Hesses wohl erfolgreichster Roman "Der Steppenwolf" entstand in einer schweren seelischen Krise, des damals fast 50jährigen Autors. Die Vorarbeiten dazu reichen bis in das Jahr 1922 zurück, wo es "Aus dem Tagebuch eines Entgleisten" heißt: "Ich schmeiße alles hin, mein Leben ... , ich alternder Mann". Vor Beginn der Arbeit am Steppenwolf entwirft Hesse ein erschütterndes Bild seiner geistigen und seelischen Not: "Und nun,... nachdem mir alles, was das Leben mir an äußeren Gütern und Erfolgen gab, wieder zusammengebrochen ist,... nach alledem bin ich - halb krank und halb irrsinnig vor Leid, zu mir selbst zurückgekommen, und muß vor allem das alles, was ich früher weggelogen oder doch verschwiegen hatte, anschauen und anerkennen, alles Chaotische, Wilde, Triebhafte, ,Böse' in mir." Er sieht sich als "Outsider" und genau das ist auch das zentrale Thema seines Romans: der Konflikt des Außenseiters mit der bürgerlichen Umwelt, Liebessehnsucht und enttäuschte Träume und die unentrinnbare Einsamkeit. Hesse zeigt hier jedoch nicht nur seine persönliche Krise auf, sondern spricht es auch als allgemeines Problem der damaligen Zeit an, welches in vielen zeitgenössischen Werken ebenfalls behandelt wurde: der Konflikt zwischen Bürger und Außenseiter.
Die Geschichte vom "Steppenwolf" Harry Haller, sein unstetes verzweifeltes Leben, sein Zusammenbruch und mühevoller Neubeginn werden aus drei unterschiedlichen Perspektiven erzählt: das tagebuchähnliche Manuskript des Schriftstellers Harry wird von den Lesern von einem fiktiven Herausgeber zur Kenntnis genommen, der es mit einem einleitenden Vorwort versieht. In Harrys Tagebuch wiederum ist der "Tractat vom Steppenwolf" als eigenständige Aufzeichnung eingelegt. Das Vorwort skizziert Harrys Lebenssituation und seine Wirkung auf den "Herausgeber", den Neffen der Zimmerwirtin, deren Dachkammer Haller bewohnt. In dem Außenseiter Harry bricht nicht nur eine fremde Sichtweise in das wohlanständige bürgerlich Leben ein, sondern zugleich gewinnen verborgene Wünsche und Neigungen des Bürgers selber Gestalt. Der Neffe und Herausgeber bezeichnet sich selbst als Musterexemplar bürgerlichen Wesens, geprägt von Ordnung und erfüllender Pflicht. Der junge Mann bemerkt bald, daß sich hinter Hallers unsorgfältigem und befremdend wirkenden Äußeren, ein interessantes, höchst bewegtes und ungemein sensibles Seelenleben verbirgt und veröffentlicht Hallers Aufzeichnungen, denn er sieht darin mehr als nur die Phantasien eines Gemütskranken. Er sieht darin das Schicksal eines Menschen dieser Zeit, welcher herausgerissen aus aller Geborgenheit alle Fragwürdigkeiten des Lebens als persönliche Qual erleben muß.
Die Geschichte spielt in einer Kleinstadt in Deutschland, zur Zeit des Ersten Weltkrieges. Harry Haller, ein knapp 50jähriger Schriftsteller, lebt zurückgezogen in der Mansarde eines hochanständigen, bürgerlichen Dreifamilienhauses, obwohl ihm das bürgerliche Leben im Grunde verhaßt ist. Trotz allem benötigt er jedoch die Ordnung und Ruhe der Bürgerlichkeit, um sich zurückziehen zu können. Er nennt sich selbst einen Steppenwolf, da er der Meinung ist, in ihm lebe als Gegenpol zum Menschsein auch ein Wolf. Und genau dies war sein Problem, denn er lag innerlich im Zwiespalt und konnte diese zwei Seelen nicht in Harmonie und Ausgeglichenheit bringen. Auf der einen Seite stand der wilde, böse auf die niederen Werte und Triebe des Lebens bezogene Wolf und auf der anderen Seite der musikliebende, geistreiche und vernünftige Mensch.
Harry Haller, ist ein vollkommen ungeselliger Mensch, den der Herausgeber nur von zufälligen Begegnungen im Treppenhaus kennt. Er führt ein unregelmäßiges Leben, hat keine Arbeit und lebt von seiner Frau geschieden. Die meiste Zeit verbringt er in seinem Zimmer, liest Bücher oder schreibt selbst etwas nieder, oder zieht durch die Straßen der Stadt, wobei er meist in einem kleinen Bierlokal bei einer Flasche Wein endet. Eines Nachts auf dem Heimweg erblickt er auf einer alten Mauer die Aufschrift "Magisches Theater - Eintritt nicht für Jedermann - nur für Verrückte". Er beschließt, dieses Theater zu suchen, findet jedoch nur einen alten Mann, der ihm ein kleines Büchlein in die Hand drückt - den "Tractat vom Steppenwolf". Als er nach Hause zurückkehrt beschließt er, das Büchlein sofort zu lesen, und muß feststellen, daß dieses "Tractat vom Steppenwolf" nichts anderes ist, als die Beschreibung seiner selbst. Im Laufe der Jahre ist er beruflos, familienlos und heimatlos geworden, steht außerhalb aller sozialen Gruppen, allein, von niemandem geliebt, von vielen beargwöhnt im ständigen, bitteren Konflikt mit der öffentlichen Meinung und Moral. Auch wenn er im bürgerlichen Rahmen lebt, so ist er doch inmitten dieser Welt mit seinem ganzen Fühlen und Denken ein Fremder. Er ist es leid, all diese Mühsal und Einsamkeit zu ertragen, immer wieder abzustürzen, wenn er wieder einmal Halt gefunden hat und beschließt somit wieder einmal, Selbstmord zu begehen.
Nach einem mißlungenen Besuch bei einem nationalistisch gesinnten spießigen Professor irrt der aufgewühlte, lebensüberdrüssige Steppenwolf in der Stadt umher. Er sehnt sich nach dem Tod und hat doch riesige Angst vor dem Sterben und damit zögert er den Heimweg hinaus und landet schlußendlich in einer ihm unbekannten Kneipe, wo er eine junge Frau namens Hermine kennenlernt, von der er sich zum ersten Mal verstanden fühlt. Sie nimmt sich des lebensuntüchtigen Sonderlings an, lehrt ihn die Annehmlichkeiten einer daseinszugewandten Lebensweise - das Tanzen, die erotische Liebe, die Geselligkeit, das Vergnügen. Durch sie erfährt der Steppenwolf die Vielfältigkeit des Lebens in seiner Banalität und seinem Zauber. Er lernt das Leben von Maria, Pablo und Hermine kennen. Früher hat er über diese Art von Wesen und Leben sehr wenig gewußt, nur beim Theater hat er früher gelegentlich ähnliche Existenzen angetroffen, halb Künstler, halb Lebewelt. Er lernt die Welt der Liebe und Drogen kennen.
In diesem Prozeß erfährt er, daß die scheinbar von außen ihn bedrängenden Impulse im Grunde ihren Ursprung in seinem eigenen Innern haben. Das Magische Theater, in das ihn der Musiker Pablo schließlich einführt, bedeutet für Harry Haller den Höhepunkt der Selbstbegegnung. In traumähnlichen Sequenzen entdeckt Harry während eines Maskenballs beim Gang durch verschiedene Räume in der Begegnung mit den "Spielfiguren" seines eigenen Ichs die Vielfalt seiner Persönlichkeit kennen.
Hier endlich kann er in eine andere Wirklichkeit eingehen, in eine Welt ohne Zeit, ohne Realität, ohne die eigene Persönlichkeit. Es ist die Welt seiner eigenen Seele, der ungezählten in ihm ruhenden Lebensmöglichkeiten und Pablo hilft ihm somit, seine eigene Welt sichtbar zu machen.
Aber noch hat Harry das richtig befreiende Lachen nicht gelernt, und erst die Zeremonie der Hinrichtung seines alten Ichs, die darin besteht, daß er von Herzen ausgelacht wird, läßt ihn den tiefen Sinn ahnen, der hinter der Welt dieser Bilder des magischen Theaters liegt. Eine mögliche Lösung des Identitätskonflikts sieht der Traktat im Humor, der den Steppenwolf die Welt akzeptieren und begreifen ließe. "Lachen lernen" wird im Magischen Theater gleichbedeutend mit "leben lernen". Die Vorstellung des Menschen als Einheit wird verworfen mit dem Aufzeigen der vielen Tausenden kleinen Wesen aus denen ein jeder besteht.
Die intensivste Erfahrung macht Harry im Umgang mit Hermine, welche wie ein Spiegelbild zu ihm steht. Sie lehrt ihn zusammen mit ihrer sinnlichen Freundin Maria, die unbekannten Freuden des Lebens und der Liebe, und zugleich lernt er sein eigenes Schicksal anzuschauen und anzunehmen. Sein letztes Ziel war die Vereinigung mit Hermine, um damit seine lebenszerstörenden Widersprüche endgültig überwinden zu können. Die letzte Loge des Magischen Theaters, die Harry betritt, hat die Aufschrift "Wie man durch Liebe tötet". Dies erinnert ihn an Hermine, die ganz zu Beginn ihrer Freundschaft zu ihm sagte, ihr Wunsch sei es, einmal durch seine Hand zu sterben. Erschüttert betrachtet er noch einmal sein bisheriges Leben doch betritt deprimiert die letzte Loge. Dort findet er Pablo und Hermine erschöpft vom Liebesspiel, und ersticht Hermine. Wie unter einem inneren Zwang tötet er so die Geliebte, in deren Liebe er die Selbstbefreiung zu erleben hoffte.
Der nun selbst todesbereite Harry wird vom Gericht des Magischen Theaters zum Leben verurteilt und als Strafe von den Unsterblichen ausgelacht, weil er das Theater mißbraucht habe, indem er den Bildersaal mit der Wirklichkeit verwechselt hatte. Seine Lebensaufgabe soll nun aus dem "lachen lernen" bestehen. Das Theater hat ihn zwar mit seiner eigenen Vielfalt konfrontiert, seine Zerrissenheit hat er mit dem Humor jedoch noch nicht überwinden können. Haller begreift jedoch, was das Spiel des Lebens ausmacht und ist gewillt erneut von vorne zu beginnen und die Qualen seines Inneren erneut zu durchwandern.
Nicht Konfliktlösung ist so das Ziel des Romans, sondern die Hoffnung auf Veränderung durch Wandlung. Im "Steppenwolf" geht es, wie in manch anderen Werken Hesses um die Nachtseite der Natur des Menschen, wobei Hesse hier deutlich versuchte seine persönlichen Probleme aufzuarbeiten indem er sie niederschrieb. Die Ähnlichkeit Hallers und Hesses ist unverkennbar. Beide sind zu der Zeit etwa 50 Jahre alt, beide werden von Gicht geplagt, beide sind hochintelligent und belesen, sie fühlen sich als Außenseiter, sind Brillenträger, sind zutiefst depressiv, kommen mit dem bürgerlichen Leben nicht zurecht, doch fühlen sich trotzdem zu ihm hingezogen und werden beide vom Staat als Vaterlands-Verräter beschimpft.
Trotz dieses autobiographischen, also subjektiven Motivs bleibt der Roman objektiv und kann somit vielen Menschen ein Antrieb oder Hinweis sein, wie man mit Problemen umgehen kann.
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