzen. Anstatt den mit Vorurteilen auf die ältere Generation zu reagieren, wäre es sinnvoller den berühmten Dialog zu suchen.
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